01.08.2012, 20:36 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Krankheit des Vergessens
Krankheit des Vergessens
Wo ist denn nur der Schlüsselbund? Der Mantel nicht an seinem Platz? Wo ist die Leine für den Hund? Das erste Wort vom letzten Satz? Wozu die Uhren an der Wand? Der Knoten in dem Taschentuch? Wozu der Ring an dieser Hand? Wieso der Fremde zu Besuch? Nächte traumlos – Amnesie. Butterkuchen – Muckefuck. Aphasie und Sagrotan. Stumpfer Blick in Apathie. Schnabeltassen - saug und schluck. Lethargie statt Lebensplan.
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chorch chorch Geändert von Hans Beislschmidt (23.08.2012 um 15:53 Uhr) |
27.08.2012, 19:18 | #2 |
Gelegenheitsdichter
Registriert seit: 09.11.2009
Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
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lb. hans,
das ist ein sehr nachdenkliches gedicht, ein wenig sonetting gestaltet. formal und sprachlich gibt es wenig zu deuteln. allenfalls das 2. "wozu" in s2 könnte man durch "weshalb" oder "warum" ersetzen, aber ich nehme an, daß das "wozu" in s2 das doppelte "wo" aus s1 aufnehmen soll. in der tat ist die demenz-pflege ein kernproblem. richtig gemacht erfordert sie personal, daß die "kostenrechnung" nicht ganz hergeben will. daraus folgt, daß die heimvariante davon oft mit der magensonde, der fixierung und beruhigungsmitteln endet. pflege in der familie ist oft kaum bezahlbar und für die direkten angehörigen kaum zu ertragen. ich sehe das an meiner schwiegermutter, die, 79jährig, den dementen schwiegervater seit über 15 jahren mit hilfen pflegt, mit dem ergebnis, daß er immer noch den rollator schieben und sich bewegen kann. im heim wäre er wohl schon nicht mehr bei uns. dennoch möchte ich das niemandem wünschen. lg w.
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Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt Alle Beiträge (c) Walther Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt |
29.08.2012, 11:11 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hey Walter,
vielen Dank für Kommentar und Gedanken. Das Werk zeigt die drei Stufen der Demenz. Es beginnt ganz unscheinbar, gewinnt aber im Verlauf deutlich an Geschwindigkeit, vor allem in der Phase des Verlustes der eigenen Persönlichkeit. Selbst das Schlucken wird irgendwann verlernt und durch eine Magensonde ersetzt, wie du richtig geschrieben hast. Dr. Alzheimer, der als erstes die berühmte Patientin „Auguste Deter“ behandelt und dokumentiert hatte, stellte bei der Obduktion fest, dass ein Fünftel des Gehirns geschrumpft war. In den 20ger Jahren hielt Alzheimer zahlreiche Vorträge mit dem Titel: - Krankheit des Vergessens – nur interessierte sich zum damaligen Zeitpunkt niemand für die Krankheit, die später nach ihm benannt wurde. In der Pflege, wie auch in der Betreuung von Demenzkranken hat sich einiges getan in den letzten Jahren. Dass Demenzkranke am Bett fixiert werden, ist heute nur durch eine richterliche Verfügung und ärztliche Gutachten möglich. Auch medikamentöse Ruhigstellung ist nur in Ausnahmefällen bei Schmerzpatienten oder in der Palliativ Pflege erlaubt. Wenn dein Schwiegervater nach so vielen Jahren der Erkrankung noch entsprechend mobil ist, zeigt, dass er in guten Händen ist. Man kann sehr viel tun bei basaler Stimulation, um die Krankheit „erträglicher“ zu machen und den Verlauf zu verlangsamen. Aufhalten kann man sie nicht, wie wir wissen. Bei allen Hiobsbotschaften sollte man berücksichtigen, dass „nur“ 15% der Alten über 65 an Demenz erkranken aber auch das ergibt in der Summe ein paar Millionen im Jahr 2025. Es wird ein großes Problem auf unsere Gesellschaft zukommen. Gruß vom Hans
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