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24.01.2022, 04:31 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Isotopien (Aus der Serie Atmen 1)
Isotopien
(Aus der Serie Atmen 1) Die Therapiestunde mit Gizzmu hat etwas in mir über den Haufen geworfen. Allerdings bemerke ich das erst einige Wochen nach seiner Einäscherung. Es war meine erste Session als Therapeut und er mein erster Patient. Vollkommen abgefuckt - irgendwie. Ich hänge den Job vorerst an den Nagel und lebe dahin. Vor etwa drei Wochen lerne ich Sepia auf einer Dating-Plattform kennen. Unser First läuft zwei Tage später und wir sehen einander seither fast täglich. Ich finde ihre Nähe mehr und mehr erfrischend. Sie strömt dazu auch etwas Beruhigendes aus. Mein inneres und äußeres Chaos sinkt ab wie Dreck in einem Eimer voll leichtem Wasser und sammelt sich am Boden. Das Aufgewühltsein ist abgewühlt. Die Isotopen meiner kürzlich aufgeblitzten Geisteskrankheit verlieren ihr grelles Licht und die Neutronen meiner Verlorenheit beginnen sich zu ordnen – teilweise verdampfen sie und nebeln meinen Blick ein - so als würde ich in einem Zug an einer mehr und mehr verschwimmenden Landschaft vorbei rasen. Leider hält dieser Zustand nur so lange an, als sie in meiner Nähe ist. Ohne sie stoppt der Zug und rast zurück in multiples Chaos. „Man könnte dich auch als ein menschliches Psychopharmazeutikum bezeichnen.“ „Finde ich witzig. Hat mir noch nie ein Typ gesagt.“ „Na ja, man sagt, es gibt immer ein erstes Mal. Erzähl mir doch weiter aus deiner Jugend, Baby.“ „Der Chauffeur meiner Mutter hatte mich als 12-Jährige mehrfach vergewaltigt. Nachdem ich es ihr erzählte, meinte sie: Ach was Kind, ein guter Chauffeur ist schwer zu finden. Damit war das Thema für meine Mutter erledigt.“ „Coole Mom. Was war mit dem Chauffeur?“ „Wir waren mal auf Madeira und dort gibt es das Cabo Girão, ist die höchste Steilküste Europas. Wir parkten den eingeflogenen (!) Bentley, gingen an den Rand und guckten runter. Das war echt magisch. Ich stupste den Scheißer fest von hinten und er segelte mit Gebrüll die rund 560 Meter runter. Er wachelte mit den Armen als wollte er fliegen. War irgendwie lustig.“ „Was sagte deine Mum?“ „Sie schüttelte nur den Kopf und meinte: Irgendwas habe ich bei deiner Erziehung falsch gemacht Kind. Wir redeten nie mehr darüber.“ „Auch cool. Ich liebe deine Anekdoten.“ Irgendwie ist sie ein Teil meines Universums und ich des ihren. Zwei ineinander verschmolzene Galaxien. Ich habe immer das Bedürfnis ihr was Besonderes zu sagen. Was Geiles für die Stimmung – irgend was Stimmiges. Aber nix Überschäumendes weil sie mag nix Moussierendes, Auch nicht unter- oder oberkühlt. Also was? Es gibt keinen Anlass für einen Triumphschrei, denn mein Leid ist mir sehr nahe. Andere interessieren mich null-komma-null. Irgendwas Ungenanntes grinst auf einmal in mir. Sicher ein blödes Wort, das ich dann mit versonnener Grimasse rausquieken würde. Nein. Heute ist der 14. November und ein Sonnenstrahl kitzelt die Jalousien. Das genügt. Ich bleibe lieber wortlos. Geändert von ralfchen (24.01.2022 um 04:56 Uhr) |
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