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Der Tag beginnt mit Spaß Humor und Übermut

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Alt 11.01.2012, 19:55   #1
Friedhelm Götz
Schüttelgreis
 
Registriert seit: 02.11.2011
Beiträge: 954
Standard Verdorbene Rache

Ein Mensch erlitt einst großen Schaden
durch einen falschen Kameraden,
schwor Rache und sah schon im Geist,
wie er den Kerl in Stücke reißt.

Doch um es listig zu beginnen,
ließ er erst etwas Zeit verrinnen,
um dann mit doppeltem Genuss
zu setzen den finalen Schuss.

Klammheimlich baute er die Hürde,
woran der Erzlump straucheln würde,
und blieb, die Rache auszukosten,
fortan geduldig auf dem Posten.

Nachdem er lang genug gewartet,
schien es ihm Zeit: „Jetzt wird gestartet.“
Doch ach, kaum dass er dies verkündet,
die Lunte, listgelegt, gezündet,

ward seine Rache ihm verdorben –
sein Kontrahent war grad gestorben!
So stand es schwarz, in großen Lettern,
am Morgen in den Tagesblättern.

Der Mensch, der Rache schnöd beraubt,
flucht: Was der Hundsfott sich erlaubt!
Jetzt hat der Schurke über Nacht
mich um die Rache noch gebracht!"

Er stürzt betrübt ins Seelentief...
Doch dann bekommt er einen Brief:
Der Unmensch, der ihn einst verletzt,
hat ihn als Erben eingesetzt,

um so dem Menschen Dank zu sagen,
dass der ihm nie was nachgetragen.
Der Mensch, bei so viel Edelmut,
hält sich am Ende selbst für gut.
Friedhelm Götz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.01.2012, 08:21   #2
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Stimme der Zeit
 
Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
Standard

Hallo, Fridolin,

so kann's gehen. Eine feine "menschliche Charakterstudie", die ich hier lesen kann. Das "Racheobjekt" ist also eines von der besonders gemeinen Sorte - einfach vorher wegzusterben und so den "Rächer" frecherweise um seinen "Thriumph" zu bringen ...

Ich habe mich ohnehin schon oft im Leben gefragt, was da eigentlich "dran" ist. Jemand begeht mir gegenüber ein Unrecht. Also "schlage ich zurück". Was ich verstehe, sind "Affekthandlungen", wir sind ja alle Menschen. Und in der ersten Wut kann die Vernunft schon mal abhanden kommen. Aber abzuwarten, um einen Racheakt sorgfältig zu planen und sicherzustellen, dass er auch viel gemeiner ist, als das zuvor begangene Unrecht des anderen, das habe ich noch nie begriffen (nebenbei: Da hätte ich eine Weile zu tun, fraglich, ob ich dann das nächste Jahrzehnt noch etwas anderes tun könnte ... ).

Ich finde es, ehrlich gesagt, eigentlich primitiv. Und man stellt sich als Rächer ein Charakterzeugnis aus, von dem ich nicht möchte, dass es mir jemand ausstellt. Damit bin ich nicht besser als der, an dem ich mich rächen möchte, im Gegenteil, damit stehe ich noch auf einer Stufe "tiefer unten" als jener, der das Unrecht an mir beging. Das wusste schon Schiller, in seinem Wilhelm Tell sagt er es auch: Zitat - "Rache trägt keine Frucht! Sich selbst ist sie die fürchterliche Nahrung." Und auch der Volksmund bietet etwas Passendes: Rache ist ein zweischneidiges Schwert. Oder China: "Wer auf Rache aus ist, der grabe zwei Gräber." Letzteres ist besonders zutreffend.

Ich schmunzle genüsslich darüber, dass aus der Rache nichts wurde, und auch darüber, dass der Verstorbene noch "eins draufsetzt" und mit etwas kontert (buchstäblich aus dem Grab heraus), dem ein Rächer nun gar nichts entgegenzusetzen hat: Großmut. Der ist so effektiv, dass er noch aus dem Grab heraus mitten ins Schwarze trifft.

