|
Feuilleton Essays, Aufsätze, Abhandlungen etc. |
|
Themen-Optionen | Ansicht |
12.12.2009, 19:26 | #1 |
Gesperrt
Registriert seit: 06.11.2009
Beiträge: 624
|
Die alltägliche Gewalt und die Machtlosigkeit des Einzelnen ihr gegenüber
Im Herbst 2007 zog ich mit meiner Tochter in eine 3 Zimmer Wohnung in einem Hochhaus in Dietzenbach bei Frankfurt am Main. Ich kannte Dietzenbach nicht, aber die Wohnung war relativ günstig.
Meine Tochter ging dort in die erste Klasse der Grundschule. Zu ihrem Geburtstag bestellte ich ihr eine Kappe, so eine Baseballkappe, mit den Figuren einer japanischen Manga Serie darauf. Die Kappe gibt es in Deutschland nicht, war ein Direktimport aus Japan und nicht billig. Paar Tage später kommt sie weinend aus der Schule zurück und sagt, ein Junge aus einer Parallelklasse hätte sie ihr abgenommen. Ich beruhigte sie und meinte, ich würde am nächsten Tag mit ihr zur Schule gehen, mit dem Jungen reden und natürlich würde er die Kappe zurückgeben. Bis zu diesem Zeitpinkt sah ich da kein grosses Problem. Am nächsten Tag zeigt sie mir den Jungen im Schulhof, der doch tatsächlich ihre Kappe trug. Ein kleiner, sechsjähriger Marokkaner. Ich gehe zu ihm, sage ihm wer ich bin und bitte ihn ganz freundlich die Kappe zurückzugeben. Er explodiert förmlich, spuckt mich an und schreit, er würde seinem grossen Bruder Bescheid sagen, der würde mich "in den Arsch ficken". Ich bin nicht so der Typ, der sich sowas von einem sechsjährigen Knirps sagen lässt und dann eine pädagogische Diskussion anfängt. Ich knallte ihm also links und rechts paar auf die Backen, nahm ihm die Kappe ab und brachte meine Tochter in ihre Klasse. Am späten Nachmittag sitzen wir zu Hause, es klingelt und die ganze Sippe steht vor unserer Tür. Bestimmt zehn Leute, Männer und Frauen, schreien mich an, drohen mir, mich demnächst abzustechen, oder meine Tochter am Spielplatz zu verprügeln. Es wird so extrem, dass ich die Polizei rufe. Bis die kommen ist die ganze Sippe wieder weg, natürlich unter Drohungen und Beschimpfungen. Die Polizisten sind nett, aber hilflos. Solange mir oder meiner Tochter nichts passiert ist, kann die Polizei nichts machen. So ist es nun mal. Wegen ein paar Morddrohungen unternimmt man nichts, das sieht das Gesetz nicht vor. Ich telefoniere mit meinem Vater, der ist Anwalt. Nachdem ich lange mit ihm gesprochen habe, packe ich zwei Koffer für mich und meine Tochter und fahre zu meinen Eltern nach Bad Homburg. Am nächsten Tag beauftragt mein Vater eine Möbelspedition unser ganzes Zeug aus der Wohnung abzuholen. Ich war nie wieder in Dietzenbach. Ich habe Glück, dass meine Eltern in Bad Homburg ein relativ grosses Haus haben und ich und das Kind dort sofort einziehen konnten. Andere haben dieses Glück leider nicht und müssen mit dem Terror, der Gewalt leben. Es wird immer viel davon gesprochen, dass jeder gegen Gewalt ist. Gegen Militär, was weiss ich, gegen was alles. Aber vor der alltäglichen Gewalt der man ausgesetzt ist werden von vielen die Augen verschlossen. Weil man sie nicht sieht und manchmal nicht sehen will. Geändert von Corazon (12.12.2009 um 19:39 Uhr) Grund: Tippfehler |
13.12.2009, 10:33 | #2 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 04.03.2009
Beiträge: 357
|
Liebe Corazon,
hast du denn nicht versucht, mit der Klassenlehrerin bzw. dem Klassenlehrer des Schülers oder der Direktion der Schule Kontakt aufzunehmen, die wären doch erst einmal zuständig gewesen? Liebe Grüße Carlino |
13.12.2009, 11:06 | #3 | |
Gesperrt
Registriert seit: 06.11.2009
Beiträge: 624
|
Zitat:
ich hatte vorher wegen anderer Vorkommnisse bereits dreimal mit Lehrerin und Rektor gesprochen, immer wurde gesagt "ja, die Kinder kommen aus einem schwierigen sozialen Umfeld, das müsse ich verstehen, das wäre ein langwieriger Prozess, ich müsse Geduld haben". Hatte ich dann aber nicht mehr. Viele Grüsse Corazon |
