03.01.2012, 07:14 | #1 |
ADäquat
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Aberglaube
1.
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Geändert von Chavali (03.01.2012 um 07:17 Uhr) |
03.01.2012, 11:38 | #2 | ||
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Liebe Chavi,
herrlich. Als ich deine "gedichtete Auflistung" von Absurditäten las, musste ich auf der einen Seite lachen und mir auf der anderen an den Kopf fassen. Das geht mir immer so. Ich finde es geradezu unglaublich, wie viel Aberglauben in der ach so modernen Welt des Menschen doch herrscht. Ich jobbte als Jugendliche mal in den Sommerferien in einem Metallbaubeschläge-Großhandelsunternehmen. Dort gab es eine Angestellte im Lager, die tatsächlich an jedem Freitag, den 13. Urlaub nahm, um nicht aus dem Haus gehen zu müssen. Sie richtete sich außerdem täglich genau nach dem Tageshoroskop aus - übrigens dem in der meistgelesenen Zeitung Deutschlands, die mit den vielen bunten Bildern und den extragroßen Buchstaben auf der Titelseite. Stand etwas auch nur annähernd "Negatives" darin, war für sie der "Tag gelaufen". Psychologisch spricht man da sehr treffend von einer "sich selbst erfüllenden Prophezeiung". Wenn jemand felsenfest glaubt, am betreffenden Tag bestünde laut Horoskop z. B. erhöhte Unfallgefahr im Haushalt, wird sich die Person aus Ängstlichkeit besonders unsicher und ungeschickt verhalten. Anstatt sich darüber im Klaren zu sein, dass ein eventuell dann tatsächlich stattfindender Unfall a) vom Aberglauben und b) vom eigenen Verhalten verursacht wurde, wird so ein Mensch darin eine Bestätigung der Richtigkeit des Horoskops sehen - und sich künftig noch mehr danach ausrichten. Oh, Erbarmen ... Ich las vor Jahren einmal, dass ein frisch verheiratetes Paar sich - wirklich! - noch vor dem "Vollzug" der Hochzeitsnacht trennte, da der frischgebackene Ehemann stolperte, als er die Braut über die Türschwelle trug. Das wurde als ein so schlechtes Omen für die Ehe betrachtet, dass sie beendet wurde, bevor sie begann. Nicht zu fassen! Zitat:
Auch die bekannten "Bauernregeln", nur als Beispiel, entstammen zum großen Teil diesem "Mechanismus". Sehr hilfreich ist es, das zu wissen. Aberglaube ist häufig auch eine aus einem Erlebnis entstandene "Vermeidungshaltung". Die Vernunft ermöglicht es, dagegen ganz bewusst anzugehen. Ich kann die Funktionsweise meines Gehirns nicht ändern - aber ich kann "Bescheid wissen", und anders damit umgehen. Die schwarze Katze von links - jemand hatte einfach das Erlebnis, dass ihm etwas "zustieß", kurz nach der "Sichtung der Katze". Worauf er da einen Zusammenhang "erkannte", anstatt sich sofort selbst zu sagen: Zufall. Und er erzählte sicher "Hinz und Kunz" davon - und prompt entstand ein Aberglaube ... Die allermeisten Menschen leugnen hartnäckig die Existenz des Zufalls. Es muss einfach Kausalität geben, es muss! Und wenn sie nicht "vorhanden" ist, dann muss sie trotzdem da sein - Grund des "Nichtvorhandenseins": Wir verstehen nur die Zusammenhänge noch nicht. Da sage ich gerne: Ihr habt die Quantenphysik vielleicht verstanden - aber nicht "begriffen", tut mir leid. Der