Erinnert mich auch irgendwie an Schopenhauers Ausführungen über die "Ritterehre", die er als "Akt der Barbarei" bezeichnete. Womit er absolut recht hat. Ein "Rächer" stellt sich selbst nur ein "moralisches Armutszeugnis" aus. "Auf zum Duell" oder so.
Leider begegnet man dem ständig, ich las darüber mal etwas, das mich, wie dein Gedicht, sehr belustigte: Ein Mann und eine Frau ließen sich scheiden. Das ging so weit, dass sie wie verrückt irgendwelche Waren bestellte (im Namen des Noch-Ehemannes natürlich), ihm so eine Menge Schulden verursachte und die "wildesten Geschichten" über ihn überall herumerzählte, was er doch für ein unglaublich schlechter Ehemann (und ausgesprochen mieser Charakter) gewesen sei - woraufhin er mit einer Axt (ja, wirklich) hinging, und die gesamte Wohnungseinrichtung zerhackte. Danach warf er den Schmuck der Frau in den Müll, zerriss und zerschnitt ihre Kleidung und auch ihre Schuhe. Ein "Rosenkrieg" also. Der Mann sagte später aus, sein Motiv sei es gewesen, sicherzustellen, dass der Frau "nichts blieb", denn er wisse ja nicht, was sie bei der Scheidung zugesprochen bekäme, - er wollte "sichergehen" - womit er natürlich auch alles "zerhackte", was er eventuell bekommen hätte. So viel zum Thema "Vernunft". Mir ist schon lange klar, dass "Homo sapiens" (der "einsichtsfähige/weise" Mensch ) zwar "vernunftbegabt" ist, aber im konkreten Fall nichts mit dieser "Begabung" anzufangen weiß, da er sie beim geringsten Anlass aus dem Fenster zu werfen pflegt. Was tatsächlich meiner Auffassung von Ehre querliegt, da diese eine ganz andere ist.

Die Conclusio im Gedicht ist wirklich sehr gut gelungen, meiner Meinung nach. Ja, es ist davon auszugehen, dass der "Rachegewillte" sich prompt für einen ausgesprochen edelmütigen Menschen hält und sich davon sicher gründlich selbst überzeugt. Was an seinem Charakter nichts ändert, aber ich denke, dass es im tatsächlich gegebenen Fall genauso ablaufen würde. Ja, der Edelmütige wird sicher auch noch hingehen, seinem verstorbenen Kontrahenten so manche Träne hinterherweinen und allgemein verkünden, um was für einen guten Menschen es sich doch gehandelt habe ...

Schön lustig-ironisch-bissig und treffend geschrieben, Fridolin, gefällt mir sehr gut!

Formal finde ich den vierhebigen Jambus gut passend, und der Paarreim ist hier schon richtig, das unterstützt sowohl die "humorvolle Note" als auch die "Aussage". Nur bei einem Vers habe ich Schwierigkeiten, dem Jambus zu folgen, da für mich der Versbeginn eindeutig trochäisch ist:

Zitat:
flucht: Was der Hundsfott sich erlaubt!
Es gibt zwar Verse, wo es ähnlich ist, mir aber leicht fällt, sie trotzdem mit Auftakt zu lesen. Hier liegt es meines Erachtens nach am Doppelpunkt, der mich unwillkürlich das "flucht" besonders betonen lässt. Allerdings merke ich es nur an, denn ich wüsste keine Alternative, außer, den Vers komplett zu ändern - und "Hundsfott" brachte mich zum Kichern. Daher sage ich es nur und meine, dass der Vers ruhig trotzdem so stehen bleiben soll. Der "Inhalt" ist es sozusagen "wert".

Mit Genuss und Amüsement sehr gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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Alt 12.01.2012, 09:59   #3
fee
asphaltwaldwesen
 
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köstlich und spritzig erzählt, fridolin!


da sind für mich ein paar ganz feine wortschmankerl drin, wie z.bsp.

Zitat:
Klammheimlich baute er die Hürde,
woran der Erzlump straucheln würde,
Zitat:
Der Mensch, der Rache schnöd beraubt,
Zitat:
Er stürzt betrübt ins Seelentief...

daran hab ich mich sehr erfreut beim lesen. das ist wortwitz und -gewandtheit, wie ich sie mag. das erzähltempo ist genau richtig für die geschichte.

ich finds richtig gut!!!


schmunzel-grüße

fee
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Alt 12.01.2012, 11:44   #4
Chavali
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Hallo Fridolin,

mich erinnern deine Verse ein wenig an die Ein Mensch - Gedichte von Eugen Roth,
die ja auch immer gewisse menschliche Schwächen aufs Korn nehmen

Das ist wieder ein Text, der auf der Bühne für Lacher sorgen würde und auch hier
habe ich geschmunzelt

Das Motto: Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein
ist eben auch heute noch gültig.

Sehr gern gelesen!

