08.11.2009, 08:05 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Regen im April
Regen im April
Danach hatte er von ihr nichts mehr gehört. Briefe kamen nicht mehr. Morgens wartete er vergeblich auf einen Anruf. Ihm fehlten diese kleinen Wortwechsel, inhaltlich nichtssagend, aber am Schluss immer Sehnsucht, Zärtlichkeit, ein "Ich-hab-dich-lieb". Andere fragten ihn öfter, wo er gerade sei, er höre ja gar nicht zu. Er schüttelte nur den Kopf. Nachts hatte er noch schlechter geschlafen als sonst, er lag oft lange wach, dachte an sie. Es war nicht so gut gelaufen in diesen drei Tagen, die sie zum ersten Mal wieder alleine zusammen verbrachten, 17 Jahre waren seit damals vergangen. Er machte sich Gedanken, woran es wohl gelegen haben könnte, versuchte sich an die einzelnen Tage, Stunden, Minuten, Worte und Gesten zu erinnern. Er meinte Lösungen und Gründe gefunden zu haben, verwarf dann aber alles wieder. Er war schon früher im Hotel angekommen, hatte aus dem Fenster gesehen und geträumt. Damals war sie 31 Jahre alt gewesen, voller Zärtlichkeit hatte sie ihn geliebt, wie ihn wohl noch niemand geliebt hatte und wohl auch niemand mehr lieben würde. Es war eine andere Zeit gewesen, "leider nicht unsere Zeit", hatte sie einmal gesagt. Er war von anderen Dingen gefangen gewesen, wollte ihre Zuneigung nicht erwidern, "ich wäre ja verrückt, wenn ich mich in dich verlieben würde". Er glaubte sie aus allem heraushalten zu müssen und konnte doch ihre Traurigkeit nicht verhindern. Es war ihm nicht schlecht gelungen, seine Gefühle zu verbergen. Sie sei dennoch glücklich, hatte sie ihm immer wieder gesagt, hatte ihm dennoch oft ein schlechtes Gewissen vermittelt, weil er ihr das nicht zurückgeben konnte, was sie ihm gab. Sie hatte ihm ein Tagebuch mit vielen Seiten geschrieben. Wie musste sie gelitten haben, hatte dennoch ihren Humor, den Versuch, ihn zu verstehen und ihre unendliche Zärtlichkeit und Liebe lange bewahrt, verloren und dann zum Teil wieder gefunden. Dann sah er das Taxi, lief zu ihr, holte sie ins Zimmer, sie umarmten sich, er konnte nicht erwarten, in sie einzudringen. Mit wenig Zärtlichkeit nahm er sie, als wenn er alles nachholen müsste, was einmal nicht gewesen war, als wenn er die Zeit einholen wollte, zurückdrehen könnte. Sie tranken Sekt, wie sie es früher auch gemacht hatten. Sie waren in diesen drei Tagen viel zusammen gewandert, hatten über vieles miteinander gesprochen, was sie eigentlich gar nicht so sehr interessierte. Ihr Körper war jung geblieben, sie war härter geworden. Es war ihr öfter nicht sehr gut ergangen, wie sie erzählte. Sie war empfindlicher, ungeduldiger geworden, ihn zu verstehen. Seine Ironie, sein Husten und Schnarchen störten sie jetzt. Als er ihr damals erzählt hatte, dass seine Frau bei seinem Schnarchen nicht schlafen könne, ihn schüttele und trete, hatte sie gesagt: „Wie könnte mich so etwas an dir stören." Er verstand sie und sie ihn nicht mehr. Warum ich Dich liebe? Weil Du Du bist und ich verrückt bin. Weil Du mich von meiner Liebe zu Dir wieder und wieder überzeugst, nachdem ich mir einzureden versuche, dass das alles nur "leseras" sind. Weil Du etwas hast, was mich alles andere vergessen lässt, mich gleichgültig macht, mich zum Zittern bringt, meine Zärtlichkeit und mein Begehren weckt, weil ich mit Dir über alles reden kann (Du bedauerlicherweise aber nicht mit mir), weil Du viel Liebe brauchst (und ich natürlich meine für Dich am besten halte), manchmal traurig bist und ich Dich trösten möchte. Weil Du Ruhe brauchst und bei mir müde sein darfst. Du bist der erstaunlichste Mann für mich, anregend, aufregend, erregend. Der Mann, für den ich alles aufgeben würde, bei dem ich vor Schwierigkeiten keine Angst hätte. Das hatte sie vor langer Zeit einmal in ihr Tagebuch geschrieben. Hatte sie am ersten Tag beim Wandern noch seine Hand gesucht, ihre in seine Jackentasche gesteckt, so gingen sie am dritten Tag nur noch nebeneinander wie ein altes Ehepaar, jeder seinen eigenen Weg, nur räumlich nahe. Bevor er am dritten Tag aus dem Bus stieg, streichelte sie noch einmal zärtlich seinen Arm. Er stand auf, nahm seinen Koffer, "Pass gut auf dich auf", sagte er, stieg dann aus, ohne sich noch einmal umzuschauen. Es kam dann noch einmal ein Anruf. "Bis bald!" Und noch einmal wollte er die Zeit nicht nur anhalten, " ich will bei Dir sein, und dann soll die Zeit stille stehen..", hatte sie vor langer Zeit gesagt, zurückdrehen müsste er sie, bis zu dem Augenblick, als etwas verloren gegangen war, wann war das? Was erwartest Du jetzt von mir? Was glaubst Du, wie sich das mit uns entwickeln wird? Wärst Du froh, hörte ich bald auf, Dich zu lieben? Ich frage nicht, wie Du das für mich selbst, sondern für Dich, aus Deiner Sicht siehst. Wärst Du enttäuscht von mir, wenn sich das langsam auflöste? Sag nicht, dass sei normal. Das mag so sein: nur wärst Du dann traurig, weil Du damit etwas verlieren würdest? Er ging zu einer Telefonzelle, begann zu wählen und legte dann aber wieder auf. Es hatte zu regnen begonnen, Aprilwetter! Tränen liefen ihm über das Gesicht, er hatte lange nicht mehr geweint. Eine alte Frau, die telefonieren wollte, seine Tränen sah, fragte ihn: "Geht es Ihnen nicht gut?" Er sagte: "Doch, doch, es ist nur der Aprilregen, der mir übers Gesicht läuft, der wischt alles weg."
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>Die Kritiker nehmen eine Kartoffel, schneiden sie zurecht, bis sie die Form einer Birne hat, dann beißen sie hinein und sagen: „Schmeckt gar nicht wie Birne.“< (Max Frisch) |
10.11.2009, 17:46 | #2 |
ADäquat
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Hallo Pedro,
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10.11.2009, 18:27 | #3 | |||
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Chavali,
Zitat:
Deine Analyse des Textes ist aus meiner Sicht sehr zutreffend, das wollte ich mitteilen. Zitat:
Zitat:
Schön, das mein Schreibversuch dennoch bei dir angekommen ist. Lieben Gruß, Pedro
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>Die Kritiker nehmen eine Kartoffel, schneiden sie zurecht, bis sie die Form einer Birne hat, dann beißen sie hinein und sagen: „Schmeckt gar nicht wie Birne.“< (Max Frisch) |
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