|
Kurzgeschichten Geschichten, Erzählungen, Märchen, Fabeln |
|
Themen-Optionen | Ansicht |
24.11.2016, 18:59 | #1 |
Gast
Beiträge: n/a
|
Der kleine Große Rabe
Der kleine Rabenvogel, den ich halbnackt und zerrupft, zu Tode erschöpft und halb verhungert aufgelesen und erfolgreich hochgepäppelt habe, sitzt in freudiger Erwartung auf meiner Schulter. Bald ist die Lichtung erreicht, und mit fröhlichem Schnarren schwingt er sich für seinen täglichen Rundflug in die Lüfte, während mein Pferd geruhsam zu grasen anfängt und ich in die friedliche Sonne blinzle. Das mag auch der Grund sein, weshalb ich die Reiter, die aus dem Wäldchen angeritten kommen, erst bemerke, als mein kleines Findelkind unvermutet und mit aufgeregtem Krächzen zurückkehrt und sich auf meinem Hut niederlässt, wo es unruhig von einem Bein aufs andere steigt und kreischend mit den Flügeln schlägt. Der Trupp wilder Krieger, der mit Speeren, Pfeil und Bogen und alten Gewehren bewaffnet auf mich zu prescht, zügelt unwillkürlich die herrlichen Mustangs, als er meines Rabentiers ansichtig wird. Hinter greller Kriegsbemalung funkeln mich lauernde Augen an, zwei an ihren prächtigen Federbüscheln im Haar erkennbare Anführer wechseln ein paar laut gerufene Worte, die ich nicht verstehe, während ihre Pferde, jäh im schnellen Lauf gehemmt, nervös herum tänzeln. Es muss sich um eine Gruppe von Crow handeln, die Anrainer der Blackfoot, die die Jagdgründe südlich der Nitsitapi ihr eigen nennen seit es sie und ihre Stämme gibt, deren Gebiet sich bis an die Nordgrenze der Jagdgründe der Cheyenne erstreckt, und die sich außerdem allem Anschein nach ziemlich unzweifelhaft auf dem Kriegspfad befinden. Eine heikle Situation, da ich als fremder Eindringling und grundsätzlich mal feindliches Bleichgesicht kaum etwas über ihre Sitten und Gepflogenheiten weiß und ihrer Sprache nicht einmal bruchstückhaft mächtig bin. Grund genug, mich so ruhig wie möglich zu verhalten, sprich einfach auf meinem Gaul hocken zu bleiben, mit Rabenkrähe auf dem Hut dämlich in der Wiese rumzustehen und abzuwarten, wie lange mein Skalp wohl noch fest sitzen mag, der bereits unangenehm kräftig zu jucken anfängt. Nach ein paar heftigen Verlautbarungen des Ältesten der kriegerischen Speerspitze, mit ebensolcher in erhobenem Arm, kommt derselbe mit den zwei Federbüschelträgern vorsichtig angetrabt, bis auf einige Meter vor meine weiß gewordene Nase, wo die drei, mich wachsam musternd, stumm und so gut wie reglos verharren. Das Zaumzeug ihrer Pferde ist sehr viel mehr prächtiger Schmuck als Reitzubehör, einer der Anführer sitzt auf der Satteldecke eines herrlichen Pumafells, sein scheckiger Hengst trägt eine schmucke Federhaube zwischen den spielenden Ohren. Ihre größte Aufmerksamkeit aber gehört meinem Rabenkind, die sich inzwischen entschlossen hat, diese seltsamen Fremdlinge mit den bemalten Gesichtern, Armen und Oberkörpern ausgesprochen anziehend und spannend zu finden. Es hüpft forsch auf den Scheitel zwischen den grauen Ohren meiner Schwarzen, die diese Kapriolen längst gewohnt ist, und wird nicht fertig damit, den kleinen Kopf nach ihnen zu verdrehen und das Triumvirat mit seinen tiefschwarzen Augen ausgiebig und neugierig zu mustern, wobei der Wicht Laute von sich gibt, für die es keine sprachliche Umschreibung gibt. Irgendwo zwischen Knarzen, Gluggern, Gloggern, Krächzen, Gackern, Schnattern und Schnarren angesiedelt, klingt es sinngemäß wie ein „Was seid ihr denn für komische schräge Vögel, habt ihr was Leckeres dabei, ich armes verwaistes Küken bin am Verhungern, oder wollt ihr mit mir spielen, ich kann schon fliegen, ihr auch?