26.04.2015, 08:07 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Bereit
Bereit
Noch werde ich von Mut getragen, durch eine Furt von Sepsiswind. Ganz langsam löst sich Schmerz im Magen, von irgendwoher schluchzt ein Kind. Der schmutzigweiße Plattenhimmel: Ein schwelender Partikelbrand. An meiner Flanke Plastikschimmel. Voran! Es treibt des Flößers Hand. Wir nähern uns der breiten Pforte, dem Reich von Eisen, Nickel, Stahl. Wir setzen Anker ohne Worte. Das Ziel erreicht - der letzte Gral. Ein grüner Fährmann kappt die Leinen. Mein Segel war nur Haut und Fleisch. Noch immer hör ich Kinderweinen. Ich bin bereit fürs Totenreich.
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chorch chorch Geändert von Hans Beislschmidt (03.05.2015 um 14:03 Uhr) |
30.04.2015, 15:03 | #2 |
Gast
Beiträge: n/a
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Hallo Hans Beislschmidt
Ich habe dein Gedicht mehrfach gelesen. Die Szene könnte in einem modernem Krankenhaus stattfinden. Hier spricht dein Protagonist vom Sterben. Er hat zumindest noch Zeit um zu reflektieren. Vielleicht hat er/sie Krebs, ein Todesengel für viele Menschen, bei dem die weißen Götterärzte versagen.... Du schickst ungewöhnliche Wörter ins Rennen: Sepsiswind ( daher vermute ich auch die Nähe zum Krankenhaus), Plattenhimmel ( ebenfalls ein Hinweis für eine todmoderne Architektur ) Plastikschimmel ( eine seelenlose Bauweise). Die Wörter geben deinem gedicht den richtigen Pfiff. In der 3ten S. näherst du dich mit dem Thema Sterben und wo wir sterben, einem Höhepunkt, Besonders bedrückend ist die Zeile: "Wir setzen Anker ohne Worte, " in der letzten S. tritt ein grüner Fährmann auf. Er ist ein Bild der Hoffnung in der Hoffnunglosigkeit. So lese ich das jedenfalls. Denn jeder hat am Ende seiner Tage nur noch seine eigene Haut, die er mitnehmen kann, und selbst die verwelkt....Das Kinderweinen assoziert noch einmal den Blick in/ an die Jugend, es vermittelt in der Szenerie etwas trostloses. Das Ende, das sich mit den "Lebensumständen Abfindende" ist bereit, den unbekannten Weg zu gehen. Ich habe dein Gedicht sehr gerne gelesen, es regt an übers Leben und über das Sterben und wie und wo wird gestorben, nachzudenken. Liebe Grüße aus dem Norden sy |
30.04.2015, 21:44 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hey syranie,
Danke für die Blumen …. Wenn mein Gedicht dazu beigetragen hat über das Leben und das Sterben nachzudenken, dann hat das Werk mehr als seinen Zweck erfüllt. Das Mysterium den Tod auf einer emotionalen Ebene zu erfassen, beschäftigt mich eine ganze Zeit schon. In diesem Fall war ich selbst mein LyIch, als mich der Pfleger in den OP geschoben hat. Es war zwar „nur“ eine Fuß OP - aber man weiß ja nie … Manches ist durch „ungewöhnliche Wörter“ dargestellt – wie du schreibst aber Lyrik braucht etwas „Straßendreck unter den Fingern“.Es ist schon ein seltsames Gefühl, wenn man Uhr, Ring und alle „Habe“ abgegeben hat und wird durch endlose Flure in den OP Saal gerollt. Das Kinderschluchzen hat meinen Eindruck noch verstärkt, dass dies der Ort ist, wo Menschen ankommen und auch gehen. Beim Abschied oder Tod wird einem gewahr, dass nichts Irdisches mehr zählt. Du gehst genauso wie du gekommen bist. Nackt und ohne Privilegien oder sonstigem weltlichen Ballast liegst du auf der Bahre und Mächten ausgeliefert, auf die du keinen Einfluss hast. Gruß vom Hans
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chorch chorch Geändert von Hans Beislschmidt (30.04.2015 um 21:46 Uhr) |
01.05.2015, 11:24 | #4 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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hey beisl,
