31.05.2009, 19:18 | #1 |
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Der Fluch der Epigonen - oder HSV
HSV
– oder: Es war einmal eine Fußballgroßmacht - Bilanz eines mehrwöchigen Aufenthaltes im offiziellen HSV-Forum - Vor ein paar Wochen habe ich mich unter einem Pseudonym im Forum des Hamburger SV angemeldet. Mein Interesse an Fußball und die Chance des HSV auf drei Titel ließen mich hoffen, mehr über den Fan im Allgemeinen und den HSV-Fan im Speziellen zu erfahren. Schon im Februar und März – als alles noch möglich schien – war trotzdem eine pessimistische, ja ängstliche Stimmung nicht zu überlesen. Nach dem Gau gegen Bremen zerbrach alles und die Mannschaft wurde von ihren eigenen Fans im Forum verspottet. Die Mahner, die immer schon den siebten Platz als Ende aller Träume betitelt hatten, fühlten sich erneut bestätigt. Erneut? Ja, erneut, denn in schöner Regelmäßigkeit und gerade wenn es ums Ganze geht, geißelt sich der HSV-Fan mit einer siebenschwänzigen Rute aus Selbstzweifeln. Das treibt er so arg, dass ich bestimmte Charakteristika, Eigenschaften entdeckte, die mir signifikant für den Fan des HSV zu sein scheinen, aber die mich auch besorgen und mich um das Seelenheil des HSV-Gläubigen fürchten lassen. Die Kultur der Kritik und des Jubelns sowie die Ausbildung an Selbstironie und Gelassenheit ist m.E. hier auf keinem gesunden Level, sondern droht auf einen pathologischen abzurutschen. Das lässt sich an zahlreichen Reaktionsmustern belegen. Angefangen von den Reaktionen auf meinen Avatar (Uli Hoeness) über diejenigen auf meine absichtlich vollkommen übersteigerten Jubelpostings á la "Right or wrong, my country" bis hin zu den aggressiven Reaktionen auf Postings, in denen ich den gerade geborenen Aberglauben vor der Zahl Drei als böses Omen befeuerte. Interessant finde ich, dass in der Fankultur des HSV ein signifikanter Anteil Angst davor hat, Ziele, zumal hohe, zu benennen, diese auch tatsächlich erreichen zu wollen und notgedrungen sich selbst und den Verein auch daran messen zu lassen. Anders formuliert, fürchtet der HSVFan den Spott mehr als die Freude, die ein Gewinn eines Pokals verspräche. Erschwerend kommt hinzu, dass die Vorgänger, wenn es nur danach geht Pokale und Titel zu zählen, extrem erfolgreich waren; über total dominante Auftritte in der Meisterschaft bis hin zum Gewinn der „Vereinsweltmeisterschaft“. Solch legendäre Taten machen einen Verein in der Szene weit über seine natürlichen Grenzen hinaus bekannt. Für andere Vereine im Norden muss diese Zeit extrem unangenehm gewesen sein, da der Wirkungsgrad des HSV dank seiner großen Erfolge bis hinein in die Reviere der anderen Nordvereine hineinreichte. Ein Traditionsclub wie Hertha BSC Berlin z.B. muss sich seit Jahrzehnten, wegen seiner Titellosigkeit damit herumplagen, dass die zugewanderten Berliner „ihren“ Club mitgenommen und an ihre Kinder weitergegeben haben. So wird ein Heimspiel der Hertha schnell zum Auswärtsspiel. Der HSV erlebte dieses Phänomen unter positiven Vorzeichen und sich selbst ganz objektiv als die Nummer Eins im Norden. Daran gab es keinen Zweifel. Größer waren nur die Bayern. Aber der HSV war und ist der Verein, der für einen längeren Zeitraum am Denkmal der Bayern kratzen konnte. Wer die Nummer Eins im Norden ist, herrscht wenigstens über die Hälfte der Fußballrepublik und weiß, dass selbst Bayern im Norden nur die Nummer zwei ist. Und wer sich an die Duelle zwischen Magath und Hrubesch und Breitner und Rummenigge erinnert, der weiß, dass der HSV auf gleicher Augenhöhe war. Was dann passierte - mit erheblichen Folgen für die Psyche des allgemeinen HSV-Fans - war der Verlust der Größe. Historisches Beispiel aus einem völlig anderen Bereich: der kranke Mann am Bosporus. Das osmanische Reich zerbrach an seiner Größe und seinem Mangel an Erfolgen, seinem Mangel an innerer Stärke. Der HSV-Fan erlebt seit 1987, dass sein hamburgisches Riesenreich schrumpft. Erschwerend kommt hinzu, dass fast parallel ein anderer Club im Norden damit begann, den einen oder anderen Titel zu sammeln und seinen Wirkungsgrad bis vor die Tore Hamburgs zu schieben. Die Frage, die sich der HSV-Fan angesichts der Bremer Erfolge stellt (vielleicht kommen jetzt noch Wolfsburger hinzu): Ist es Hannibal oder sind es die Germanen, die an das Hamburger Tor klopfen. Letztere haben für das „Reströmische Reich“ den Untergang bedeutet. Abzuwenden ist der Untergang auf Dauer nur durch Erfolge, bzw. abzuwenden, dass man auf das Niveau einer bloß lokal bekannten Größe sinkt (so wie es einigen Revierklubs schon ergangen ist). Der letzte Erfolg, der letzte Strohhalm, der diesen Mangel an Pokalen heilen sollte, ist die vor Jahren erfundene Uhr der Bundesligazugehörigkeit und der dazu passende Dino. Im ersten Moment kann man diesen Marketingschachzug genial nennen. Solange die Uhr tickt, hat der HSV