|
13.12.2009, 13:25 | #4 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 04.03.2009
Beiträge: 357
|
Liebe Corazon,
Geduld ist da m.E. weniger angesagt, sondern schnelle Reaktion und konsequentes Einschreiten seitens der Schule. Selbstjustiz ist zwar verständlich, aber auch problematisch. Übrigens gibt es ähnliche, wenn auch nicht ganz so grasse Situationen auch in den besten Wohngebieten. Ich selbst hab sowas Ähnliches schon im Holzhausenviertel im Kindergarten meines Enkels erlebt. Auch hier wurde viel zu zaghaft eingeschritten aus falschverstandener "pädagogischer" Haltung heraus. Die Kinder, das ist meine Erfahrung, sind heute viel weiter als früher, aber eben auch weiter, was Frechheit und verletzendes Verhalten anbelangt. Die Mischung aus Unreife und Frechheit ist das Problem und die Unfähigkeit bzw. Faulheit der Beteiligten adäquat zu reagiern. Lieben Gruß aus dem Westend Carlino |
13.12.2009, 14:10 | #5 |
Gesperrt
Registriert seit: 06.11.2009
Beiträge: 624
|
Hallo Carlino,
ja, das wäre natürlich das Wünschenswerte. Nachdem meine Tochter von immer denselben mal wieder geschlagen wurde und mit aufgeplatzter Lippe aus der Schule kam, sagte mir die Lehrerin, die Schulpsychologin würde sich um diese Kinder mit "Agressionsproblemen" kümmern. Als ich nach paar Wochen die Schulpsychologin sprechen wollte, erzählte man mir im Sekretariat, es gäbe gar keine, nur eine unbesetzte Planstelle. Herzliche Grüsse Corazon |
13.12.2009, 16:36 | #6 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 23.02.2009
Ort: BadenWürttemberg
Beiträge: 526
|
Hallo Corazon
Was mir an deinem Text vor allem auffällt, ist der Widerspruch, bzw. die eigentliche Selbstanklage deiner Lyrischen Person, bezüglich der Aussage Zitat: Es wird immer viel davon gesprochen, dass jeder gegen Gewalt ist. Gegen Militär, was weiss ich, gegen was alles. Aber vor der alltäglichen Gewalt der man ausgesetzt ist werden von vielen die Augen verschlossen. Weil man sie nicht sieht und manchmal nicht sehen will. Denn sie ist es ja, die rächende Gewalt in Form von Ohrfeigen ausübt!! Ich würde zudem gern fragen, woran man einen sechsjährigen Jungen als Marokkaner erkennt. Ich finde es auch nicht klug, mit elitären Kleidungsstücken die kindliche Besitzgier zu provozieren! Oder glaubst du, die teure Mütze hätte für die Tochter noch einen besonderen Wert im Sinne: ich hab was, was andere nicht besitzen, ätsch! wenn sie damit nicht herausragt? Du kennst sicher die Kampagne gegen Drogen aller Art. Der Slogan dazu lautet, dass Kinder, die stark sind, kein Bedürfnis danach haben. Also sollten wir Erwachsenen Kinder dahingehend stärken, dazu nein zu sagen. Ist die Sucht nach teurer Mode davon ausgenommen? Und die letzte Frage aus den Zwischenzeilen heraus: Was ist ein Vorbild wert, das Konflikte zwischen Erwachsenen und Lausbubenfrechheit mit Gewalt gegen den Schwachen, den Jungen löst? Nein, ich übersehe am Text nicht die Drohungen der Sippe des Jungen gegenüber Mutter und Tochter. Auch dies ist keine Art des Umganges von Erziehungsberechtigten und -pflichtigen miteinander! Das Gesetz sieht wohl nicht in allen Fällen vor, irgendetwas zu unternehmen nur aufgrund von Drohungen, das ist richtig. Doch es gibt eine klare Möglichkeit der Polizei, gegen die schlagkräftige Mutter vorzugehen, wäre sie angezeigt worden. Und bevor du jetzt vielleicht Zeder und Mordio schreist, ich würde den Text nicht verstehen und alles ins Gegenteil argumentieren - nehme ich mit jedem Wort nicht Stellung gegen Gewalt? Und widerspreche dem Schlussargument deines Feulletons, dass niemand alltägliche Gewalt sehen will? Zitat: Es wird immer viel davon gesprochen, dass jeder gegen Gewalt ist. Gegen