ja, mit der letzten grenze muss mann sich wohl oder übel beschäftigen, wenn man ein gewisses alter erreicht hat. zum einen, weil der körper ein verschleißartikel ist und die spuren langjährigen gebrauchs irgendwann nicht mehr zu verleugnen sind, zum anderen, weil man irgendwann auch gewisser freunde und wegbegleiter verlustig geht und diese abschiede gelebt werden müssen. und jeder so gelebte abschied ist eine vorbereitung auf den eigenen. der tod setzt eine unerbittliche grenze, vor der alles und jedes seinen, letzten, end - gültigen wert erfährt. nun können ja auch andere grenzerfahrungen diese aufrüttelnde wirkung haben ( schließlich könnte man seine uhr ja auch noch anderswo und nicht erst vorm operationssaal ablegen) , aber zumeist ist man so vom alltagsgeschehen eingenommen, dass diese tiefe kaum erreicht wird. und dann kommt sie: gleichermaßen banal (plattenhimmel) wie rigoros ( nackt , mit ankern ohne worte). das hat dein gedicht ziemlich gut tansportiert, finde ich sterben ist banal ( weil es jedem passiert) und ungeheuerlich( weil es einem selbst passiert). genug stoff, um mal nachzudenken. lg, larin
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Cogito dichto sum - ich dichte, also bin ich! |
02.05.2015, 12:53 | #5 | |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hey Larin,
Danke für Kommentar und Gedanken … Zitat:
Die Kopfsumme der durcheinandergewirbelten Verbindlichkeiten, die vermeintlich einzulösende Bringschuld, die noch anständig ist, verliert in einer Sekunde ihre Bedeutsamkeit. Sie wirkt aber seltsamerweise beruhigend, weil die Summe der Wahrnehmung und resultierender Empfindung eine Akzeptanz oder Fügsamkeit ergibt, mit der Botschaft – „die Welt ordnet sich von allein“ – dein Zutun ist/war nicht von Nöten. Das betrifft natürlich nur die sozialen Kompetenzen, man ist „bereit“ für das Loslassen. Dieser schicksalhafte Moment muss durchlebt werden.Ich konnte diese Gedanken nur in einem Trockenkurs durchspielen aber sie waren sehr wirklichkeitsnah. Gruß nach Wien Hans
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chorch chorch |
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03.05.2015, 09:19 | #6 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 4.893
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hei beisl,
ja, insoferne hat die bewusstheit des todes als unumstößliche grenze auch etwas ungemein entlastendes: man erfährt, dass man nicht die last der ganzen welt stemmen muss, sondern nur sein eigen kleines ding macht ( soweit eben machbar und möglich) - und dann gibt man das päckchen ab, an andere menschen - oder überlässt das ding einfach sich selbst. ganz allgemein betrachtet haben grenzerfahrungen wohl immer diese qualität. an solche grenzen können wir aber auch anders geraten, so z.b. auch dann, wenn wichtige beziehungen zerbrechen oder sich auflösen. an einem solchen punkt fielen mir jene sätze zu: alles ist dir gegeben, nichts wird erreicht. du kannst alles vermissen und wirst dennoch nichts verloren haben. ich weiß nicht, woher diese worte gekommen sind - sie waren einfach mal da. und obwohl ich sie zu dem zeitpunkt kaum verstandesmäßig fassen konnte (wie kann sich ein gehirn etwas ausdenken, das es selber nicht versteht?), spürte ich, dass sie zutiefst wahr sind. vielleicht sollten wir uns wirklich nicht so viele sorgen machen ums eigene persönliche lebensenende. es ist nicht so wichtig - weil es da vielleicht ganzes gibt, das alle seine teile trägt, so oder so. lg, larin
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Cogito dichto sum - ich dichte, also bin ich! |
03.05.2015, 11:32 | #7 |
TENEBRAE
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Hi, Hans!
