Gedichte-Eiland

Walther · 15.03.2012, 16:45

Alt geworden

Du sprichst mir aus der Seele, redest laut
Von Einigkeit und Einssein und so weiter,
Als wäre diese Liebe eine Leiter,
Die man sich hochzusteigen kaum getraut.

Ich wäre wirklich offen, viel bereiter,
Als leeren Formeln tief ins Aug geschaut,
Dir zu vertrauen, nah, ganz Haut an Haut,
Und ahne: Leises Schweigen wär gescheiter,

Es wäre dem, was ist, ins Herz gesehen.
Doch das, was dort ist, ob das für uns reicht?
Ich hör Dein Sprechen, ohne zu verstehen,

Wie das Gesagte Deinem Handeln gleicht:
Ich stehe da gebannt, fast möcht ich gehen,
Im Wissen, dass der Tod uns schon umschleicht.

Erich Kykal · 15.03.2012, 20:50

Hi, Walther!

Sehr poetisch, sprachlich höchst komplex. Da liegt auch der Hase im Pfeffer: So gern ich solch verschlungene Sprachkunst schätze - selbst ich musste dieses Gedicht mehrmals lesen, bestimmte Stellen extra aufdröseln, um die Aussage sinngemäß zu erfassen. Erst beim dritten Mal fügte sich alles, und die Aussage wurde mir klar (Vielleicht bin ich auch biorhythmisch grade schlecht drauf, wer weiß...).

Beispielsweise wäre die Textaussage in S2 viel klarer, stelltest du Zeile 2 zwischen Bindestriche, um den Charakter des Einschubs hervorzuheben, der ansonsten in diesem insgesamt langen Satz nicht ausreichend auffällt, um ihn sofort richtig zu interpretieren.

Aber das sind Kleinigkeiten, gemessen an der sprachlichen Eleganz deiner Verse! Immer wieder gern gelesen.
Nur die Conclusio will sich mir nicht erschließen: Warum umschleicht der Tod schon das Paar, nur weil sie zuviel redet und er zu wenig? Okay, die Problematik ist stark vereinfacht, aber du weißt, was ich meine.
Es reichte ja, sich zu trennen - oder sind beide schon im fortgeschrittensten Alter? Wie gesagt, dieses Bild funzt nicht (funzen - ich hasse diesen Ausdruck - er wirkt so...schlampig. Ich denke, ich werde ihn nicht mehr benutzen.) in meinem Kopf.

Sehr gern gelesen.

LG, eKy

Walther · 16.03.2012, 18:27

Lb. eKy,

der erste Titel hieß "Alte Liebe rostet", das habe ich dann in "Alt geworden" geändert, um das Ende nicht schon im Titel zu verraten. Angestoßen wurde dieser Text durch Berichte über zunehmende Altersscheidungen.

Die Conclusio erhält so einen Sinn. Man bleibt in einer Beziehung, weil es in der Tat etwas Schlimmeres gibt: Ein langsames Altern und Verdämmern in Einsamkeit. Da wird selbst eine solche Nähe kostbar.

LG W.

Erich Kykal · 17.03.2012, 07:34

HI, W.!

Ahh, ja, so kann ich auch den Titel richtig in Bezug setzen - ich achte zuweilen zu wenig darauf, denn oft bleibt er eher kryptisch oder beliebig.
Alles klar nun! Ich hatte das Pärchen schlicht nicht als alte Leute gesehen.

LG, eKy

Walther · 19.03.2012, 17:43

Lb. eKy,

OK, habe verstanden. Nun kann diese Art Entfremdung durchaus auch jüngere Paare befallen, die Beziehung muß nur eine gewisse Dauer haben.

LG W.

