23.10.2011, 10:10 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Melancholie
Aus den Raureifsilberbechern
hat die Nacht heut ausgegossen. Fahle Sonne über Dächern, trüb von Nebelmilch umflossen, lächelt müde Tageslicht. Kaum ein Laut dringt an das Ohr! Leben wendet sich nach innen - spute dich mit dem Besinnen: Rosenbunt am Strauch erfror. Krähe lacht. Es stört sie nicht. Später, um die Mittagsstunde, tropft es Tränen ringsumher. Braunverdorrte Rosenwunde weckt Erinnerung am Grunde: Widerhall, noch lang und schwer. |
23.10.2011, 11:53 | #2 | ||
ADäquat
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*schluchz* wirklich sehr melancholisch, liebe larin
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23.10.2011, 13:48 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo, larin,
wie immer bei dir, ist es inhaltlich sehr schön. Auch hier in Stuttgart beginnt es, nachts kalt zu werden. Als ich heute morgen aus dem Wohnzimmerfenster hinaussah, waren Wiese und Hecken hinter dem Haus mit Raureif überzogen und die umliegenden Häuser waren im Morgennebel nur schwach zu erkennen. Der Sommer hat endgültig seinen "Abschied" genommen - bis zum nächsten Jahr. Jetzt fallen die Blätter endgültig und einige Bäume sind schon fast kahl. Das "Sich-nach-innen-Wenden" des Lebens, wie es im Gedicht geschildert wird, kann eine melancholische Stimmung erzeugen. Allerdings bedeutet es nur einen "zeitweiligen" Rückzug, die "Lebenskraft" wird, beispielsweise von Bäumen, in Stamm und Wurzeln "gespeichert", um dort auf den nächsten Frühling zu warten. Das Leben vergeht nicht, es ruht sich nur aus und sammelt einen "Kräftevorrat". Hier bei mir sind es Raben und ein Schwarm Spatzen, die das nicht "stört". So, wie es am Mittag "tropft" und taut, wird es auch im kommenden Frühjahr sein. Vor dem Frühling liegt noch der Winter, dann wird es erst wirklich "leise". Aber, wer möchte, kann auch in Herbst und sogar im Winter das "Echo" des Sommers hören ... "Raureifsilberbecher" gefällt mir auch sehr gut, ebenso wie "Nebelmilch", "Rosenbunt" und "Rosenwunde". Ich schätze die Kreativität, die ich in den immer wieder gelungenen "Wortschöpfungen" in deinen Werken finden kann. Ja, und ich kann's wieder mal nicht lassen: Chavali hat recht, es ist eine schöne Melodie - mit der ich eher einen Frühling beschrieben hätte ... Der vierhebige Trochäus ist, wie soll ich sagen, ein Versmaß, das sehr "lebhaft", je nach Inhalt "flott und munter" daher kommt, und ich lese unwillkürlich recht "schnell". Das ist nur einfach irgendwie von mir nicht in "Einklang" mit dem traurig-melancholischen Inhalt zu bringen. Dazu tragen auch die alternierenden Kadenzen noch ihren Teil bei. Das ist jetzt keine Kritik, aber ich denke, ich möchte es anmerken, vielleicht war es Absicht? Soll es eine "Aufforderung" sein, sich von der Melancholie nicht "überwältigen" zu lassen? (Übrigens: Dass du jede Strophe in sich "enden" lässt und auf Enjambements verzichtet hast, ist eine gute Wahl; sonst wäre es noch "flotter" geworden.) Das Reimschema passt allerdings wieder wunderbar zur Thematik. In Strophe 1 symbolisiert der Kreuzreim den "Wechsel", den "Übergang" - dargestellt durch Raufreif/Nacht, Sonne/Nebel; dann stellt der umarmende Reim in Strophe 2 den "Rückzug nach Innen" dar; und in Strophe 3 ebenso - nur dass dort die Erinnerung "umarmt" wird. Ein Kehrreim verbindet Strophe 1 und 2. Das ist sehr gut gemacht: ababc; deedc; fgffg. Sehr gerne gelesen und kommentiert. Liebe Grüße Stimme
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24.10.2011, 01:30 | #4 |
verkannt
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Hallo Larin,
sehr einfühlsame Zeilen die mir gefallen. Du transportierst hier eine Stimmung die gut nachvollziehen kann. Durch deine behutsame Worwahl und den flüsternden Unterton, der sich durch dein Gedicht zieht, erzeugst du bei mir eine Art von Verstehen. Ich kann es gerade nicht recht beschreiben, aber deine Worte treffen, irgendwie. Danke dafür. Einen lieben Gruß C.