“ Und was das Kerlchen eben so alles vor sich hin brabbelt, wenn es gilt, vielversprechende Neuankömmlinge um die kleinen Krallen zu wickeln. Die misstrauisch finsteren Gesichter der drei durchaus nicht vertrauenerweckenden Gestalten jedenfalls beginnen sich bei seinem lebhaften Vortrag aufzuhellen, ja der Anflug eines Lächelns huscht über die Miene des Älteren, ehe er ein paar forsche aber durchaus respektvolle Worte an mich richtet, die ich sehr viel weniger verstehe und deuten kann als die meines grade mal flügge gewordenen Rabenjungen. Aber es scheint sich um eine Frage gehandelt zu haben, da alle drei ganz offensichtlich gespannt auf eine Antwort warten. Ich erzähle also mit dem Mute der Verzweiflung die Geschichte meines Findelkindes, wo ich es fand, wie ich gegen seinen beharrlichen Widerwillen durchsetzen konnte, ihm den Schnabel zu stopfen, bis es rasch selber fressen vielmehr schlingen konnte, auch unersättlich tat und fortan unerbittlich ständige, niemals abreißende Verköstigung einforderte, wie der kleine Frechdachs immer zutraulicher, vor allem aber unverschämter wurde und so fort, wobei ich oftmöglichst das Wort Crow für Krähe einfließen lasse in meinen Redeschwall in der vagen Hoffnung, das sie wenigstens den amerikanischen Sammelbegriff für ihre losen Stammesverbände kennen und als freundliches Entgegenkommen meinerseits zu deuten wissen. Außerdem rede ich mit Händen und Füßen, wobei ich dem Kleinen immer wieder zart aufs vorwitzige Schnäbelchen klopfe, bis er auf meine Schulter geflattert kommt, mich recht kräftig am Ohr zupft und mit rabenschwarzer Herzlichkeit schmerzlich in dasselbe zwickt als Liebeserweis und Ausdruck innigster Zuneigung. Bis mir nichts mehr Rechtes dazu einfallen will, doch was auch immer von meinem konfusen Gestammel zu den Kämpfern durchgedrungen ist, es scheint sie zu beeindrucken. Der Ältere lotst sein Pferd drei Schritte näher heran und grüßt mich sehr zu meiner Überraschung mit dem Brudergruß, jedenfalls deute ich die Gesten seiner Hand zwischen Stirn und Herz und von dort in meine Richtung auf diese Weise. Dann gibt er einen kurzen, sehr bestimmten Befehl, die drei imposanten Erscheinungen wenden synchron ihr Pferd und galoppieren würdevoll aufrecht zu der wartenden Gruppe zurück, die es ihnen gleichtut und ihren Anführern wortlos folgt, bis alle wie ein Spuk im Wäldchen verschwunden sind, während sich mein Rabenkrähenkind bitterlich zeternd darüber beklagt, dass die geizigen Kerle kein einziges Leckerli rüberwachsen haben lassen. Ich werde nicht so richtig schlau aus der unwirklichen Begegnung, bis ich einige Wochen später auf einen herumreisenden Fotografen treffe, der sich vorgenommen und in den Kopf gesetzt hat, so viele Aufnahmen wie nur irgend möglich von den verschiedensten Indianerstämmen zu machen, ehe sie denn ganz von der Bildfläche verschwunden sind. Edward S. Curtis, dieser kluge und bewundernswerte Mann, dessen Arbeit sicher in gar nicht allzu ferner Zukunft unendlich wertvoll sein wird, erzählt mir von einer seltsamen Begebenheit, von der er jüngst bei den Crow gehört habe, wo die Geschichte eifrig die Runde macht. Ein fremdes Bleichgesicht aus dem tiefen Süden - was sie von seinem sonnengegerbten und ausgezehrten Gesicht, vor allem aber seiner absonderlichen Bekleidung und nachgeradezu geisterhaften Erscheinung ablesen hätten können - sei zu ihnen in den Norden gekommen, ein rätselhafter weißer Bacheeítche, der mit