Zufall ist ein existentieller Faktor und kann nicht mehr geleugnet werden. Man mache sich klar, dass der unerschütterliche Glaube an die Kausalität lediglich in der Funktionsweise des menschlichen Gehirns liegt. Kausalität existiert - aber sie ist nicht "ultimativ". Kausalität und Zufall sind gleichwertige Faktoren. Unser Gehirn sagt uns lediglich: Es muss ein kausaler Zusammenhang vorhanden sein! Der Aberglaube ist das beste Beispiel dafür, wie sehr wir uns da irren können. Strophe 10 verdeutlicht, dass es beim Aberglauben noch etwas gibt: Zitat:
Glaub mir, liebe Chavi: Auch jede Religion ist nur ein Aberglaube. Und er beruht auf dem gleichen "Denkprinzip". Das zufällige Zusammentreffen von bestimmten Ereignissen wurde als kausaler Zusammenhang identifiziert, und als "eherne Wahrheit" übernommen und aus der felsenfesten Überzeugung der "Richtigkeit" und "Wahrheit" heraus "weitergegeben" - denn etwas so "Wichtiges" müssen die anderen unbedingt wissen, damit sie sich auch danach richten können! Sonst könnte es schlimm für sie werden! Woher stammt wohl der Glaube an die Sintflut? Oder der Glaube an die Bedeutung des Erdbebens bei der Kreuzigung? Oder der an den "Stern von Betlehem? Aberglaube ist eine Mischung aus Gehirnfunktion, Leichtgläubigkeit und Unwissenheit. Einer erlebt etwas, und sieht unwillkürlich einen Zusammenhang. (Ein Mix aus Gehirnfunktion und Unwissenheit genau darüber.) Er erzählt es jemand anderem. Dieser glaubt es. (Leichtgläubigkeit und Unwissenheit.) Irgendjemand schreibt das irgendwann auf. (Alles drei.) Leser glauben es - usw., usf. Warum das Ganze? Weil es einen kausalen Zusammenhang geben muss, unbedingt. Das Kausalitätsprinzip ist nur die "halbe Miete", es wird Zeit, das zu begreifen. Denn auch wenn es in bestimmten Fällen gar keinen kausalen Zusammenhang gibt - wir stellen einen her, damit es "passt". Und es muss passen. Wie sehr die Quantenphysik das Grundprinzip menschlichen Kausalitätsdenkens tatsächlich "kippt", ist den wenigsten klar ... Weshalb dieses "Festhalten" an der klassischen Physik? Weil es den meisten nicht gelingt, das "Kausalitätsdogma" im eigenen Denken zu erkennen und zu überwinden. Ich spreche aus Erfahrung: Das ist extrem schwer! Denn man muss buchstäblich gegen die eigenen "Denkfunktionen" andenken - und da hilft der Verstand nicht, denn dieser ist "kausalitätssüchtig". Hier hilft nur die reine Vernunft. Auch die Überzeugung, alles beruhe auf kausalen Zusammenhängen ist - genau betrachtet - ein Aberglaube ... Eine kleine Scherzfrage zum Abschluss, die ich bereits seit Kindertagen kenne, und die hier sehr schön passt: Frage: Was ist das? Es hängt an der Wand, macht Tick-Tack, und wenn es herunterfällt, geht das Gartentor auf. Antwort: Zufall. Sehr, sehr gerne gelesen und kommentiert! Liebe Grüße Stimme
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Geändert von Stimme der Zeit (03.01.2012 um 11:50 Uhr) Grund: Kleine Ergänzung. |
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03.01.2012, 12:43 | #3 | |
Erfahrener Eiland-Dichter
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da muss sich mich ein bisschen dreinmischen.