15.03.2012, 16:45	#1
Walther Gelegenheitsdichter Registriert seit: 09.11.2009 Ort: Im Wilden Süden Beiträge: 3.210	Alt geworden Alt geworden Du sprichst mir aus der Seele, redest laut Von Einigkeit und Einssein und so weiter, Als wäre diese Liebe eine Leiter, Die man sich hochzusteigen kaum getraut. Ich wäre wirklich offen, viel bereiter, Als leeren Formeln tief ins Aug geschaut, Dir zu vertrauen, nah, ganz Haut an Haut, Und ahne: Leises Schweigen wär gescheiter, Es wäre dem, was ist, ins Herz gesehen. Doch das, was dort ist, ob das für uns reicht? Ich hör Dein Sprechen, ohne zu verstehen, Wie das Gesagte Deinem Handeln gleicht: Ich stehe da gebannt, fast möcht ich gehen, Im Wissen, dass der Tod uns schon umschleicht. __________________ Dichtung zu vielen Gelegenheiten - mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt Alle Beiträge (c) Walther Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt

15.03.2012, 20:50	#2
Erich Kykal TENEBRAE Registriert seit: 18.02.2009 Ort: Österreich Beiträge: 8.570	Hi, Walther! Sehr poetisch, sprachlich höchst komplex. Da liegt auch der Hase im Pfeffer: So gern ich solch verschlungene Sprachkunst schätze - selbst ich musste dieses Gedicht mehrmals lesen, bestimmte Stellen extra aufdröseln, um die Aussage sinngemäß zu erfassen. Erst beim dritten Mal fügte sich alles, und die Aussage wurde mir klar (Vielleicht bin ich auch biorhythmisch grade schlecht drauf, wer weiß...). Beispielsweise wäre die Textaussage in S2 viel klarer, stelltest du Zeile 2 zwischen Bindestriche, um den Charakter des Einschubs hervorzuheben, der ansonsten in diesem insgesamt langen Satz nicht ausreichend auffällt, um ihn sofort richtig zu interpretieren. Aber das sind Kleinigkeiten, gemessen an der sprachlichen Eleganz deiner Verse! Immer wieder gern gelesen. Nur die Conclusio will sich mir nicht erschließen: Warum umschleicht der Tod schon das Paar, nur weil sie zuviel redet und er zu wenig? Okay, die Problematik ist stark vereinfacht, aber du weißt, was ich meine. Es reichte ja, sich zu trennen - oder sind beide schon im fortgeschrittensten Alter? Wie gesagt, dieses Bild funzt nicht (funzen - ich hasse diesen Ausdruck - er wirkt so...schlampig. Ich denke, ich werde ihn nicht mehr benutzen.) in meinem Kopf. Sehr gern gelesen. LG, eKy __________________ Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

16.03.2012, 18:27	#3
Walther Gelegenheitsdichter Registriert seit: 09.11.2009 Ort: Im Wilden Süden Beiträge: 3.210	Lb. eKy, der erste Titel hieß "Alte Liebe rostet", das habe ich dann in "Alt geworden" geändert, um das Ende nicht schon im Titel zu verraten. Angestoßen wurde dieser Text durch Berichte über zunehmende Altersscheidungen. Die Conclusio erhält so einen Sinn. Man bleibt in einer Beziehung, weil es in der Tat etwas Schlimmeres gibt: Ein langsames Altern und Verdämmern in Einsamkeit. Da wird selbst eine solche Nähe kostbar. LG W. __________________ Dichtung zu vielen Gelegenheiten - mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt Alle Beiträge (c) Walther Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt Geändert von Walther (19.03.2012 um 17:41 Uhr)

17.03.2012, 07:34	#4
Erich Kykal TENEBRAE Registriert seit: 18.02.2009 Ort: Österreich Beiträge: 8.570	HI, W.! Ahh, ja, so kann ich auch den Titel richtig in Bezug setzen - ich achte zuweilen zu wenig darauf, denn oft bleibt er eher kryptisch oder beliebig. Alles klar nun! Ich hatte das Pärchen schlicht nicht als alte Leute gesehen. LG, eKy __________________ Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

19.03.2012, 17:43	#5
Walther Gelegenheitsdichter Registriert seit: 09.11.2009 Ort: Im Wilden Süden Beiträge: 3.210	Lb. eKy, OK, habe verstanden. Nun kann diese Art Entfremdung durchaus auch jüngere Paare befallen, die Beziehung muß nur eine gewisse Dauer haben. LG W. __________________ Dichtung zu vielen Gelegenheiten - mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt Alle Beiträge (c) Walther Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt

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