dem Geist des großen Raben, des Vaters aller Söhne und Töchter der Crow, sprechen könne. Der weißhäutige „Gute Mann“ trägt ihren Schöpfer in Gestalt eines seiner schwarz befiederten Kinder auf der Schulter, das ihm ins Ohr flüstert, seinen Hut als Nest erwählt hat und auf dem Kopf seines runden schwarzen Pferdes mit Rabengesicht reitet. Die Gedanken des großen Raben, dessen mächtige Schwingen das Sternenzelt umspannen von einem Ende zum andern, seien durch das Rabenkind in das Bleichgesicht eingegangen, er selbst habe aus ihm gesprochen und ihren Häuptlingen geboten, ihren Kriegszug gegen einen Stamm von Crow Brüdern, mit dem sie in Streit geraten waren wegen einiger gestohlener Pferde, auf der Stelle abzubrechen. Der große Rabe wolle, dass alle Völker der Crow in Frieden miteinander leben. Das sei der Wille des großen Raben, und auf diesem Weg habe er ihn seinen Söhnen und Töchtern kundgetan. Das sei sehr ungewöhnlich, meint Curtis abschließend, dass ein Weißer in irgendeiner Form Einfluss auf eine ihrer Entscheidungen habe, noch dazu ein Fremder auf eine von dieser Tragweite und Bedeutung. „Hm“, erwidere ich verblüfft und redlich sprachlos, „schon sehr seltsam, das stimmt wohl, aber ich glaube, es geht da sehr viel mehr um den Rabenvogel als um das Bleichgesicht, wenn du mich fragst, der kleine Rabe ist die eigentliche Hauptperson bei dem Ganzen.“ Er gibt mir Recht, das sei einleuchtend und naheliegend. Tatsächlich vereinigen sich in diesen Tagen die bis dahin unabhängig voneinander lebenden und in Gruppen verstreuten Stammesverbände der Crow zu einer großen, geschlossenen und nicht zuletzt mächtigen Union. Mein Rabenzögling hat zu diesem Zeitpunkt längst die Freiheit des wilden Lebens für sich entdeckt und den Himmel samt Erde erobert, ich hab den großen Friedensstifter nie mehr wiedergesehen. Geisterhafte Erscheinung... kann mich nicht einmal mehr erinnern, was für Klamotten ich an diesem denkwürdigen Tag getragen habe... rundes Pferd... Frechheit! Buchauszug: Ga'an Desperado-Der Federhut |
27.11.2016, 12:28 | #2 |
Gast
Beiträge: n/a
|
Hallo wozi,
Die Tiergeschichte ist eingebunden in die Zeit, wo sich Indianer und Weiße in Amerika begegneten. Nicht immer ging das friedlich vonstatten. Hier streift ein weißer Mann durch die Indianergebiete der Crow, und hat einen jungen Raben als Begleiter. Diesen Text finde ich besonders gelungen: >>>>>Ihre größte Aufmerksamkeit aber gehört meinem Rabenkind, die sich inzwischen entschlossen hat, diese seltsamen Fremdlinge mit den bemalten Gesichtern, Armen und Oberkörpern ausgesprochen anziehend und spannend zu finden. Es hüpft forsch auf den Scheitel zwischen den grauen Ohren meiner Schwarzen, die diese Kapriolen längst gewohnt ist, und wird nicht fertig damit, den kleinen Kopf nach ihnen zu verdrehen und das Triumvirat mit seinen tiefschwarzen Augen ausgiebig und neugierig zu mustern, wobei der Wicht Laute von sich gibt, für die es keine sprachliche Umschreibung gibt. Irgendwo zwischen Knarzen, Gluggern, Gloggern, Krächzen, Gackern, Schnattern und Schnarren angesiedelt, klingt es sinngemäß wie ein „Was seid ihr denn für komische schräge Vögel, habt ihr was Leckeres dabei, ich armes verwaistes Küken bin am Verhungern, oder wollt ihr mit mir spielen, ich kann schon fliegen, ihr auch?