30.08.2014, 13:58 | #1 |
Gelegenheitsdichter
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Beiträge: 3.210
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Die Liebe ist wie Atmen
Die Liebe ist wie Atmen
Die Liebe ist wie Atmen: Sie schlägt Wellen. Auf Gischt und Kämme folgen wieder Täler. Die Augen und die Lippen werden schmäler. Auf Dellen folgt ein wunderbares Schwellen, Ein Überschäumen und ein Sich-Umarmen. Man glaubt und hofft, es würde niemals enden. Die Liebe will gehegt sein, sich verschwenden, Sie will gepflegt sein, um nicht zu verarmen. Das Atmen ist nicht immer ganz synchron. Es ist die Kunst, beim andern zu erspüren, Wie er sich fühlt. Dann findet man den Ton, Die Worte, die uns zueinander führen. Die Liebe will das Atmen und die Wellen: Erst Ruhe schafft die Lust zum Überquellen.
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30.08.2014, 16:57 | #2 |
TENEBRAE
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HI, walther!
Ein insgesamt schönes Sonett. Ein paar Anmerkungen: S1Z3 - Dieser Satz findet für mich keinen Zusammenhang mit den anderen Zeilen. Warum sollen bei Liebe oder deren Erklärung die Lippen und Augen schmäler werden??? Abgesehen davon, dass bei positiven Gefühlen das Gegenteil der Fall ist, wirkt der Satz da sinnenthebelt hineingestopft, will weder zur Zeile davor noch zu jener danach passen. S1Z4 - "Dellen" erwarte ich im nach einem Unfall im Autoblech, sicher nicht im lyrischen Vergleich vom Auf und Ab der Liebe!!! Das Wort passt dazu wie Faust aufs Auge. In S3 finden sich 2 männliche Kadenzen, was ja beim Sonett nicht sein sollte. Nun, heute sieht man das nicht so streng (auch ich nicht), aber ich hab's gern ganz oder gar nicht, oder den Wechsel zumindest mit System. Also enteder nur männliche oder nur weibliche Kadenzen, und bei Mischformen zumindest einem Rhythmus folgend, zB wmmw in den Quartetten oder wmw in den Terzetten. Die Regel, die besagt, dass die allerletzten beiden Zeilen sich nie reimen sollten, da dies unlyrisch klänge, kennst du sicher auch. Ich erwähne das aber nur der Vollständigkeit halber, denn ich bin der Ansicht, dass dies - wie auch hier wieder bewiesen wird - eine sehr dumme und nicht nachvollziehbare Regel ist. Sehr gern gelesen! S2 und S4 gefallen mir am besten! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (31.08.2014 um 16:18 Uhr) |
31.08.2014, 12:51 | #3 |
Schüttelgreis
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Hi Walther und eKy,
nach meinem Eindruck sind etliche der strengen Regeln, die für die Sonettdichtung irgendwann (von wem?) postuliert wurden, in der dichterischen Praxis der deutschen Sonettdichtung nicht immer so streng eingehalten worden. Das gilt auch für die Forderung nach durchgängig weiblichen Kadenzen und für die Struktur der Reime in der Terzetten mit dem Verbot des Paarreims in den letzten beiden Zeilen. Schlegel geht sogar noch weiter und fordert für das romanische Sonett in den Terzetten eine Reimstruktur mit 2 x 3 Reimen, was er freilich selbst in seinem berühmten Lehrgedicht "Das Sonett", mit dem er im Sonett beschreibt, wie ein Sonett verfasst sein soll, selbst nicht einhält. LG Fridolin Geändert von Friedhelm Götz (31.08.2014 um 15:28 Uhr) |
31.08.2014, 20:59 | #4 |
Gelegenheitsdichter
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hi Fridolin, hi eKy,
danke für beide einträge. auch hier entspinnt sich wieder die grundsatzdebatte, was denn ein gutes sonett sei und was nicht. ja, die reimeschemata und die versmaße und -formen! da kann man sich balgen! lg w.
