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28.05.2009, 10:25 | #1 |
Schreibattacke
Registriert seit: 20.05.2009
Ort: Athen an der Spree
Beiträge: 103
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Neben dem Kartoffelkeller
Neben dem Kartoffelkeller
Ich sehe, wie meine Mutter am Gasherd schwitzt und weiß, dass wir wieder Bregen essen müssen. Bregen mit Bratkartoffeln. Sie wischt sich den Schweiß von der Stirn und in die Haare, und manchmal, wenn sie schmutzige Hände hat vom Kartoffelschälen oder davon, dass sie Leber in Mehl gewendet hat, putzt sie ihre Hände am Kittel oder an der Schürze ab. Ich finde das alles eklig. Ich weiß nicht, ob mein Vater das auch eklig findet, ich weiß bloß, dass sie ohne einander glücklicher wären - weil er nur zu den Essenszeiten und zum Schlafen nach oben in unsere Wohnung kommt. 'Na los doch, hol' deinen Vater', herrscht sie mich an. Ob sie mir wohl ansieht, wie ich übers Hausfrau-Sein denke? Ich antworte nicht, weil ich in diesem Zustand nicht sprechen kann. Ich sage auch nicht, dass ich immer Angst habe im Keller. Ich gehe einfach, denn ich weiß, dass ich keine Wahl habe. Keine Wahl, auch nicht zwischen Vater und Mutter, auch nicht, was das Verbleiben hier betrifft. Ich kann eh nicht fort. Draußen lauert allerlei Gefahr, das hat sie mir gesagt. Ich weiß nicht, was sie darunter versteht, denn hier lebe ich auch in Gefahr. Ich verachte sie. Sie sucht so lange nach meinen Tagebüchern, dass ich nicht mehr weiß, wohin damit. Bis ich nicht mehr weiß, wie ich existieren soll ohne meine geheimen Gedanken. Weil meine eigene Mutter mich doch nie versteht und aus lauter Verhärmtheit, wie mein Vater sagt, sich über meine Gedanken aufregt oder auch einfach nur lacht - ich habe das Wort 'Verhärmtheit' von ihm. Von ihm habe ich auch die Uhr zu lesen gelernt und das Einmaleins – bis auf sieben mal acht, damit habe ich manchmal noch Probleme, und dann rastet selbst er aus. Nicht, dass er schreit wie sie, aber er wird sofort ungeduldig, und ich merke dann, dass ich ganz besonders aufpassen und mich besser konzentrieren muss. All das denke ich, während ich die Treppen runtergehe, ich muss laufen jetzt, weil im Treppenhaus nach eineinhalb Minuten das Licht ausgeht ... Erdgeschoss. Das habe ich geschafft. Die Treppe zum Keller ist schon dunkel genug. Hier schlägt mein Herz wieder schneller, hier empfinde ich auch diese Fremdheit zwischen meinen Eltern ganz deutlich. Vielleicht ist es auch noch schlimmer geworden, seit wir wissen, dass ich einen Halbbruder habe? Die Tür zum Keller ist aus Holzlatten und hat rostige Scharniere, quietscht aber nur leise. Dunkel. Stockdunkel. Kein Glimmen fernen Lichts. Ich taste, taste wie wild, haue mit flacher Hand immer wieder an die Wand, bis ich endlich diesen Schalter treffe. Nein, es bringt nichts, ich muss da durch. Ich taste mich an der Wand entlang. Das habe ich schon oft gemacht. Bis zum Ende des Ganges. Vorsicht vor Mäusen oder Kartoffelkäfern ... damit mein Herz nicht stehenbleibt, wenn etwas flitzt oder quiekt. Ich atme tief und doch pocht mir das Herz, immer an der Wand entlang, bis ich einen ganz schwachen Schein wahrnehme und ahne, dass ich es gleich geschafft habe. Jetzt. Nur noch die Steinstufe vor der Tür, die mein Vater gemeinsam mit einem Nachbarn gegen das Hochwasser gemauert hat – und nicht vor dem Herzsprung rufen, er will nicht erschreckt werden. 'Papa?' - flüstere ich. Wie immer sitzt er da, gleich neben dem Holz- und Kohlenkeller, in dem auch der Kartoffelverschlag steht, in unserem zweiten Kellerraum, bei Kerzenlicht an seinem Schreibtisch. Hier steht auch das Eingemachte. Hier hat er tapeziert und hierher zieht er sich zurück zum Schreiben. Ein heiliger Ort. Sein Zuhause. 'Papa? - Das Essen ist fertig, du sollst hochkommen'. Er sitzt dort, hat die Hornbrille auf und schreibt konzentriert. Hier höre ich keine bösen Worte. Er lächelt. Er kommt dann.. sagt er, und das bedeutet, ich muss allein den dunklen Weg zurück. Mein Vater und meine Mutter sollen sich mal beim Tanzen kennengelernt haben - ob das stimmt? Nach oben fällt mir der Weg etwas leichter ... |
