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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 29.08.2016, 09:03   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Lichter in der Dunkelheit

Vermag denn einer wohl im Buch des Lebens
der Zeilen Zwischenräume auch zu lesen,
was einmal sein wird und was einst gewesen
vereint im Anspruch eines steten Strebens?

Bestimmt ein Wollen unser aller Werden
weit über unser Wissendes hinaus?
Ergibt dereinst ein Bildnis sich daraus,
darein wir Zeichen malen hier auf Erden?

Wie dem auch sei, wir werden weiter bauen
an unsern Wünschen, die im Sein vergehen
wie kurze Lichter, die den dunklen Raum

uns nie genug erhellen, um zu schauen,
ob hinter jener Leere, die wir sehen,
uns mehr erwartet als ein falscher Traum.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (27.01.2017 um 18:16 Uhr)
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Alt 29.08.2016, 18:51   #2
Dana
Slawische Seele
 
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Lieber eKy,

ein wunderbares Sonett in entsprechender Rubrik.

Als ich es mehrmals las, "holperte" ich über den "falschen Traum". (nicht metrisch, ausschließlich in der Aussage)

Dann aber, Strophe um Strophe, erkannte ich den "verdeckten" falschen Traum, der sich wie ein roter Faden durch alle Strophen "häkelt".

Zitat:
Zitat von Erich Kykal
Vermag denn einer wohl im Buch des Lebens
der Zeilen Zwischenräume auch zu lesen,
was einmal sein wird und was einst gewesen
vereint im Anspruch eines steten Strebens?

Bestimmt ein Wollen unser aller Werden
weit über unser Wissendes hinaus?
Ergibt dereinst ein Bildnis sich daraus,
womit wir Zeichen malen hier auf Erden?

Wie dem auch sei, wir werden weiter bauen
an unsern Wünschen, die im Sein vergehen
wie kurze Lichter, die den dunklen Raum

uns nie genug erhellen, um zu schauen,
ob hinter jener Leere, die wir sehen,
uns mehr erwartet als ein falscher Traum.


Zu Str. 1

Das Streben bleibt, der Traum bleibt unerfüllt, weil wir nie erfahren werden, was einmal sein wird.

Zu Str. 2

Auch dieser Traum geht leer aus, weil wir nie erfahren werden, ob wir Zeichen gesetzt haben. Selbst wenn, wir wissen nie, wie man auf Dauer (also nach uns) damit umgehen wird, ob man unserem Traum entspricht.

Zu Str. 3

Wir bauen weiter und "träumen" in einen dunklen Raum.

Zu Str. 4

Die Lichter bleiben kurz, wir werden niemals mehr schauen, als evtl. da ist.

Aber, lieber eKy, für eine solche Lyrik lohnt es sich immer dem "falschen Traum" zu folgen.

Bin sehr angetan.
Liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 29.08.2016, 21:06   #3
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Dana!

Vielen Dank für deine Gedanken!

Das Sonett behandelt die Frage nach dem "größeren Ganzen", nach dem der Mensch sich so sehnt, weil er denkt, dass ihm dies die Bedeutung verleihe, von der er denkt, dass er sie bräuchte oder zumindest verdient hätte! ;D
Dafür erfindet er seit Jahrtausenden Götter und deren Religionen, die dann verbissen wider den Zahn der Zeit und besseres Einsehen verteidigt werden, selbst wenn deren Überholtheit längst durch Forschung und naturwissenschaftliche Erkenntnis erwiesen ist. Dafür tötet er und ist bereit, sich töten zu lassen - der Wunsch nach einem "großen Plan", der Zugehörigkeit zu etwas, das größer ist als das eigene Selbst, wichtiger als die eigne - selbst angenommene - jämmerliche Bedeutung.
Dieser Hang zum Zusammenhalt ließ seither - auf "weltlicher" Ebene - auch Herden, Banden, Stämme, Armeen und Reiche entstehen, wo der einzelne nur im Einzelfall Bedeutung erringen konnte, aber jeder - zumindest theoretisch und im Wunschdenken - die potentielle Chance dazu hatte, nur eben mehr oder minder marginal, je nach dem Grad der Menschenverachtung des jeweiligen Systems und dem Ausmaß an manipulativer Soziopathie des einzelnen Individuums.

Aber ob es da nun wirklich etwas gibt, von dem wir mangels Weitsicht und Intellekt nur Zerrbilder erschaffen können, die sich erkenntnismäßig auf der jeweiligen Höhe der Zeit befinden, oder ob hinter der Leere des Alls nur noch tiefere Leere wartet - wir wissen es nun mal nicht, und es spielt eigentlich auch keine Rolle: Der Mensch scheint den Gedanken daran zu brauchen, dass eine Art Übervater ihn behütet und Großes mit ihm vorhat, und wenn es nichts Beweisbares gibt außer ein paar Fehldeutungen und subjektiven Auslegungen (noch) unerklärlicher Phänomene, dann erfindet er eben, was er braucht und schreibt heilige Bücher darüber, um einen Bedarf zu decken, der so alt zu sein scheint wie die Menschheit.

