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Alt 17.01.2013, 13:57   #1
Ringelroth
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Standard See - Not oder Zwei Männer finden eine Lösung

In einer Zeit, als es noch Winter gab – und damit meine ich die richtigen Winter mit Eis und Schnee und Frost - gingen zwei Männer, ich nenne sie einfach Jan und Fiete, auf einem zugefrorenen See im hohen Norden unseres Landes spazieren.
Jan und Fiete waren gute Freunde und ein bisschen spleenig. Während sich der Rest der männlichen Dorfbevölkerung an diesem Sonntag nach dem Kirchgang im Dorfkrug mit Hochprozentigem aufwärmte, beschlossen die beiden, "auf'm See" ihren Gedanken nach zu gehen. Sie unterhielten sich dabei über Gott und die Welt. Na, ja, ich sollte nicht übertreiben. In Wahrheit redeten sie lediglich über dies und das.
Seit fünf Minuten waren sie unterwegs, und jeder der beiden hatte mal gerade zwei Sätze von sich gegeben. So ist das hier in dieser Gegend. Es braucht nicht vieler Worte um sich zu verstehen.
Die Temperaturen lagen an diesem Tag weit unter dem Gefrierpunkt. Es war also mopsich kalt, wie Hinnerk Tönnissen, der Wirt des Dorfkruges zu sagen pflegte.
"Der Celsius fällt wie n reifer Appel", fügte er meist noch hinzu.

Und weil es halt so "mopsich" war, begannen sie etwas schneller zu gehen, damit das Blut besser zirkulieren konnte.
Nach einer Zeit bemerkte Fiete, dass er vom schnellen Gehen unter seiner dicken Joppe zu schwitzen begann. Und es entwickelte sich folgender Dialog:
"Du, Jan.“
"Wat is, Fiete?"
"Ich schwitz.“
"Ich auch.“
Nach einer Schweigeminute ...
"Du, Jan.”
"Wat is, Fiete?"
"Wär hier ne Bank, könntn wir uns setzn und `n büschn ausruhn.“
"Du machst S-paß, Fiete.“
"Wieso?"
"Ne Bank – mittn aufm See?!"
"Ach ja! Hatt ich ganz vergessn.“

Nach einer weiteren Schweigeminute ...
"Ich hab ne Idee, Jan!"
"Ne Idee?"
"Jo! Wir bleibn einfach für ne Weile s-tehn.“
"Un dann?"
"Bis wir wieder friern. Dann gehn wir wieder weiter.“
"Gute Idee! Unnern Arm bin ich schon ganz nass.“

Gesagt getan. Beide blieben stehn, zogen fast synchron ihr Pfeifchen aus der Joppe und schauten auf den grauen, dick gefrorenen See. Dann in den grauen, eisigen Himmel. Das kleine Dorf war im Dunst schon fast nicht mehr zu erkennen, obwohl ein schneidender Wind seit Tagen über das schweigende Land blies.
"Du, Fiete.“
"Wat ist, Jan?"
"Wie viel Wasser hat wohl unser Teich?"
"Unser Teich?"
"Jo.“
"Meinst Liter oder Kubikmeter?"
"Allgemein, mein ich.“
"N paar Badewann voll sind schon drin, denk ich.“
"Jo! Das wird wohl so sein, Fiete.“

Es folgte wieder eine Schweigeminute.
"So, Jan. Ich glaub, jetzt frier ich wieder.“
"Jo! Ich auch.“
"Der Celsius is wohl wieder gefalln.“
"Wien reifer Appel.“

Als Fiete zum Gehen ansetzt, passiert es. Er fällt wie der erwähnte Celsius und dazu noch mit einer lächerlichen Bewegung voll auf die Schnauze.
"Wasn los, Fiete? Bist besoffn?"
"Denk nich, Jan. Aber meine Füße klebn fest!"
"Das wird nich sein", bezweifelte Jan. Und mit der gleichen komischen Bewegung knallte er im gleichen Augenblick neben Fiete aufs Eis.
"Hast recht. Meine auch.“
Fiete berappelte sich und versuchte in der Hocke mit den Fingerspitzen die Schuhsohlen unter den Zehen hochzuziehen.
"Sitzt fest! Komisch“, staunte er, “meine Füße sind doch warm, wie könn die dann am Boden festfriern?"
"Das liegt an den neuen S-tiefeln aus der S-tadt", stellte Jan fest. "Das Matrial taucht nix!"
"Das wird sein.“

Beide hielten sich aneinander fest und schafften es, sich gegenseitig mit schaukelnden Bewegungen wieder auf die festgefrorenen Füße zu stellen.
"Un nu?“ fragte Fiete.
"Mhm", überlegte Jan und zog die Mundwinkel nach unten.

Während Jan überlegte, zog Fiete seine Handschuhe aus, griff in die Innentasche seiner Joppe und zog einen Flachmann heraus. Dabei verlor er fast das Gleichgewicht. Mit rudernden Armbewegungen bekam er seinen Körper wieder unter Kontrolle.

"Lass bloß nich falln!" sorgte sich Jan.
Dann tranken beide in ruhigen Schlucken den gut und gerne 60Prozentigen aus eigener Destille.
"Wenn wir den Schnaps irgendwie unter die Sohlen bekämn ...", sagte Fiete und verzog nachdenklich das Gesicht.
"Nee, kannst nich machn", protestierte Jan
"Nee, nee, is zu schade, hast recht", nickte Fiete einsichtig.
"Viel zu schade", bestätigte Jan.