Militär, was weiss ich, gegen was alles. Aber vor der alltäglichen Gewalt der man ausgesetzt ist werden von vielen die Augen verschlossen. Weil man sie nicht sieht und manchmal nicht sehen will. Gewalt hat Ursachen! Die sollten wir erkennen. Zitat: Ich bin nicht so der Typ, der sich sowas von einem sechsjährigen Knirps sagen lässt und dann eine pädagogische Diskussion anfängt. Ich knallte ihm also links und rechts paar auf die Backen, nahm ihm die Kappe ab und brachte meine Tochter in ihre Klasse. Pädagogik diskutiert wirklich nicht. Aber sie lässt sich auch nicht von Frechdachsen zu Gewalt nötigen. Es gibt Unterschiede zwischen konsequenter Erziehung sowie pädagogischen Handlungen und "schlagenden" Argumenten! Blaugold |
13.12.2009, 17:03 | #7 |
Gesperrt
Registriert seit: 06.11.2009
Beiträge: 624
|
Lieber Blaugold,
da schätzt du mich falsch ein, ich schreie nie. Ich verprügele kleine Kinder, aber ich schreie nicht. Ich sehe nicht ein, warum ich meine Tochter in Lumpen zur Schule schicken soll, damit ihr niemand was stiehlt. Ich lege viel Wert auf ein gepflegtes Äusseres und wenn ich Kinderklamotten nicht bei KiK kaufe, dann kann man mir das wohl kaum ernsthaft vorwerfen. Aber du hast schon Recht, ich kenne Deutschland, hier kannst du nicht mal einen Rolls Royce öffentlich parken, ohne dass dir ein Neidhammel ihn zerkratzt. Deine Bemerkungen erinnern mich an vergewaltigte Frauen, ja, warum mussten die auch im Mini rumlaufen? Selbst schuld! Warum ich wusste, dass der Rotzbengel Marokkaner war? Weil er mir's gesagt hat. Mich überrascht dein Kommentar nicht. Ich habe hier in Deutschland schon oft festgestellt, dass die Opfer zu Tätern gemacht werden, die Täter jede erdenkliche Hilfe und Unterstützung erhalten und die Opfer selbst sehen müssen, wie sie klarkommen. "Doch es gibt eine klare Möglichkeit der Polizei, gegen die schlagkräftige Mutter vorzugehen, wäre sie angezeigt worden." Da täuschst du dich. In einem solchen Fall, wie dem von mir geschilderten, wird nach einer Anzeige das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt, bzw. von der Staatsanwaltschaft erst gar nicht eröffnet. Natürlich soll man kein Kind schlagen, man soll vieles nicht, man ist aber letzten Endes auch nur ein Mensch. Ein Kind versteht den Grund für eine spontane Ohrfeige wesentlich besser, als mancher moralisierende Erwachsene. Ein Kind erkennt durchaus den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Corazon |
13.12.2009, 18:33 | #8 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 23.02.2009
Ort: BadenWürttemberg
Beiträge: 526
|
Hallo Corazon
mir ist das Thema Gewalt in der Gesellschaft sehr wichtig und deshalb auch keine Argumentation zur Gewaltfreiheit zu viel! Ich verstehe deine Einwände, vor allem hinsichtlich deines vielleicht pikierten Hinweises, Frauen, die vergewaltigt werden, seien selbst schuld, da sie im Mini rumgelaufen sind. Diese Selbst-schuld-Denkweise von Männern (aber auch von Frauen)ist für mich vollkommen dumm und selbstgerecht Menschenverachtend! Jede Form von Gewalt, auch und gerade eine Vergewaltigung ist so weder zu rechtfertigen, noch zu entschuldigen! Was ich anregen will, ist ein Nachdenken darüber, ob es von Seiten der Opfer besonders klug ist, wissentlich möglichen Attacken Vorschub zu leisten. Denn auch das halte ich für nicht besonders einsichtig, wenn die eigene Sorgfalt zur Gewaltprophylaxe nur daraus besteht, auf das eigene Recht von Freiheit zu pochen. Ich bin auf jeden Fall dafür, dass sich jeder Mensch so darstellen dürfen soll, wie er möchte, sofern er andere weder herabsetzt noch gefährdet. Kinder sollen spielen dürfen, wo immer sie wollen, Frauen nachts sich in dunklen Parks bewegen dürfen, mit Mini oder Bikini oder auch nackt. Jeder, der möchte, soll sein Goldkettchen oder