Davon handelt dieses Sonett: Egal, ob da draußen wirklich etwas auf uns wartet oder nicht, das Licht unserer kurzen Leben und minderen Geister reicht noch lange nicht weit genug, um diesbezüglich etwas zu erkennen. Also denken sich besagte Geister eben etwas hinter diese Grenze der Wahrnehmung, an das sie stattdessen glauben können, weil sie das wollen. Und weil sie das so sehr wollen, darf auch nicht daran gezweifelt werden, selbst nicht nach Jahrtausenden, wenn die Parameter der erforschten Realität die Grundfesten solcher Welterklärungsmodelle längst ausgehebelt haben! So hangelt sich die Menschheit von einem aus Minderwertigkeitskomplexen selbstgestrickten Entwicklungshemmnis zum nächsten und nennt es Wahrheit und einzig wahren Glauben.

Um den Gedanken fortzuspinnen: Stecken dahinter die ewige Angst und der Minderwertigkeitskomplex des gejagten Tieres, einer feindlichen Welt voller Raubtiere fast schutzlos ausgeliefert? Brauchten unsere Vorfahren diesen Gedanken eines mächtigen Verbündeten und Schöpfers, um überhaupt dieser Welt der Unwägbarkeiten gegenübertreten zu können? Und wie lange mag es noch dauern, bis dieselbe Menschheit allumfassend erwachsen wird und diese (meist fragwürdigen) weltlichen Herrscher, Schutzgeister und divinen Vaterfiguren einfach nicht mehr nötig hat, um sich dem Dasein selbstbewusst zu stellen? Bis niemand mehr diese Obrigkeits- und Gottvorstellungen benutzen kann, um die Menschen in seinem Sinne zu manipulieren und aufeinander zu hetzen, nur um sich Einfluss und Machtpositionen zu sichern? Bis niemand es mehr für nötig befindet, sich vor diesen selbsterdachten "Vorgesetzten" zu beugen und zu erniedrigen und die eigene Bedeutung zugunsten eine sozialen Übereinkunft zu verleugnen?!

Beim derzeitigen Stand der Wissenschaft und Forschung hätten wir diese individualitätsfeindlichen Sozialgefüge zur Selbsterhaltung eigentlich gar nicht mehr nötig - aber dennoch halten viele stur daran fest, so als wäre Nachdenken die größere Sünde als der Kadavergehorsam gegenüber einem einmal akzeptierten kulturellen Konsens! (Dieser Gedanke kommt mir immer bei politischen Massenveranstaltungen und Paraden im TV, oder beim katholischen Weltjugendtag, einer Papstwahl auf dem Petersplatz, oder wenn ich sehe, wie Abertausende buckelnd und geistlos um die Kaaba rotieren wie ein organischer Mahlstrom unentrinnbarer Primitivität!)
Solange wir eher emotionale, beharrende Herdentiere bleiben als unabhängige, objektive Gehirnbenutzer, werden wir wohl in diesem Teufels(geiles Wortspiel!)kreis verbleiben und uns im Namen irgendwelcher behaupteten ultimativen Wahrheiten gegenseitig sinnlos die Rüben absäbeln, nur um damit letztlich den Interessen jener zu dienen, die solche Überzeugungen nur vorschieben und benutzen, um ihr eigenes machtpolitisches Süppchen zu kochen!

Ich würde es so zusammenfassen: Die Menschheit hat zweifelsohne Potential, aber die nächsten mindestens 10.000 Jahre wird sie zum größten Teil noch bildungsfern und strunzpieseldumm genug sein, um sowohl auf die eigene Blödheit wie auch auf die eigene Schläue hereinzufallen! Und sollte sie das nicht überleben, zuckt der Rest des Universums nicht einmal mit den metaphorischen Achseln - egal ob es nun tatsächlich je ein größeres Ganzes, einen geheimnisvollen Plan hinter allem gab oder nicht ...

LG, eKy
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Alt 01.09.2016, 09:34   #4
Kokochanel
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Guten Morgen, Erich,

sehr schön und bildhaft hast du die Sehnsucht des Menschen hinterfragt, die nach einer alles regelnden Macht strebt, die alles Übel wendet, das der Mensch anrichtet.
Ein Menschenleben ist kurz und ich halte es mit dem Spruch: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.
Grüße von Koko
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Alt 01.09.2016, 09:55   #5
Erich Kykal
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Hi Koko!

Danke für deine Zustimmung!

Wiewohl ich mich in obigen Versen agnostisch verhalte, bin ich persönlich kein Religionsfreund!

LG, eKy
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