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Alt 17.10.2014, 17:13   #1
Chavali
ADäquat
 
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Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.001
Standard Ein Nachruf

Sie hatten das Sechsbettzimmer im Krankenhaus leer geräumt, bis auf ein einzelnes Bett,
das verloren an einem der kahlen Wände stand.
Gestern lagen hier noch weitere fünf ältere schwer kranke Damen. Heute nur ihre Mutter.
Sie lag auf der Seite, hatte die Augen geschlossen und atmete kaum hörbar.


Am Abend zuvor hatten sie der Tochter gesagt, dass die Medikamente abgesetzt werden.
Sie müssen verstehen, sagte der diensthabende Arzt, dass es keinen Sinn mehr macht.
Entsetzt und ungläubig blickte die Tochter den Arzt an: Das ist nicht Ihr Ernst! Meine Mutter lebt noch!
Ich will sie wiederhaben! Sie haben sich nicht richtig um sie gekümmert!

Ihre Gedanken gingen zurück und sie hörte kaum, was der Gott in Weiß antwortete.
Sie als Kind und Mutter voller Sorgen. Sie als Teenager und die Mutter wieder voller Sorgen.
Sie als erwachsene Frau und die Mutter....

Immer hatte sie sich Sorgen gemacht um andere und dabei ihr eigenes Leben vergessen.
Und jetzt lag sie hier - im Sterben. Es war furchtbar.

Und deswegen, sagte der Arzt, nimmt ihr Körper auch keine Medikamente mehr auf...

Die Tochter stand langsam auf und ging ins Freie. Es war schon fast Mitternacht. Zu Hause wartete ihr Mann.
Er hatte sie allein zur Klinik fahren lassen; sie wollte das so.
Sie rief ihren Sohn an, der in der Zeit Dienst bei der Bundeswehr tat.
Du musst kommen, sagte sie, deine Oma stirbt.


Das Krankenhauszimmer atmete schon die Vergangenheit. Ein kühler Windzug strich um das halb geöffnete Fenster.
Die Tochter und ihr Sohn nahmen sich bei der Hand. Mutter und Großmutter lebte nicht mehr.
Ihnen war, als flöge ihr gewesenes Leben durch den Raum und hinaus.

__________________
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© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*

Geändert von Chavali (19.10.2014 um 10:31 Uhr) Grund: einen Satz eingefügt
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Alt 20.10.2014, 13:54   #2
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Registriert seit: 07.02.2009
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Beiträge: 9.908
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Hi Chavi,

ja, ich weiß.

Wenn ein Mensch, der am Leben teilhatte, gestorben ist, bleibt eine kalte und schreckliche Leere zurück.
Und je älter jemand wird, umso öfter wird er dies für sich erfahren müssen.

Das hat deine Kurzgeschichte anschaulich beschrieben.

Mehr will ich dazu gar nicht sagen.


In diesem Sinne gern gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)




Geändert von Falderwald (20.10.2014 um 15:18 Uhr) Grund: Fehlerteufelchen
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Alt 20.10.2014, 15:32   #3
Chavali
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Ort: Mitteldeutschland
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Moin Faldi,

deine Rückmeldung freut mich, vielen Dank! Aber:

Zitat:
Das hat deine Kurzgeschichte anschaulich beschrieben.[...]
Mehr will ich dazu gar nicht sagen.
Ich weiß nicht...es ging mir nicht um den Tod allein.
Mindestens zwei Aspekte waren noch wichtig, die wahrscheinlich nicht so leicht zu erkennen sind.

Vielleicht habe ich auch mal wieder viel zu nüchtern gechrieben...
Wie ein Bericht. Fehlte die Spannung, das Gefühl, der überraschende Moment...?

Lieben Gruß,
Chavi


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Alt 20.10.2014, 16:58   #4
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Hi Chavi,

doch, ich habe schon gesehen, dass dies auch eine Anspielung auf die aktuelle Sterbehilfe-Debatte bzw. die manchmal unwürdigen Umstände im Krankenhaus ist.

Hier werden die Medikamente abgesetzt, zwar mit der Begründung, dass der Körper der alten Frau diese nicht mehr aufnehmen könne, aber es wurde eine Entscheidung getroffen und deshalb bekommt auch der "Gott in Weiß" eine andere Bedeutung.

Letztlich aber bleibt es sich gleich.
Ich denke, wenn ein (richtiger) Arzt aufgibt, dann macht es wohl wirklich keinen Sinn mehr.

Und ob die ganzen lebensverlängernden Maßnahmen wirklich so sinnvoll sind, ist auch eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten sollte

Ich denke, auf diese Aspekte wollte der Text wohl auch hinaus.


Liebe Grüße

Falderwald
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Alt 21.10.2014, 12:45   #5
Chavali
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Moin Faldi,

schön, dass du noch einmal zur Tür hinein geschaut hast
Danke dafür.

Zustände und Umgehensweisen mit Patienten und ihren Anghörigen - ja; Sterbehilfe nein.

Es ist - ich gestehe - eine ganz persönliche Geschichte.
So lange her und noch immer nicht verarbeitet.
Es verbergen sich eigene Schuldgefühle dahinter und die Frage, ob alles und auch das Richtige getan wurde.

Wie gesagt - vermutlich fehlen auch hier - wie in einigen anderen Geschichten aus meiner Feder - wichtige Details.
Allerdings mag ich nicht so gern allzu ausführlich werden.
Ich meine, es sollte noch immer genügend Raum für die Fantasie des Lesers bleiben.


Lieben Gruß,
Chavi
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