Erfolg, denn sein Erfolg besteht darin, dabei zu sein. Jede Minute länger, die der HSV in der Bundesliga verbleibt, stellt einen neuen Rekord auf. Konkurrenten gibt es genialerweise keine. Nur ist diese Statistik in etwa so dauerhaft, wie die Statistik eines Torwartes, der ohne Gegentreffer bleiben will. Die Endlichkeit wird mit jeder Minute wahrscheinlicher. Das ist der Punkt, an dem der Schachzug mit der Dinouhr gefährlich, ja kontraproduktiv wird. Die Einfachheit dieses statistischen und – wenn man sich nicht gar zu dumm anstellt – immer wiederkehrenden Erfolges, führt beim HSV-Fan zur Bequemlichkeit. Aber wer den ganz großen Erfolg haben will, wer gewinnen will, der muss aus seiner Wagenburg heraus, der muss an Roms Tore klopfen. Das bedeutet aber auch – und da wären wir bei Hannibal – dass man vielleicht auch alles verlieren kann. Der bequem gewordene HSV-Fan tauscht aber für ein Abenteuer ohne Gewähr niemals die vermeintliche Garantie ein, niemals nie nicht abzusteigen. Das ist eben das Bequeme daran. Daher hat der Fan des HSV auch mehr Angst davor, sich zum Gespött zu machen, weil er es nicht mehr gewohnt ist, dass ein Titelrennen auch immer ein Wagnis ist und er mit leeren Händen am Ende dastehen kann. Das Perverse ist nun, dass es keinen Titel beim HSV mehr gibt, den man verlieren könnte. Nur eine statistische Besonderheit steht auf dem Spiel. Sonst nichts. Anderes Beispiel: Gollum aus dem Herrn der Ringe. Der Ring ist die Statistik und wie krank Gollum am Ring geworden ist, ist mittlerweile allen bekannt. Der Ring der Macht? Die Träger des Rings der Ohnmacht, der nunmehr seit über zwanzig Jahren den Verlust des Erfolges kompensieren soll, wirken verständlicherweise auf neutrale Beobachter immer wunderlicher. Sie verteidigen Dinge, die nicht vorhanden sind, und berufen sich auf eine Größe, die sie längst nicht mehr haben. Dass solch ein Verhalten leicht verspottet werden kann, liegt nahe und es passt nur zu gut in das Bild des ohnmächtigen Gollum, dass er mit seinem Schicksal hadert wegen einer lächerlichen Papierkugel oder den Fehlentscheidungen der Schicksalsgötter. Das ist tragisch, aber nur weil die Selbsterkenntnis, die zur Komik, zur Katharsis führen könnte, nicht mehr stattfinden kann. Der Fall ist leider pathologisch geworden. Im Falle des scheinbar die Meisterschaft entscheidenden Spiels gegen Werder Bremen habe ich bemerkt, dass eine der Strategien, mit Niederlagen umzugehen ist, sich über die Gegentore wie bei „Pleiten, Pech und Pannen“ zu amüsieren. Also gibt es doch Lachen und Selbstironie als Strategie beim HSV-Fan? Nein. Gänzliche Humorlosigkeit will ich nicht unterstellen, aber das Lachen angesichts des drohenden Versagens, das Verspotten der eigenen Truppe, ist in diesem Forum des HSV nur dann erlaubt, wenn die Niederlage offensichtlich und unabwendbar erscheint. Ansonsten gilt es als Provokation und wird verwarnt, bis hin zum Ausschluss aus der Gemeinschaft. Ganz und gar lächerlich wird es, wenn diese Verwarnungen aber auch im Zeichen eines sicheren Sieges ausgesprochen werden, wo Größe am ehesten erwartet oder unterstellt werden könnte. Die Folgenlosigkeit beim Verspotten der eigenen Mannschaft angesichts einer peinlichen Niederlage, entlarvt das Pathologische an diesem Verhalten. In dem Moment, in dem es unangenehm wird, wenn der Erzfeind zu obsiegen scheint, wird das Band zur Mannschaft flugs getrennt, um – wieder ein Beleg für die Bequemlichkeit – nicht auch selbst zu leiden. Die Kirche des HSV, also die Gemeinschaft aller HSV-Fans, entzieht ihren Missionaren in kurzen Hosen die Legitimation, in ihrem Namen zu spielen und beginnt zu lästern. Es ist also keine Selbstironie, kein augenzwinkernder Spott sondern Verdrängung. Niederlagen, zumal die gegen die ungeliebten Nachbarn von der Weser, werden eben nicht verarbeitet. Die Wagenburg, hinter der sich der allgemeine HSV-Fan versteckt, wirkt wie eine Angsthasenburg auf mich. Der Fluch der Epigonen
Habe nun ach, genug Chancen und Bälle am Tor vorbei ziehen sehen, und mir ist, als gäbe es, auch bei tausend Chancen mehr, noch immer keine Pokale oder gar die Meisterschale. So stehe ich und warte, warte in der Nord, vergebens auf ein Tor. Meister, Titel, gar Pokale? Frisch von der Empore hochgehalten in den Sonnenkranz? Nein, immer ist es nur der alte Glanz, der nie verblasst und alle Mühen leichthin und seit über mehr als zwei Dezennien überstrahlt. Welche Weihen will ich ernten? Welche Welt wartet noch auf mich, wenn meine Ahnen schon kreuz und quer und alle naslang, alle Globen längst vermessen und eng umschlungen auf allen Balkonen standen? Mir bleibt nur der Moment. Der Moment im Spiel geschmeidig starker Schritte, wenn sich im Sechzehnmeterkreis auf allerengstem Raum für einen Moment die Chance ergibt ... und man wieder versiebt. |
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