14.05.2014, 20:05 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Frevel
Frevel
Sie haben gesungen, gespielt und gelacht, in fröhlich-besinnlicher Runde, am Feuer gespeist und bis spät in die Nacht gelauscht der erstaunlichen Kunde des Fremdlings von Ländern und Meeren so fern. Er wusste genau zu berichten, verführte auf einen entlegenen Stern die Zuhörer seiner Geschichten. Er wiegte sie singend hinein in den Traum, das Trübe, es wurde das Klare, sie lösten sich schließlich von Zeit und Raum und schauten das Gute und Wahre; wie ernste Schamanen im Weltenbaum, sie spürten sein ruhendes Reifen, sie konnten den niemals erreichbaren Saum der ewigen Schöpfung begreifen. Am anderen Morgen, als gleißende Glut erschreckend kaum wagte zu tagen, da fand man den Fremdling im eigenen Blut, am Feuerplatz liegend, erschlagen. – Sie saßen am Feuer und aßen bei Nacht in furchtsam-gedrungener Runde. Es ward kaum gesprochen und niemals gelacht. Sie gingen vor Zeiten zu Grunde.
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
14.05.2014, 20:27 | #2 |
ADäquat
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Lieber Thomas,
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. © auf alle meine Texte
Geändert von Chavali (14.05.2014 um 21:20 Uhr) |
15.05.2014, 00:37 | #3 | |
TENEBRAE
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Hi, Thomas!
Wortgewaltig, rasch, ja fast fiebernd führt dein Gedicht den Leser in größte Höhen wie Tiefen! Vorweg ein paar Ratschläge und Peanuts: Zitat:
Da fragt man sich natürlich automatisch nach dem Mordmotiv, wo sie doch erst so begeistert waren von der größeren Welt, die der Fremde beschrieb! Der Titel sagt es in gewiefter Doppeldeutigkeit: Die Tat selbst mag auch ein Frevel sein, aber für diese Menschen aus einer kleinen Welt mit festen Ansichten und schlichten Wahrheiten war diese größere Welt, die ihre eigene, kleine ad absurdum zu führen drohte, der eigentliche Frevel: Neues zu lernen bedeutet auch immer, innerlich mitzuwachsen. Wer dazu nicht bereit ist, weil er die vermeintliche Sicherheit von Glauben und Tradition höher schätzt, wird letztlich auch bereit sein, jene zu erschlagen, deren Vision diese althergebrachten Werte ins Wanken zu bringen wagt. Große Wahrheiten erfordern große Geister mit großen Herzen! Ausgesprochen gern gelesen und innerlich applaudiert! Sollte Zwangslektüre für alle islamischen Hassprediger, alle christlichen Evolutionsleugner und alle ähnlich innerlich zu klein geratenen Fundamentalisten dieser Erde werden!!! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
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15.05.2014, 13:58 | #4 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Thomas,
dein Gedicht, obwohl es eine ganz andere Geschichte beschreibt, erinnert mich vage an Platons Höhlengleichnis. Hier kommt der Fremde aber in eine Gesellschaft, die das Licht bereits kennt oder zu kennen glaubt, denn er erzählt ihnen auch von den Dingen, die sie bisher nicht kannten. Die Gesellschaft wird gut zugehört haben, aber es wird einige darunter gegeben haben, die durch die Eröffnungen des Fremdlings die eigene Gesellschaftsordnung gefährdet sahen. Und so haben sie ihn umgebracht. Kein Wunder, dass sie zugrunde gegangen sind, denn wer sich gegen alle Einflüsse von außen sperrt, wird stagnieren und sich am Ende als lebensunfähig erweisen. Gehe ich richtig in der Annahme, dass dieses Gedicht auch ein Zeichen gegen Rassismus und Rechtspopulismus setzen sollte? Herzliche Inselgrüße Narvik
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Nur der fröhliche Mensch allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu finden. (Kant) |
24.05.2014, 18:42 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Liebe Chavali,
