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26.11.2016, 00:39 | #1 |
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Ort: Hilden, NRW
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Singen wollte ich nicht
Junikäfer, diese späten Brüder der Maigeborenen, schwirren. Lau ist der Abend, die Dämmerung kriecht aus dem Wald herauf, leises Singen klingt vom Hügel zu mir.
Ich gehe hügelan, froh, die Pumps gegen Turnschuhe getauscht zu haben, sehe die Käfer, die Mücken gleich von lodernden Flammen angelockt, verbrannt werden. Möwen schießen herab, streifen fast mein Haar, erhaschen, was nicht vom Feuer gefressen wird. Um das Feuer ein Dutzend Mädchen und gleichviel Jungen, zwölf, dreizehn Jahre alt. Mein Gott, wie jung sie sind! Ein paar sitzen dabei, etwas älter, vielleicht Betreuer. Funken stieben auf, manchmal fliegt ein Scheit ins Feuer; es lockt mich in seinen Bann - ich verstehe die Käfer. Die Möwen haben eine reich gedeckte Tafel. Der Kreis der Jungs und Mädchen ist nicht ganz geschlossen, zu stark wohl die Hitze, vielleicht auch zu beißend der Rauch. Dicht beieinander hocken und sitzen alle, singen Lieder aus der Mundorgel, mal ein Lied von der Liebsten, vom scheidenden Jüngling, von irgendeiner entfernten Heimat. Im Zwielicht blinzelt die Venus als erste, setzt ihr strahlendes Lächeln auf, die einbrechende Nacht malt mit unzählbaren Sternen ihre Bilder. Meine Augen wandern über die Gruppe, suchen einen freien Platz und finden ihn neben einem, der auf einer Luftmatratze sitzt. Seine Augen spiegeln, wenn er den Kopf bewegt, die gelben Flammen. Gerade noch umschlangen seine Arme die Knie, jetzt streckt er die Beine aus, sein Körper dehnt sich, er greift hinter sich, die Hand bringt eine Flasche aus dem Dunkel. Durst! Plötzlich habe ich Durst. Setze ich mich neben ihn? Ich könnte als aufdringliches Mädchen gelten - ich sitze neben ihm. Er singt mit baritonal gefärbter Stimme, singt lauter als die anderen. Kurze Pause - er nimmt einen Schluck und dann darf ich meinen Durst stillen. Brennend rinnt der Alkohol in die Kehle, ich huste und er will sich totlachen, dieser dumme Kerl. Haha, ich glaube, ich muss auch lachen, damit er seine Freude hat. Frech ist er. Sein Arm liegt um meine Schultern. Ob er das selbst überhaupt gemerkt oder gewollt hat? Angenehm ist es schon auf dem feuerabgewandten Rücken gewärmt zu werden, aber unverschämt kumpelhaft ist es auch. Aber - das Angenehme überwiegt. Das Feuer ist ein niedergebrannt. Er nimmt Holzscheite, wirft sie ins Feuer. Gesichter erglühen aus der Dunkel-heit. Der Gesang ebbt ab. Mein Nachbar greift in die Brusttasche (wie kühl meine Schultern werden!) und holt eine ziemlich zerknautschte Zigarettenschachtel heraus, zündet zwei Glimmstengel "zünftig" an - ein Feuerzeug hätte es auch getan - aber so ein Stock mit Glut und Flämmchen - Mensch, kommt der sich toll vor! Mir schiebt er eine Zigarette zwischen die Lippen, ob ich überhaupt rauchen will, scheint ihn nicht zu interessieren. Ein heimlicher Kuss? Ich will ab sofort romantisch sein, also war es einer. Ich spüre ein wenig Unsicherheit bei ihm, trotz seines betont männlichen Gehabes, denn nur verstohlen suchen seine Augen nach einem Blick-kontakt mit mir. Die Verlegenheit erschlägt er mit dem nächsten Lied, singt laut, will die anderen mitreißen. Meine Schultern frösteln. Legt er seinen Arm wieder hin? Einen Rundgesang will er haben. Ein Mädchen ziert sich, die Jungen grölen im Chor: "Ach, liebe Ilse, sing ein Lied, sing ein Lied, sing ein Lied, ...", und Ilse singt mit dünner Mädchenstimme. Irgendwann ist die Reihe an mir. Ich will nicht singen, kenne all die Jungs und Mädels nicht, bin verlegen, singe dann doch, singe das Lied: "Dat du min Leevsten büst,...", das ich von meiner Freundin gelernt habe. "Wo kommst du her?" "Nicht von der Küste." Die anderen singen weiter. "Wie heißt du?" - "Heinke." "Ein ungewöhnlicher Name." - "Ich bin ja auch ein ungewöhnliches Mädchen." - "Aha!" Sein Arm liegt wieder da wo es schön ist. Zurecht gesägtes Holz und Kloben werden ins Feuer geworfen. Wieder ein Schluck aus der Flasche, wieder dieses Brennen im Hals. Bloß nicht wieder husten! "Du hast eine sehr dunkle Stimme, so Richtung Alt."