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Alt 07.09.2011, 22:13   #1
Odiumediae
Neuer Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 02.09.2011
Beiträge: 15
Standard Faden und Schere

Der Spiegel zeigt im Licht das Abbild eines Toren.
Es ist dein Lebensdocht kaum einen Zoll mehr lang,
auch ist dir, mehr als je, um diesen angst und bang,
so hast du in der Furcht das Haupt dir kahl geschoren.

Dein Weib ist lang schon fort, die Säfte sind vergoren;
Bedrückung, Wehmut, Gram, der Sinne steter Zwang.
Dein Augenlicht ist trüb, den Ohren darbt nach Klang,
dein dereinst weicher Kern ist heute starr gefroren.

Es hat des Menschen Garn, ob wollen oder seiden,
Beginn und Ende nur, die er nicht koppeln kann.
Was folgt, ist keine Qual, nur sanfte Liderschwere,

so nützt das Klagen nichts, sei weise, sei bescheiden:
ein letzter Schluck vom Wein, ein Lebewohl – und dann
die Ruhe nach dem Schnitt der Atropos'schen Schere.

Geändert von Odiumediae (21.09.2011 um 08:53 Uhr)
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Alt 08.09.2011, 16:57   #2
Dana
Slawische Seele
 
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Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 5.637
Standard

Hallo Odiumediae,

nachdem ich dein Sonett gelesen habe, erinnerte ich mich an den oft gesprochenen Satz: Ein jeder sollte sich bemühen, in Würde alt zu werden.
Es geht darin um die eigene Würde, nicht um die, die man älteren Menschen zollen sollte.

Du hast es wunderbar in Sonettversen verfasst, nicht gemahnt, eher beraten.
Trotz Spiegel, trotz erstarrten Kerns wird die "Ansprache" in den Terzetten weicher - man bekommt das Gefühl, dass es auch von der Entscheidung des Betroffenen abhängt, wie er seine "letzten" Tage leben kann und sollte.

Sich auf das Altern und das Alter versöhnlich einzulassen, wäre in jedem Falle eine weise Entscheidung. Das Unabwendbare ist da. Starrsinn, Gram oder gar stetiger Zwang und falsche Eitelkeiten kommen nicht an, verunsichern die Umgebung (Angehörige und Mitmenschen) und derjenige selbst bekommt die Ablehnung zu spüren.

Es gibt nichts Sympathischeres, als versöhnte, lebenskluge und freundliche alte Menschen.

Das nicht koppelbare Lebensgarn hat mir besonders imponiert, wie überhaupt die verwendeten Metaphern: Docht (eine Kerze gibt Licht indem sie sich selbst verzehrt) und die Antropos'sche Schere.

Nur hier:
Zitat:
Zitat von Odiumediae
so hast du in der Furcht das Haupt dir kahl geschoren.
Vielleicht nehme ich es zu wörtlich. Das kahle Haupt kommt von selbst, ohne "Schur" und auch nicht angstbedingt.
Die Aussage widerspricht dem Anraten, alles andere als gegeben anzunehmen.
Hier könnte auch die Zeit tätig werden - ich habe nur keinen spontanen Vorschlag.

Das ist jedoch nur eine Kleinigkeit.
Dein Sonett gefällt mir - noch mehr bei der Vorstellung, dass es von einem ganz und gar nicht Alten verfasst worden ist.

Gern gelesen und kommentiert,
liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 09.09.2011, 08:46   #3
Odiumediae
Neuer Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 02.09.2011
Beiträge: 15
Standard

Hallo, Dana!

Vielen Dank für das Lob und Deine ausführliche und konstruktive Kritik.

Was diese Stelle angeht:

Zitat:
Zitat von Dana Beitrag anzeigen
Nur hier:

Vielleicht nehme ich es zu wörtlich. Das kahle Haupt kommt von selbst, ohne "Schur" und auch nicht angstbedingt.
Die Aussage widerspricht dem Anraten, alles andere als gegeben anzunehmen.
Hier könnte auch die Zeit tätig werden - ich habe nur keinen spontanen Vorschlag.
… muss ich mich entschuldigen, da ich vergessen habe, etwas zu erwähnen, dass ich für mich selbst vorausgesetzt habe.

Ich benutze oft und gerne Metaphern aus der griechischen Sagenwelt, wie man am Ende des Sonetts sieht, weil ich besonders von der barocken Dichtkunst beeinflusst bin. Daher auch die ständigen memento mori- und ars moriendi-Motive. Mit diesem Vers spreche ich auf Thanatos an, der den Menschen, wenn er sie mit sich nimmt, eine Locke vom Haar abschneidet. Darin steckt die letzte Angst des alten Menschen vor dem Tode verborgen.

Ich gebe zu, das ist nicht offensichtlich, ich hätte es zumindest anmerken sollen.

Geändert von Odiumediae (09.09.2011 um 09:17 Uhr)
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Alt 09.09.2011, 11:24   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Beiträge: 8.570
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Hi, Odi!

In S2Z2 würde ich schreiben: "...der Sinne steter Zwang"
Liest sich obstruktionsfreier, weicher als "stetig" dort.

Letzte Zeile: "...und dann
leg leise Atropos den klammen Faden in die Schere." (Oder so ähnlich - da wäre noch einiges austauschbar)
So liest es sich ebenfalls beruhigter und flüssiger, ohne die wesentliche Aussage letztlich zu ändern. Dein "Atropos'sche Schere" ist ein rechter Zungenbrecher beim Vortrag!

Ansonsten nix zu meckern! Sehr anspruchsvolle Lyrik mit kulturellen Bezügen, sprachlich höchst elaboriert.

Sehr gern gelesen und beklugscheißert!

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 09.09.2011, 12:03   #5
Odiumediae
Neuer Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 02.09.2011
Beiträge: 15
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Hi, eKy!

Zitat:
Zitat von Erich Kykal Beitrag anzeigen
In S2Z2 würde ich schreiben: "...der Sinne steter Zwang"
Liest sich obstruktionsfreier, weicher als "stetig" dort.
Steter ist wunderbar, das werde ich sofort übernehmen!

Zitat:
Zitat von Erich Kykal Beitrag anzeigen
Letzte Zeile: "...und dann
leg leise Atropos den klammen Faden in die Schere." (Oder so ähnlich - da wäre noch einiges austauschbar)
So liest es sich ebenfalls beruhigter und flüssiger, ohne die wesentliche Aussage letztlich zu ändern. Dein "Atropos'sche Schere" ist ein rechter Zungenbrecher beim Vortrag!
Das ist leider zu lang und metrisch unpassend, weil dadurch das alexandrinische Versmaß gesprengt wird. Allerdings wurde bereits woanders der Zungenbrecher bemängelt, weshalb ich mir da wirklich etwas überlegen muss.

Vielen Dank für das Lob und Deine Vorschläge!
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