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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 18.05.2017, 18:00   #1
Kokochanel
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Das sind die Tage

Das sind die Tage, wo die Himmel weinen,
derweil man ihnen in die langen Bärte zwickt.
Wer weiß denn heut noch, wie das Gegenüber tickt,
wenn Schäfchenwolken überlagern, einen.

Das sind die Tage, wo die Hände machen,
derweil der Kopf längst seine eignen Wege geht.
Wer weiß denn heut noch, wo das Gegenüber steht,
wenn Konformisten über alles wachen.

Wenn alles glänzt, verwandeln Menschen sich zu Steinen,
die man mit strassbesticktem Bandmass misst.
Wenn unter weichen Decken sich die Fäuste ballen,

ist da ein Fallen, gut versteckt vor allen.
Das ist ein Tag, an dem die Himmel weinen,
an dem der Mensch sich selbst und andere vergisst.
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Alt 19.05.2017, 19:59   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
Benutzerbild von Erich Kykal
 
Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
Standard

Hi Koko!

Für ein Sonett sehr ungewöhnlich der Wechsel von 5- und 6-hebigen Zeilen:

5665 - 5665 - 656 - 556

Für das letzte Terzett hätte sich mein Herz für Gleichmaß natürlich 565 gewünscht, aber das ist wohl eher mein Problem ... Dem Werk schadet die kleine Abweichung keinesfalls, betont sogar noch die Conclusio.

Die Sprache ist wohlgesetzt und hochlyrisch, dazu hier noch ein paar Tipps:

S1Z3 - "wer kann noch sagen, wie ..." - das würde die eher unlyrische Verkürzung "heut" ersparen, klänge auch gediegener.

S1Z4 - Mit dem "einen" konnte ich zunächst nichts anfangen, da ich es automatisch als unbestimmten Artikel las und einen strophenübergreifenden Satz erwartete. Dass es "einen" im Sinne von "vereinen" heißen sollte, erkannte ich erst beim zweiten Anlauf.
Eine Stelle, die Missinterpretation herausfordert und wohl manchen Leser aus dem Takt wirft.
Besser erklären könnte es vielleicht diese Formulierung:

"wenn Wolkenschatten die Konturen einen." oder: "wenn Wolkenschatten die Kontur verneinen."

Das mit den Schäfchenwolken habe ich nämlich auch nicht verstanden:

Wenn die Himmel weinen, denkt man an einen Regentag. Das Bild der langen Bärte (tiefhängende Wolkenfetzen) verstärkt den Eindruck.
Schäfchenwolken sind aber an heiteren Tagen am blauen Himmel zu sehen - das Bild widerspricht dem zuvor aufgebauten!
Daher habe ich meinen Vorschlag dahingehend abgeändert, um beim regengrauen Bild zu bleiben.

Möglicherweise entgeht mir aber auch etwas - in diesem Falle bitte ignorieren!


Der Inhalt beschreibt eine surreale, grenzmagische Stimmung, verwoben mit Gesellschaftskritik: Im angepassten Wohlstandsstillstand erscheint dem Autor das Handeln der Menschen und sein Erleben desselben ähnlich surreal. Die Sattheit des Mittelmaßes macht auch hart und mitleidlos, Luxus und Blendwerk (strassbesetztes Bandmaß - übrigens mit "ß" nach langem Vokal! ) sind wichtiger als etwaige Gewissensbisse und inneres Revoltieren. In dieser Szenerie des behüteten Widersinns, in die man sich fallen lässt und zum Gefallenen wird, ist sich jeder nur noch selbst der Nächste - und zuletzt nicht einmal mehr dies, da man sich im Strudel der Eitelkeiten nur allzubald selbst verliert. Und die Erde weint darüber ...


Kann diese Deutung bestehen? Sehr gern gelesen und Gedanken dazu geschoben!

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.05.2017, 20:48   #3
Chavali
ADäquat
 
Benutzerbild von Chavali
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.001
Standard

Liebe Koko,

ein schönes und inhaltsschweres Sonett!

Es gibt so Tage, an denen einem alles egal ist, wo man sich nicht auf seinen Nächsten einlassen kann
und man nur an sich selber denkt und dennoch - oder gerade deshalb - unzufrieden ist.

So lese ich den Text und kann auch nicht ausschließen, dass du die Bedeutung
noch globaler umrissen wissen möchtest.

Sehr gern gelesen!
Lieben Gruß,
Chavi



__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
Chavali ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.05.2017, 09:13   #4
Kokochanel
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard

Ihr Lieben,

vielen Dank für eure Gedanken, die mich freuen.
@Erich

Ich fange mit den Schäfchenwolken an:
Die Menschen reden sich alles, was sie tun, schön. Sie machen aus den Regenwolken Schäfchenwolken und wollen die Realität nicht sehen. Darum der Gegensatz. Darum stürzen sie sich letzendlich selbst in den Ungtergang (Natur, Gesellschaftsverrohung, ...). So zumindest habe ich es angedacht. Der Gedanke wird weiter unten in der Konklusio wieder aufgenommen: "Wenn alles glänzt...".

Deinen Vorschlag: Wer kann noch sagen... übernehme ich gerne, weil ich dann anstatt Gegenüber "der andre" nehmen kann, was mir eine Wiederholung erspart.


Der Wechsel von 5 und 6 er Hebungen ist gewollt. So kann man besser akzentuieren und es wird nicht eintönig.

Deine Deutung stimmt mit dem überein, was ich sagen wollte. Darum auch die Gegensätze im Werk. Danke dir

Liebe Chavi,

es gibt diese Tage, aber es gibt auch das große Ganze. Es bleibt dem Leser überassen, wie er es lesen möchte und was er sich herausnimmt. Danke dir und freue mich übers Gefallen.

LG an euch beide von Koko
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