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© auf alle meine Texte „Mir gefiel der Geschmack von Bier, sein lebendiger, weißer Schaum, seine kupferhellen Tiefen, die plötzlichen Welten, die sich durch die nassen braunen Glaswände hindurch auftaten, das schräge Anfluten an die Lippen und das langsame Schlucken hinunter zum verlangenden Bauch, das Salz auf der Zunge, der Schaum im Mundwinkel.“ Dylan Thomas |
25.10.2011, 20:08 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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hallo chavali,
es war so: ich wachte auf und hatte dieses eine wort im kopf: raureifsilberbecher.....( weiß auch nicht, was mein kopf in der nacht tut und wie er auf sowas kommt ). das wort hat mir gleich gefallen - und dann hatte ich nur noch das problem, ein passendes gedicht dazu zu (er)finden! hallo stimme der zeit, den frechen raben, den nichts stört, habe ich bewusst in kontrast zur melancholischen stimmung eingebaut. das erlebt man ja oft : dem einen gehts mies - und dem andern ists wurst! so ist das leben ( es würde ja auch andererseits nichts nützen, wenn der, dems nicht mies geht, sich von der miesen stimmung anstecken ließe- was sollte das bringen?) "raureifsilberbecher" war so ein dominantes wort, dass es noch geschwister kriegen musste. (nebelmilich , rosenbunt, rosenwunde). sonst wäre das ganze gedicht zu kopflastig geworden. an vers-, schweine-, platt- oder andere füße denke ich eigentlich kaum beim schreiben. ich tus (fast nur) intuitiv! wenns zu flott wird , musst du halt langsamer lesen. die strophen enden nicht nur ohne enjambement - der klang ruht sich auch zwischendurch aus - zum einen bei "Tageslicht", das zunächst wie eine Reimwaise im Raum steht. Gleich drauf bei : Kaum ein Laut dringt an das Ohr! der kurze Satz: Krähe lacht. Und dann der Reim auf Strophe 1 : Es stört sie nicht. Durch oftmaliges Lesen und mir selber beim Lesen zuhören finde ich raus, wie es klingen soll - und so mach ichs dann. Es darf dann auch ein bisschen reimschematisch mäandern - wenn insgesamt die gewünschte Stimmung rüberkommt. Zuletzt machte ich noch eine erstaunliche Entdeckung: Als ich das Gedicht abspeichern wollte, musste ich feststellen, dass ich auf den Tag genau (!) vor einem Jahr auch ein Gedicht mit dem Titel "Melancholie" geschrieben habe. Also liegt es wohl doch an der Jahreszeit.... Ein Wunder wärs nicht. Heute lag über Wien den ganzen Tag eine dicke Hochnebeldecke - es war nur feuchtkalt und kein bisschen Sonne kam raus..... hallo cebrail, danke auch dir für den einfühlsamen kommi! es freut mich immer, wenn das publikum zufrieden ist! liebe grüße, larin |
01.10.2019, 23:13 | #6 |
TENEBRAE
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Liebe larin!
Eins von deinen ganz Alten - aber immer wieder gut! Hab ich damals gar nicht kommentiert, hab's wohl übersehen (damals war viel mehr los in den Lyrikforen!). Das sei hiermit nachgeholt - und voll des Lobes! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
02.10.2019, 07:50 | #7 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Liebe Larin,
auch ich habe es erst jetzt gelesen, samt den schönen Kommentaren. Es gefällt auch mir gut. Mir kam die Idee sich in den beiden Schlusszeilen "weckt Erinnerung am Grunde: Widerhall, noch lang und schwer." verbal auszudrücken: "weckt Erinnern tief im Grunde, widerhallt noch lang und schwer." Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
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