“ Und was das Kerlchen eben so alles vor sich hin brabbelt, wenn es gilt, vielversprechende Neuankömmlinge um die kleinen Krallen zu wickeln. Die misstrauisch finsteren Gesichter der drei durchaus nicht vertrauenerweckenden Gestalten jedenfalls beginnen sich bei seinem lebhaften Vortrag aufzuhellen, ja der Anflug eines Lächelns huscht über die Miene des Älteren, ehe er ein paar forsche aber durchaus respektvolle Worte an mich richtet, die ich sehr viel weniger verstehe und deuten kann als die meines grade mal flügge gewordenen Rabenjungen. Aber es scheint sich um eine Frage gehandelt zu haben, da alle drei ganz offensichtlich gespannt auf eine Antwort warten. Ich erzähle also mit dem Mute der Verzweiflung die Geschichte meines Findelkindes, wo ich es fand, wie ich gegen seinen beharrlichen Widerwillen durchsetzen konnte, ihm den Schnabel zu stopfen, bis es rasch selber fressen vielmehr schlingen konnte, auch unersättlich tat und fortan unerbittlich ständige, niemals abreißende Verköstigung einforderte, wie der kleine Frechdachs immer zutraulicher, vor allem aber unverschämter wurde und so fort, wobei ich oftmöglichst das Wort Crow für Krähe einfließen lasse in meinen Redeschwall in der vagen Hoffnung, das sie wenigstens den amerikanischen Sammelbegriff für ihre losen Stammesverbände kennen und als freundliches Entgegenkommen meinerseits zu deuten wissen. Außerdem rede ich mit Händen und Füßen, wobei ich dem Kleinen immer wieder zart aufs vorwitzige Schnäbelchen klopfe, bis er auf meine Schulter geflattert kommt, mich recht kräftig am Ohr zupft und mit rabenschwarzer Herzlichkeit schmerzlich in dasselbe zwickt als Liebeserweis und Ausdruck innigster Zuneigung. Bis mir nichts mehr Rechtes dazu einfallen will, doch was auch immer von meinem konfusen Gestammel zu den Kämpfern durchgedrungen ist, es scheint sie zu beeindrucken. >>>>> Da mußte ich lächeln, ob der genauen Bobachtungsgabe von dem Vogel. * Rabensmiley* Sehr gerne habe ich „ der letzte Monikaner“ gelesen und im Fernsehen gesehen, ich weiß diese Filme sind weit von der Realität entfernt. Doch nichtssotrotz haben sie meine Begeisterung für das Leben der Indianer und fremde Völker entfacht. Romantisch wäre wohl der Ausdruck für meine Begeisterung. Sie ist einer Nüchternheit gewichen, weil fast alle ursprünglichen Völker auf diesem Erdball in die Konsumgesellschaft hineingezwungen wurden. Manchmal mit deren Einverständnis, manchmal radikal erobert und bekriegt! Hier ist ein Rabe ein Bote, und er baut eine Brücke zwischen dem weißen und dem roten Mann. Wenn es immer so friedlich auf der Welt zugehen würde mittels den Tieren, wären wir Menschen ein Stück weiter auf dem Weg in eine friedliche Welt! Deine Schreibweise ist leicht nachzuvollziehen, und wenn man erst einmal angefangen hat mit dem Lesen, dann liest man auch weiter. Die Rabengeschichte ist weise und lustig. Liebe Grüße sy Geändert von juli (27.11.2016 um 19:25 Uhr) |
27.11.2016, 16:39 | #3 |
Gast
Beiträge: n/a
|
Hallo Sy,
tatsächlich hat der kleine Rabe ein wirkliches Vorbild. Ansonsten danke ich Dir herzlich für Deine Worte, die meine Intention für (nicht nur) diese Geschichte auf den Punkt bringen, weshalb ich sie auch nicht weiter zerreden will. Liebe Grüße Wozi |
Lesezeichen |
Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1) | |
|
|
Ähnliche Themen | ||||
Thema | Autor | Forum | Antworten | Letzter Beitrag |
Der Rabe | Thomas | Finstere Nacht | 12 | 13.11.2022 18:23 |
Das (kleine) große Lied | Terrapin | Finstere Nacht | 2 | 29.06.2015 22:43 |
Kleine geschichte von große stadt | Jean | Kurzgeschichten | 1 | 31.12.2012 17:22 |
Kleine Rädchen und große Räder | Stimme der Zeit | Diverse | 0 | 12.01.2012 15:14 |
Die große Eislüge | forelle | Der Tag beginnt mit Spaß | 3 | 20.07.2009 21:34 |