Designermütze in der Öffentlichkeit zeigen dürfen; usw. Aber - findest du es nicht klüger, Kinder nachts nicht allein draußen zu lassen, als Frau weder leichtsinnig durch abgelegene Parks zu spazieren oder keine aufreizende Kleidung zu tragen, damit sie gewaltbereiten Menschen zumindest diesbezüglich kein "rotes Tuch" schenkt? Was nützt es einer Vergewaltigten in ihrer Schändung, dass sie nichts Unrechtes im Sinn von Verbrechen begangen hat und die Täter zu Recht verurteilt werden. Was nützt es einem Kind, dass es nicht verboten ist, glamouröse Klamotten zur Schau zu stellen, wenn es aufgrund dessen beklaut wird? Ich meine hier ein Verzicht auf absolute Sicherheit und Schutz von außen (dem Staat), wenn ich auch ein Risiko selbst mindern könnte!! Mir ist schon klar, was dein Gedanke ist, ich teile ihn, ganz bestimmt! Doch es gibt eben leider auch in einem Rechtsstaat Gefahren, die nicht wirklich unschädlich durch Gesetze gehalten werden können. Kurz ausgedrückt: Wenn ich keine "Angriffsfläche" zur Verfügung stelle, gibt es kein Ziel. Ich sage damit ausdrücklich nicht, dass es rechtens ist, Mützen zu klauen oder eine Frau - mit oder ohne Minirock - zu vergewaltigen und die Schuld dem Opfer zu geben. Aber unkluges Verhalten und Darstellen geht eben von den "Reizpunkten", die angeboten werden aus. Es gibt ja auch Menschen, die protzen weder mit finanzieller Potenz noch mit Markenklamotten, noch mit reizvollem Outfit. Denen ist die Erkenntnis ihrer Unversehrtheit wichtiger, als ihr Recht auf Selbstdarstellung; sie wägen ab - was ist an derlei verhalten zu kritisieren? Sie haben vielleicht Einsicht und weniger Rechthabenwollen. Klar, dass ein Mensch diese oben genannte persönliche Gestaltungsfreiheit in einer Demokratie ohne Gefahr für Leib und Seele tun dürfen soll. Doch jeder Mensch darf auch darüber stehen und die meine Sichtweise überdenken. Hast du diese Freiheit? Blaugold |
13.12.2009, 19:08 | #9 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 04.03.2009
Beiträge: 357
|
Liebe Corazon!
Das Thema "allgemeine Verrohung der Gesellschaft" wird in der Diskussion über deinen nicht-fiktionalen, quasi-dokumentarischen Text hier besonders evident: Es gibt eben verschiedene Arten von Aggression, die brachiale, aber auch die verbale und die symbolhafte. Selbstdarstellung im Sinne von Ab- und Ausgrenzung würde ich tendenziell der letzteren Variante zurechnen! Gruß Carlino |
13.12.2009, 19:23 | #10 | ||
Gesperrt
Registriert seit: 06.11.2009
Beiträge: 624
|
Zitat:
Lieber Blaugold, selbstverständlich wird jeder vernünftige Mensch deinen Ausführungen zustimmen. Die gelten überall. Ich würde in manche Viertel von Lima auch nicht in schicken Klamotten gehen, mit Digitalkamera und TAG Heuer Uhr. Weil man nicht lebensmüde ist, und nichts provozieren will, was einem äusserst unangenehm wäre. Da stimme ich dir zu. Deine vorherigen Ausführungen hatten mich nur etwas echauffiert, weil ich die Kappe meiner Tochter nicht als provozierendes Designerstück einschätze. Aber ich habe deine Ausführungen jetzt besser verstanden und kann dir da nur zustimmen. Das ändert natürlich nichts daran, dass ich persönlich diese Entwicklung sehr bedauerlich finde. Dass man sich in Äusserlichkeiten und Verhalten nach dem Bodensatz der Gesellschaft richten muss, um zu überleben. Aber diese Entwicklung ist weltweit denke ich, und wird eher noch schlimmer werden. Denn die Kluft zwischen arm und reich wird immer grösser und der "Mittelstand" immer weniger. Du siehst, ich zeter und schreie wirklich nicht, mit mir kann man ganz vernünftig reden Herzliche Grüsse Corazon Zitat:
habe ich nicht kapiert. Was du meinst. Gruss Corazon Geändert von Corazon (13.12.2009 um 19:26 Uhr) |
||
Lesezeichen |
Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1) | |
|
|