Lieben Gruß,
Chavali
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© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
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Alt 13.01.2012, 07:15   #5
Sidgrani
Von Raben umkreist
 
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Beiträge: 1.051
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Hallo Fridolin,

dein Gedicht lässt sich leicht und flüssig lesen und kommt humorvoll und spritzig rüber, das gefällt mir.

Ich sehe, dass nicht nur Eugen Roth, sondern auch Wilhelm Busch Pate gestanden haben - und das ist gut.

Lieben Gruß
Mandrillo
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"Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch"

»Erich Kästner«
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Alt 13.01.2012, 15:07   #6
Friedhelm Götz
Schüttelgreis
 
Registriert seit: 02.11.2011
Beiträge: 954
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Liebe Stimmme, Fee, chavali und Mandrillo,

es freut mich sehr, dass euch mein lyrischer Ausflug in die Niederungen des menschlichen Wesens gefallen hat. Das Gedicht war Teil einer Versfolge mit dem Titel "Wie du mir, so ich dir", die ich einmal für den damaligen Süddeutschen Rundfunk geschrieben habe. Ich habe noch mehr davon.

Vielen Dank für eure Kommentare.

LG Fridolin
Friedhelm Götz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.01.2012, 07:54   #7
Thomas
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Hallo Fridolin,

nach einer arbeitsreichen Woche samstags früh solch ein Schmankerl zu lesen ist ein Hochgenuss!

Ein Mensch, denkt morgens ohne Not
an den genialen Eugen Roth,
von dem, für Frau und Mann und Kind,
Gedichte stets genauso so sind,
wie beste Seelenmedizin.
So ist auch das von Fridolin!

Viele Grüße
Thomas
Thomas ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.01.2012, 15:27   #8
Friedhelm Götz
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Hallo Thomas,

auch dir herzlichen Dank für deine lobenden Verse.

LG Fridolin
Friedhelm Götz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.01.2012, 15:38   #9
tardyhardy
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Beiträge: 7
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Zitat:
Zitat von tardyhardy Beitrag anzeigen
Ein Mensch erlitt einst großen Schaden
durch einen falschen Kameraden,
schwor Rache und sah schon im Geist,
wie er den Kerl in Stücke reißt.

Doch um es listig zu beginnen,
ließ er erst etwas Zeit verrinnen,
um dann mit doppeltem Genuss
zu setzen den finalen Schuss.

Klammheimlich baute er die Hürde,
woran der Erzlump straucheln würde,
und blieb, die Rache auszukosten,
fortan geduldig auf dem Posten.

Nachdem er lang genug gewartet,
schien es ihm Zeit: „Jetzt wird gestartet.“
Doch ach, kaum dass er dies verkündet,
die Lunte, listgelegt, gezündet,

ward seine Rache ihm verdorben –
sein Kontrahent war grad gestorben!
So stand es schwarz, in großen Lettern,
am Morgen in den Tagesblättern.

Der Mensch, der Rache schnöd beraubt,
flucht: Was der Hundsfott sich erlaubt!
Jetzt hat der Schurke über Nacht
mich um die Rache noch gebracht!"

Er stürzt betrübt ins Seelentief...
Doch dann bekommt er einen Brief:
Der Unmensch, der ihn einst verletzt,
hat ihn als Erben eingesetzt,

um so dem Menschen Dank zu sagen,
dass der ihm nie was nachgetragen.
Der Mensch, bei so viel Edelmut,
hält sich am Ende selbst für gut.
Hallo Fridolin,
wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich es nicht glauben, dass dieses Gedicht nicht von Eugen Roth ist. Es ist so pefekt in Versmaß, Reim, Aussage mit Höhepunkt:

"sein Kontrahent war grad gestorben"!
und moralischem Schluss:

"Der Mensch, bei so viel Edelmut,
hält sich am Ende selbst für gut".

dass es ein Eugen Roth nicht besser hätte machen können.
Vor lauter Freude an diesem gelungenen Gedicht habe ich es gleich auswendig gelernt.
Herzlichen Glückwunsch zu dieser Glanzleistung.
tardyhardy
tardyhardy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.01.2012, 18:34   #10
Friedhelm Götz
Schüttelgreis
 
Registriert seit: 02.11.2011
Beiträge: 954
Standard

Hallo tardyhardy,

du machst mich verlegen, soviel Begeisterung habe ich auf ein Gedicht von mir in Foren noch nie erlebt. Ich danke sehr.

LG Fridolin
Friedhelm Götz ist offline   Mit Zitat antworten
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