- "Wenn ich noch mehr von diesem Fusel trinke, dann spreche ich morgen als Bass vor." "Muss man sprechen?" Blöde Anmache! Sein Grinsen gibt mir Recht. "Gefällt es dir bei uns, ist doch schön, oder?"- "Ja, nur ... der Bauch ist warm, aber der Rücken friert." Habe ich das wirklich gesagt? Er zieht mich zu sich heran. Eine beschützende Geste. Ich lass mich ziehen, schaue wie er ins Feuer. Gedankenfetzen, unsinniges, ungereimtes Zeug, gehen mir durch den Kopf. Wegen des Alkohols? Schöne Ausrede, das mit dem Schnaps! Er steht auf, schlendert hangabwärts, schaut sich einmal nach mir um, sagt kein Wort, geht weiter. Nach kurzer Zeit treffen wir uns als seien wir verabredet unten am Angelsteg. Da sitzt er und lässt die Füße im Wasser baumeln. Wieder bin ich neben ihm. "Bin ich aufdringlich?" - "Nein, ... ich freue mich, dass du gekommen bist." - "Hast du noch ne Zigarette?" Diesmal muss er Streichhölzer nehmen. Das kurze Aufleuchten der Flamme lässt wenig Zeit für den Blick auf seine Hände, schöne Hände, wie ich glaube zu sehen. "Gehen wir ein bisschen?" Weil es dunkel ist und weil der Weg eher zu ahnen als zu sehen ist und weil, ach, ich weiß nicht weshalb noch, nimmt er meine Hand. Spinnweben kitzeln, dünne Zweige streifen mein Gesicht, manchmal stolpern wir über Wurzeln, aber er scheint ein Ziel zu haben. Rechts plätschert ein Bach, links baut der Wald eine dunkle Wand, über uns ein Sternenhimmel, den es so gestern, vorgestern, den es eigentlich noch nie so gab. An einer kleinen Brücke hocken wir uns auf das wacklige Geländer. Fragen, Antworten, suchende Blicke, Aneinanderrücken - es war romantisch. Er hat mich beobachtet, seit Tagen, hat meine Freundin ausgefragt über mich. "Nett" findet er mich. "Du bist jetzt meine Bachbrückennixe", das fand ich netter als "nett". Vor seinem ersten Kuss bin ich nicht zurück gewichen. Seine Küsse sind, ... nun ja, er kann küssen. Er steht auf, hilft mir vom Geländer herunter, gemeinsam gehen wir ein Stück den Hügel hinauf. Meine Gedanken fahren Karussell, in meinem Kopf ist Jahrmarkt. Stachliges Gras an meinen Waden und über mir der sternklare Himmel. Ich höre kein Singen mehr vom Feuerplatz. Die Erde ist uns Himmelbett, der Himmel explodiert. Langsamer, ruhiger atmen! Die Sterne - auf einmal sehe ich die Sterne wieder. Das Gras kitzelt mich. War es schön? Hat er, Gott sei Dank, nicht gefragt. Schön, schöner, am schönsten, wunderbar war es, wie sonst würde ich noch heute daran denken? Morgen, übermorgen, jeden Tag, immerzu soll ich seine Bachbrückennixe sein. Ich gehe zurück, den Weg zurück, den ich gekommen bin. Leise habe ich gesungen, habe den ganzen nächsten Tag gesungen und wollte doch gar nicht singen. Geändert von Felix (14.01.2017 um 00:54 Uhr) |
13.01.2017, 21:51 | #2 |
ADäquat
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Beiträge: 13.004
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Lieber Felix,
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14.01.2017, 01:03 | #3 |
Gesperrt
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Liebe Chavali,
ja, ein bisschen längere Geschichten müssen wohl auch länger auf eine Reaktion warten. Aber wenn sie dann so liebenswürdig wie Deine ist, freut man sich umso mehr über das damit verbundene Lob! Ich habe auf Deinen Rat gehört und paar Absätze rein gebracht. Neugierig wäre ich noch, ob ich es einigermaßen hingekriegt habe, mich in die Psyche eines weiblichen LI zu versetzen. Nebenbei: Eine wahre Geschichte, die vor langer, langer Zeit wirklich passiert ist und wahrscheinlich ist die schlichte Erzählung schon fast poetisch. Die "Bachbrückennixe" ist drei Jahre nach diesem frühsommerlichen Erlebnis durch einen tragischen Verkehrsunfall zu Tode gekommen. Liebe Grüße, Felix |
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