22.12.2013, 10:18 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Eisvogel
Eisvogel
Mir sind die Flügel etwas schwer geworden von all dem Eis, dass in den Wolken lauert, auch hat es länger als gedacht gedauert, und aus dem Süden wurde schließlich Norden. Mich packte Angst vor diesen wilden Horden, da habe ich die Fenster zugemauert, mich mit gesenkten Flügeln hingekauert, und überlebte so das Seelenmorden. Das alles ist nun lange nicht mehr wahr, die Welt ist heiter und es wird gesungen, und beinah hätte ich mich aufgeschwungen, die Nacht war frühlingsmild und sternenklar. Doch sind die Federn mir wie Glas zersprungen und das Vergessen ist mir nicht gelungen.
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
22.12.2013, 13:08 | #2 |
Lyrische Emotion
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Moin Thomas,
ein von der Form her ungewöhnliches Sonett und doch ist es m. E. ein Sonett von beachtlicher Qualität. Es zeigt, wie die Träume eines Lebens wie Seifenblasen an der Realität zerplatzen können, wieviel Trauer und Leid einem Menschen im Laufe seines Lebens widerfahren können und wie das Eis seine Psyche erstarren lassen kann. Selbst wenn es wieder Frühling wird, sind diese Wunden nicht verheilt, denn manches kann man nicht vergessen und hat sich tief ins Herz hineingebohrt. So es ist es auch kein Wunder, wenn diesem Eisvogel die Federn wie Glas zersprungen sind. Zuviel hat sich in seinem Universum anscheinend verändert, so dass selbst die wieder milde Umwelt ihm nicht mehr dieselbe ist, die sie früher vielleicht einmal war. Damit umzugehen, fällt sicherlich vielen Menschen schwer und somit ist die Rubrik sicherlich richtig gewählt, denn das sind die traurigen und düsteren Kapitel, die das Leben schreibt, denen manch einer nie wieder entkommen kann. Eine düstere Reflexion, die ich in diesem Sinne gerne gelesen und kommentiert habe... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
15.01.2014, 12:22 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Falderwald,
vielen Dank für den einfühlsamen Kommentar und die Bestätigung von jemandem, der sich wirklich damit auskennt, dass es sich um ein Sonett handelt. Liebe Grüße Thomas
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16.01.2014, 19:53 | #4 |
Slawische Seele
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Lieber Thomas,
als "Sonettlaie" winke ich jedem freundlich zu, der eines schreibt. (Ich liebe und bewundere Sonette und weiß um die "Arbeit" daran unter Beachtung der "Regeln". Habe schließlich schon eins versucht.) Mich berührt der Inhalt zutiefst mitsamt der lyrischen Sprache und Metaphern. Ich denke, es gibt sehr, sehr viele jener "Eisvögel" und Horden von Seelenmördern. Was dir trotz der "Ich-Form" gelungen ist, ist die weit gefächerte Interpretation. Man kann sich darin selbst finden, man denkt an bekannte Einzelschicksale aber auch an ganze Völkermassen aus Geschichte und aus den Geschehen in Gegenwart. Erst kürzlich hörte ich im Radio Stellungnahmen zum Umgang mit Soldaten. Psychisch erkrankte, geschockte und "selisch ermorderte" durften nicht vorkommen. Sie wurden weder angehört noch behandelt und galten als Feiglinge und Versager. "Kein Krieg lässt sich mit "empfindsamen Männern" gewinnen - also gab es sie nicht. Sie konnten nur die Fenster zumauern und anschließend mit gebrochenen Flügeln schweigen. Ebenso die Menschen in Katastrophengebieten. Sie bekommen Decken, Zelte und Nahrung - doch wer kümmert sich um ihre Seelen? Dein Sonett schließt mit dem "Nicht-vergessen-können", mit der Ohnmacht, die dem Eisvogel trotz der "Heiterkeit", die sich über die Vergangenheit gesenkt hat, spürbar verbleibt. Sehr gut dargestellt und verdichtet. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
16.01.2014, 20:37 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Liebe Dana,
für deinen sehr einfühlsamen Kommentar, der das Gedicht meiner Meinung nach sehr gut beleuchtet, möchte ich dir herzlich danken. Liebe Grüße Thomas P.S.: Ich bin mit der Form des Sonetts auch recht vorsichtig, aber hier erforderte der Inhalt eine strenge Form, deshalb ist sie mir wohl in den Sinn gekommen.
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16.01.2014, 20:43 | #6 |
ADäquat
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Lieber Thomas,
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17.01.2014, 17:11 | #7 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Liebe Chavali,
vielen Dank für die Beschäftigung mit dem Gedicht und den Kommentar. In dem Sinne, dass das, was zu Herzen geht "privat" ist, stimmt deine Einschätzung genau. Liebe Grüße Thomas
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10.05.2014, 11:09 | #8 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 431
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Hallo Thomas,
viele Dinge können einem Menschen im Laufe seines Lebens widerfahren und wer empfindsam ist, wird an den sogannten Schicksalsschlägen hart zu kauen haben. So auch der Eisvogel, der zunächst, durch die Eiseskälte der Welt geschockt, ziellos herumfliegt und sich dann in sein Schneckenhaus zurückzieht, weil er das Seelenmorden nicht länger ertragen kann. Die Welt dreht sich aber weiter und präsentiert sich in bunten Bildern. Nach all der Zeit wäre der Eisvogel wohl gerne wieder ausgeflogen, doch letztlich ist es ihm nicht gelungen. Ein Teil von ihm ist zerbrochen. Man kann zwar verzeihen, aber vergessen kann man nicht. Das ist ein melancholischer Text, der mich berührt hat. Herzliche Inselgrüße Narvik
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Nur der fröhliche Mensch allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu finden. (Kant) |
15.05.2014, 11:02 | #9 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Narvik,
dein einfühlsamer Kommentar berührt mich selbst. Es gibt so viele Eisvögel, wobei viele einfach darüber hinwegspielen, das es so ist. Es ist leider ein Aspekt des Älterwerdens der jeden auf die eine oder anderer Weise erreicht. Liebe Grüße Thomas
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29.08.2014, 19:42 | #10 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Thomas,
das lässt schwärmend sich lesen. So trefflich geschrieben. Nichts zu beanstanden. Gerne mehr davon. Schwere düstre Gedichte sind sowieso meins. Liebe Grüße, Terrapin. |
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