Sehr gut geschrieben, wenn es einem auch kalte Schauer über den Rücken jagt - man muss die Kraft der Worte und Bilder würdigen! Einzig in S2Z1 und 2 hat der Fehlerteufel zugeschlagen! Z1 beginnt betont in einem ansonten unbetont auftaktenden Gedicht, und Z1 wie Z2 sind um einen Heber zu lang geraten: 5 Heber in einem sonst vierhebigen Gedicht. Vorschläge: Noch werde ich von Mut getragen, durch eine Furt von Sepsiswind. Ganz langsam löst sich Schmerz im Magen, von irgendwoher schluchzt ein Kind. Der schmutzigweiße Plattenhimmel: ein schwelender Partikelbrand. An meiner Flanke Plastikschimmel. Voran! Es treibt des Flößers Hand. Wir nähern uns der breiten Pforte, dem Reich von Eisen, Nickel, Stahl. Wir setzen Anker ohne Worte, Das Ziel erreicht - der letzte Gral. Ein grüner Fährmann kappt die Leinen. Mein Segel war nur Haut und Fleisch. Noch immer hör ich Kinderweinen. Ich bin bereit fürs Totenreich. Leider erklären sich mir nicht alle Bilder: Was ist mit dem "Plastikschimmel" an deiner Seite gemeint? Sehr gern gelesen! Ein ausgesprochen kraftvolles Werk, das beeindruckt! Meine Lieblingszeile: "mein Segel war nur Haut und Fleisch." - Auch wenn der Reim mit "Totenreich" unrein ist, dieses Bild prägt sich ein! Allergernst gelesen! (Vom lyrischen Genuss her) LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (03.05.2015 um 11:38 Uhr) |
03.05.2015, 13:54 | #8 | ||
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hey Larin,
Zitat:
Gruß vom Hans nach Wien Hey Erich, vielen Dank für Kommentar und Gedanken, insbesondere das „ Ein ausgesprochen kraftvolles Werk, das beeindruckt“ Zu deinem Vorschlag …. Zitat:
Die Begrifflichkeit „Plastikschimmel“ entstand, als ich - schon leicht sediert, auf der schmalen Bahre durch die Gänge geschoben wurde. Links und rechts waren weiße (wahrscheinlich) Kunststoffregale, in denen vielleicht OP Bedarf gelagert wurde. Da ich selbst in Vorwärtsbewegung war, schien es, als würde ein indifferentes weißes Etwas wie ein Schimmel an mir vorbeigaloppieren. All das registrierte ich in einem Halbwach-Zustand. Gruß vom Hans ins Mühlviertel p.s. saulangweilig im KH
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chorch chorch Geändert von Hans Beislschmidt (03.05.2015 um 14:14 Uhr) |
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03.05.2015, 14:39 | #9 |
TENEBRAE
Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi, Hans!
Oh, ein Pferd - ich dachte bei dem Ausdruck an Schimmelpilz auf Plastik oder so! Ehrlich: Ohne deine Erklärung hat man keine Chance, dieses Bild adäquat zu deuten! Deiner PS entnehme ich, dass du noch immer im KH bist. Verzeih mir, ich habe nicht mitbekommen, was dir fehlt, aber ich wünsche allenthalben aufrichtig gute Besserung! LG, eKy
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03.05.2015, 20:19 | #10 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Erich,
ja, der Schimmel war etwas verkryptet – in der Urfassung ließ ich ihn galoppieren, um eine Assoziation herzustellen. Nun, es muss sich nicht alles auf den ersten Blick erschließen. Nächsten Mittwoch bin ich wieder raus aus dem KH – Danke für die Wünsche. Gruß ins Mühlviertel vom Hans
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