vielen Dank für das Lob. Die Geschichte habe ich mir selbst ausgedacht. Zuerst war das Metrum da, und da sich das so zum Erzählen eignet, kam mir die Geschichte in den Sinn, welche Gedanken erzählt, die ich mir gerade über Sinn und Wesen der Poesie mache. Lieber Erich, herzlichen Dank für die detaillierte Kritik. Du hast ja schon wiederholt gesagt, dass deine Korrekturen nur Vorschläge sind, deshalb hast du sicher Verständnis, wenn ich nicht Alles übernehme. Ich will Versuchen zu begründen warum, denn dein auf Sprachschönheit gerichteter Blick ist für mich ein wertvolles Maß, gegen das ich mich nicht ohne Grund versündigen darf. Ich möchte "das Trübe" und "das Klare" als Gegensatzpaar stehen lassen, obwohl dein Vorschlag sprachlich besser erscheint. Bei dir hat die sprachliche Schönheit immer höchste Priorität. Aber ich möchte mit dieser Zeile schon das "Raum und Zeit" der nächsten Zeile vorbereiten, und das bildlich Steigen des Nebels lenkt als Bild ein wenig in die falsche Richtung. Danke für den Punkt. Mit dem "und" statt "sie" bin ich mir unschlüssig. Sprachlich schöner ja, aber das doppelte "sie" erzeugt etwas mehr Spannung. Ich weiß, du lehnst alles Stoßende ab. Das Bild zu beginn der letzten Strophe (Glut) will sagen, dass die Sonne angesichts dessen, was sie sah, kaum aufzugehen wagte, so schrecklich war der Mord. Logisch passt das nicht, was daran liegt, dass die Sonnenglut als Person auftritt. Im Gedicht darf das meiner Meinung so sein. Das "niemals" in der letzten Zeile ist ganz wichtig: kaum gesprochen, aber nur ernst, niemals mehr froh. Denn wenn die Poesie stirbt, stirbt die Freude. Deine Interpretation ist genau auf den Punkt, und es freut mich, dass du die Doppeldeutigkeit des Titels so klar erfasst hast. Lieber Narvik, der Vergleich mit dem Höhlengleichnis ehrt mich. Er passt gut. Konkret hatte ich Rassismus etc. nicht im Blick. Liebe Grüße euch allen Thomas
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02.06.2014, 18:36 | #6 |
Lyrische Emotion
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Moin Thomas,
gefällt mir gut, deine kleine Ballade im "Schiller-Stil". Ich bin geneigt, mich Erichs Interpretation anzuschließen, denn der "Frevel" im Titel erscheint auch mir zweideutig in diesem Zusammenhang. Verführerische Reden von fernen Ländern und der großen Welt bedrohen meist die alten Sitten und Gebräuche und somit auch die herrschenden Machtstrukturen. Die Unwissenheit tut das Ihrige dazu und so erscheint der Mord eigentlich klar begründet, wenn man das so sagen darf, denn einen Grund für einen Mord gibt es ja eigentlich niemals. Auf jeden Fall hast du das sehr schön dargestellt und der Text konnte mich erreichen. Gerne gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
07.06.2014, 13:09 | #7 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Falderwald,
herzlichen Dank für das Lob. Der "Schiller-Stil" freut mich. Das Gedicht beschäftigt sich mit etwas, was mir wichtig ist und es freut mich, dass es dich erreicht hat. Liebe Grüße Thomas
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08.06.2014, 06:13 | #8 |
Furzeulenlyriker
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Das ist ein zeitlos-starkes Stück Lyrik, an dem es sprachlich wie inhaltlich nichts herumzukritteln gibt.
Den alten Schiller mit seiner ebenso überhöhten wie unhistorischen Griechenlandidealisierung erkenne ich darin allerdings nicht. |
08.06.2014, 17:09 | #9 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Schamansky,
herzlichen Dank für das Lob. Den "Griechentick" verzeihe ich dem ollen Schiller (und auch Goethe, der das angezettelt hat), denn sie habe ja versucht was Gutes damit zu machen. Liebe Grüße Thomas
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