natürlich gibts ganz absonderliche formen von "aberglauben" - nur würde ich nicht gleich alles dazu zählen, was meine vorredner so genannt haben. Zitat:
kann sein, dass das in früheren zeiten mal empfindlich teuer war, so entstand dann wohl der "sager" vom siebenjährigen pech. ebenso denke ich, dass manche bauernregeln langjährigen beobachtungen entsprungen sind, so wie der hundertjährige kalender oder der mondkalender. (bestimmte hölzer für musikinstrumente werden z.b. zu ganz bestimmten zeiten geschlägert, weil man die erfahrung gemacht hat, dass sie dann bei entsprechender lagerung und verarbeitung noch klangvoller werden.) die geste, in einen neue wohnung brot und salz mitzubringen, kenne ich auch. ich zähle sie aber eher dem brauchtum zu : brot als symbol für nahrung - salz für die würze des lebens. damit wünscht man dem neuen paar einfach glück. wenn das aberglaube sein soll, dann ist händeschütteln und grüßen auch aberglaube..... jemanden, dem beim genuss von tomatensalat schlecht geworden ist und nachher gar keinen mehr essen will, kann ich auch anders verstehen: gerade in zeiten, wo lebensmittelunverträglichkeiten und allergien sich häufen, sollte man nicht jeden als "blöd" oder "abergläubisch" abtun, wenn er gewisse speisen einfach meidet. vielleicht ist er nur besonders sensibel und klug genug, auf seinen eigenen körper zu hören? wenn ich abends nur ein glas(!)weißwein trinke, fühle ich mich am nächsten tag regelrecht "vergiftet"? bin ich nun abergläubisch, weil ich das zeug meide -oder bloß so vernünftig, aus erfahrung zu lernen? meine mutter hat mit zunehmedem alter viel dinge meiden gelernt, weil sie sich nicht wohl damit fühlte, mein vater meidet weiterhin gar nix..... was verdaut oder vertragen werden kann, ist also unterschiedlich. eine bekannte von mir wurde lange zeit von psychologe zu psychologe geschickt, weil sie asthmaanfälle bekam auf verschiedene gerüche. man hielt sie für neurotisch. mittlerweile - nach langem, zähen kampf ihrerseits, wurde ihr krankheit ( hyperallergie auf unzählige duftstoffe) anerkannt. auch die sache mit dem zumessen von bedeutungen muss ich noch mal genauer durchleuchten. gesetzt den fall x trifft y , x verliebt sich hals über kopf, für x ist das "die große liebe". z trifft ebenfalls auf y, kann ihn jedoch nicht ausstehen. ich nehme mal an, dass x und z der begegnung mit y unterschiedliche bedeutung zuordnen werden - und das unabhängig davon, was der jeweils andere denkt. tanzen kann mir was bedeuten - oder auch nicht. lyrik kann mir was bedeuten - oder auch nicht. manche leute lieben ihre katze abgöttisch. ( vielleicht, weil alle ihre freunde, verwandten schon weggestorben sind?)- und andere haben eine katzenallergie. ich nehme an, da wird allein das wort "katze" schon sehr verschiedenes auslösen - weil das gehirn nun mal eben so ist, dass es das, was uns gut tut anders interpretiert, als das, was uns schadet.... wenn einer masochistisch veranlagt ist, lässt er sich prügeln und findets noch schön. was ich sagen will, ist das: vorsicht mit generalisierungen! mit dem, was einem andern menschen etwas bedeutet, soll man achtsam umgehen - auch wenn es mir selber wurscht und daher unverstehbar ist. ich kann nicht nachvollziehen, warum manche leute in eine engen lederhülle gekleidet mehr genuss bei der liebe haben, genausowenig versteh ich aber, wesahlb es manche auf den K2 treibt oder zu einem hansi hinterseer konzert.... wenn also jemand partout dran glauben will, dass ihn rosa nelken, jeden donnerstag gepflückt und gegessen, glück bringen - warum nicht? solang er mich nicht dazu zwingt, es ihm gleich zu tun! das problem sehe ich nicht in den unterschiedlichen meinungen und glaubensrichtungen, die wir haben, sondern in dem ständigen missionsdrang und in den "bekehrungsversuchen", sowohl religiös als auch politsch/ weltanschaulich. jeder hält den andersdenkenden für "blöd"- und seine eigenen motive und gründe für "wahr". und dann wird um die "wahrere wahrheit" gestritten (merke: es geht um die macht!)- statt nur mal ganz neutral festzustellen: was ist deine wahrheit, was ist meine wahrheit? was kann ich von deiner wahrheit lernen, was du von meiner? -und im übrigen den anderen ziehen zu lassen, wohin er ziehen will. wir wissen es einfach nicht, was wahr ist. und das wenige, was wir wissen, sieht für jeden ein anders aus.... liebe grüße, larin
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Cogito dichto sum - ich dichte, also bin ich! Geändert von a.c.larin (03.01.2012 um 12:46 Uhr) |
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03.01.2012, 17:57 | #4 |
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Liebe Stimme,
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