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31.08.2014, 21:28 | #5 | |
Schüttelgreis
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Zitat:
ich wäre ja mal sehr dankbar dafür, wenn mir klipp und klar gesagt würde, wie ein Sonett gestaltet sein sollte. Die Erklärungsversuche in diversen Foren verwirren mich mehr, als dass sie bei mir für Klarheit sorgen. LG Fridolin |
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01.09.2014, 12:51 | #6 |
Gelegenheitsdichter
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lb Fridolin,
wenn das so einfach wäre! da gibt es zum einen die traditionalisten. diese sagen: von Platen, der/das ist es. da gibt es die fortschrittlichen, die sagen, alles bullshit, nur die sog. inneren werte zählen. ich stehe wie du hilflos in der mitte, meine aber, mich zwar an die form der altvorderen annähern zu sollen, sie aber nicht für sakrosankt halten zu wollen. an anderer stelle habe ich mich mal wie folgt in meiner sonettpoetologie geäußert: die endreime sind m.e. ebenso wie die metrik kein konstituierendes sonettmerkmal. die wesentlichen merkmale des sonetts finden sich in seiner inneren struktur. sie sind: * die dialogische natur der ersten beiden strophen; dabei muß es sich nicht um these und antithese handeln, es ist auch ein innen/außen gegensatz möglich * die synthetische oder überleitungsstruktur der dritten strophe * die moral von der geschicht oder auch "message" der letzten strophe immer aber ist das sonett ein leer- und lerngedicht, in dessen thema sehr häufig die liebe, die schöpfung und der glaube eine wesentliche rolle spielen. damit habe ich die moderne interpretation des sonetts zusammengefaßt, wie sie heute nicht nur von mir vertreten wird. in der tat gibt es in meinen augen zur äußeren form folgende traditionelle schemata: (1) das italienisch-romanische sonett, das man auch unter "nach Petrarca-Art" subsummiert. (2) das englische sonett, das man auch "nach Shakespeare"-Art nennen kann. (3) das deutsche barocke sonett, das sechshebig, aber nicht immer in Alexandrinern geschrieben wurde; ich nenne es einmal der einfachheit halber das "Gryphius"-Sonett, (4) das deutsche sonett, das sich im 18. und 19. jahrhundert entwickelte; formal besonders prägend waren Friedrich Rückert (das ist der ältere der beiden) und August von Platen (der jüngere, der diesen furchtbaren streit mit Heine hatte, der am ende mit dem freitod des homosexuellen von Platen endete). meister Goethe lag zwischen beiden, hat aber hier einmal nicht prägend gewirkt, auch wenn das gewisse traditionalistInnen bis zum erbrechen wiederholen. heute kennen wir alle reimschemata, alle metren und auch kombinierte konstruktionen. alles ist erlaubt, solange das wesen des sonetts nicht aufgegeben wird, auch das gänzliche fehlen von endreimen und metrik ist dann akzeptabel, wenn das ergebnis in sich ein sonett ist, wie ich es oben beschrieb. ich habe bereits mehrere dieser gedichte hier veröffentlicht, das aktuellste steht hier: http://www.gedichte-eiland.de/showthread.php?t=12395 ich persönlich schreibe lieber in der form, weil sie die gedanken zusätzlich "diszipliniert". aber das ist meine entscheidung. wenn man allerdings in der form schreibt, dann muß die sprache in der form wunderbar fließen. wenn man sie verbiegen muß, dann ist der text nicht gut, nicht gelungen. das sei allen traditionalisten ins stammbuch geschrieben; und genau das war auch die schwäche des werks von August von Platen, daß die form inhalt und sprache vergewaltigte. Heine hat das in seinem berühmten sonettstreit mit von Platen wunderbar aufgespießt. einfach einmal nachlesen und sich dann fragen, was von dem, was man selbst unter andere texte geschrieben hat, noch bestand hat und welche der eigenen texte überhaupt in die nähe guter dichtung kommen. ich selbst würde diese einschätzung nicht für alle meiner publizierten sonette erheben. da man selbst sich schlecht "einordnen" kann, würde ich nicht einmal behaupten, daß das für die mehrzahl meiner sonettversuche gilt. ich hoffe, das hilft weiter. die letzte und (end-)gültige sonettdefinition ist das nicht. du wirst dich sehr schwertun, eine, die die mehrheit hinter sich versammelt, zu finden. lg w.
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mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt Alle Beiträge (c) Walther Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt Geändert von Walther (01.09.2014 um 12:58 Uhr) |
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