Nach einer Schweigeminute ...
"Das Frühjahr soll dies Jahr zeitig sein, hab ich gehört", sinnierte Jan.
"Jo. Ich denk, is auch schon nich mehr ganz so mopsich.“
"Denk ich auch. Mir is wieder ganz warm", sagte Jan, schob seine Mütze in den Nacken und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.
"Wenns bald kommen tät, könntn wir ja warten bis‘s taut.“
"Wenn wer bald kommn tät?“
"Na, das Frühjahr!"
"Mhm?!"

Sie wandten sich wieder dem Flachmann zu.
"Aahh", meinte Jan nach einem tiefen Schluck. Und nach einem feuchten Blick auf sein Heimatdorf:
"Schön hier, nich wahr?"
"Schöner als inne S-tadt", bestätigte Fiete kopfnickend.
Nach einer Schweigeminute mit warmem Glücksgefühl, ob der stolzen Gewissheit in einem herrlichen Fleckchen Erde beheimatet zu sein:
"Du, Jan.”
"Wat is, Fiete?"
"Ich kann nich bis Frühjahr wartn.“
"Wieso nich? Kommt doch zeitig.“
"Ich kann nich schwimm!“
"Richtig. Kannst du nich.“
"Nee.“
"Düwel noch ma. So‘n Pech !"
"Jo!“

Jetzt zog Jan seinerseits die Handschuhe aus und zog ebenfalls einen Flachmann aus seiner Joppe.
"Dann muss ich nachdenkn", sagte er und tat einen kräftigen Zug. Dabei bog er, in Anbetracht der angefrorenen Lage, seinen Oberkörper gefährlich weit nach hinten. Trotzdem überstand er die Übung ohne physischen Schaden.
"Jo. Denk ma nach", sagte Fiete und gab seinem Flachmann den Rest.

Nach einer Schweigeminute...
"Un wenn wir das "Platts-tädter Tachblatt" verbrenn?“ brach Jan das Schweigen. Mit breitem Grinsen schaute er zu Fiete.
"Jo, die schreibn eh nur Mist. Aber is das nich strafbar?", zweifelte Fiete.
"Nee, das mein ich nich ... hier!" und damit zog er ein Exemplar der besagten Zeitung aus der Tasche. "Davon ein paar Blätter zwischn die Füße, anzün und wartn. Müsst doch gehn."
„Jo, müsst gehen.“
Während Jan sich bückte und ein paar zerknüllte Plattstädter Tagblätter zwischen seinen Stiefeln anzündete, hielt ihn Fiete am Ellbogen fest.
Das trockene Papier loderte leise - ganz in orange. Verzückt schauten beide eine Weile in die wärmenden Flammen.

Nachdem Jan mit letzter Anstrengung und heißen Fingern, das Feuer zwischen seinen angesengten Hosenbeinen ausgeklopft hatte, besah er sich den Schaden und meinte:
"Die Büx war eh nich mehr für gut.“
Die Stiefel ließen sich immer noch nicht bewegen, und man schwieg wieder eine Weile.

„Wenn du nich schwimm kanns, bringt es nix, zu wartn", stellte Jan schließlich fest.
"Nee, dat bringt mich nix", bestätigte Fiete.
Wieder verrann eine Schweigeminute. Dann tat der Selbstgebrannte seine Wirkung.
"Ich habs!" stieß Jan endlich hervor.
"Wat?"
"Die Lösung !"
"Nee?!"
"Doch!"
"Dat is jetz schade", meinte Fiete.
"Wat?"
"Na, dass die Flachmänner leer sind.“
"Stimmt.“
"Sonst hättn wir drauf trinken könn.“
"Hättn wir.“

Nach einer Schweigeminute ...
„Ich warte noch“, unterbrach Fiete die Stille.
„Auf wat?“
„Na, auf die Lösung.“
„Ja! Richtig! Beinah war se wieder weg. Also, die Lösung: Wir ziehn die S-tiefel aus!“
"He??"
"Ja, jetz weiß ich, wie wir hier wegkomm’! Wir ziehn einfach unsre Stiefel aus!"
"Un dann?"
"Dann gehn wir auf den Socken nach Haus. Komm, Fiete! Mach hin! Ich hab Durst.“
__________________
Liebe mich, wenn ich es am wenigsten verdiene, denn dann brauche ich es am nötigsten.
Ringelroth ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.01.2013, 19:51   #2
Christian Wolf
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 07.12.2012
Ort: Deutschland
Beiträge: 149
Standard

Interessante Geschichte Bzw. ist genau das Gegenteil der Fall, aus Nichts wurde eine Geschichte gemacht

Toll

LG, Chris
Christian Wolf ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.01.2013, 11:15   #3
marzipania
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard

Hallo ringelroth,
deine Kurzgeschichte entzückt mich geradezu. Du bringst die nordische Mundart auf sehr geschickte Weise an die Leser, vor allem bei S- tadt, , so dass ich locker "mitsprechen" konnte.
Ich mag Nordlichter und deren verhaltene Art, besonders die aus der friesischen Gegend,
Und was mir noch gefällt; Du schilderst ein Abenteuer, das an jeder Straßenecke warten kann. Etwas vollkommen Unspektakuläres. - Gerade dadurch wirst du der eher kargen Wohngegend und der ebenso kargen Kommunikation deiner Prots gerecht.
Kurzum: Juut jemacht!
Lg, marzipania
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Alt 01.02.2013, 02:26   #4
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.907
Standard

Hallo Ringelroth,

das ist eine äußerst amüsante Geschichte, die müsste man eigentlich vertonen, dann käme sie noch besser.

So stellt man sich eine typische "Ostfriesenunterhaltung" vor.

Auf jeden Fall ist der Text trotz seiner Länge sehr unterhaltsam und gut zu lesen gewesen.

So, und jetzt mach ich mich auch mal wieder auf die Socken....


Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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