29.05.2009, 13:49 | #2 |
Gesperrt
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Beiträge: 73
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Hallo lingua,
nachdem du mich so nett begrüßt hast, wollte ich mich revanchieren und ein kleines Feedback hinterlassen. Allerdings kann es nur ein kleines sein, da ich Prosa nicht von der Technik her beurteilen, sondern nur sagen kann, ob mir etwas gefällt oder eher nicht. Das hier hat mir gefallen. Gar nicht mals so sehr die Beschreibung der Mutter, aber die Idee des Hinabsteigens zu dem im Grunde unbekannten Vater hat mir gefallen, weil ich es a) spannend fand und b) einer Kurzgeschichte angemessen, sich Vor- und Nachlauf selbst auszumalen. Während die Mutter ja schon nicht unbedingt sympathisch beschrieben wird, ging ich als Leser mit gewissem Grauen die Stufen mit hinab. Was würde mich da wohl erwarten. Um so größer die Überraschung: "Er lächelt. Er kommt dann.. sagt er." Das war schon klasse. Fast noch besser fand ich die Fortsetzung: "...und das bedeutet, ich muss allein den dunklen Weg zurück." In dieser ganz kurzen Geschichte steckt der ganze Kosmos einer entfremdeten Kindheit, wenn man nur will. Mich hat das sehr angesprochen. Gruß O. |
29.05.2009, 15:37 | #3 | |||
Lyrische Träumerin
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Beiträge: 686
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Liebe lingua Deine Geschichte ist wirklich schön. Ich hätte gerne weitergelesen. Die kleinen Details in der Küche..der Weg in den Keller..Tagebücher..alles wurde hier ausreichend beschrieben, so das für den Leser ein lebendiges Bild entstehen kann. Schreib weiter lingua, ich lese dich gerne. Lena Ich habe noch etwas vergessen. Deine Überschrift ist TOLL!!
__________________
~ Mit lieben Gedanken ~ ©auf alle meine Werke ............ Marion Baccarra
Geändert von Lena (29.05.2009 um 15:41 Uhr) |
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02.06.2009, 09:41 | #4 |
Schreibattacke
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Ort: Athen an der Spree
Beiträge: 103
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Hallo Oliver,
vielen Dank für Deinen Komentar. Es freut mich, dass Dir die Story zusagen konnte, und ich glaube, Du liest weitgehend das heraus, was ich beim Schreiben intendiert habe. Was wünsche ich mir mehr? Nix! Gruß, Lingua Hallo Lena, auch Dir vielen Dank für Dein Lesen und Kommentieren des Textes. Bregen ist Schweinehirn Öööh, ja, was soll ich sagen? Ich bin ja fast gerührt über Deinen Kommentar. So viel Gutes, was Du da schreibst ... ich freue mich, dass Du die Geschichte offensichtlich gern gelesen hast. Eigentlich geht sie nicht weiter. Ich könnte mich natürlich bemühen, aber ich glaube nicht, dass ich im gleichen Gestus 'was anhängen' könnte ... Danke nochmals und Gruß Lingua Geändert von lingua (02.06.2009 um 14:16 Uhr) |
02.06.2009, 19:17 | #5 |
Gast
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Hallo lingua, deine Geschichte wirkt sehr nah an Erlebtem, zumindest kann ich fast den Atem des Protagonisten wahrnehmen.
Das Thema an sich ist bei aller Klarheit düster. Der Alltag, sie trägt Kittel und wischt alles Mögliche an ihm ab, wirkt grau und spröde. Mir kam der innere Gedanke auf, warum dieses Leben? Nun in den Keller, insbesondere der Gang dort hinab. Was hab ich beim Lesen für Herzbummern bekommen?! Dann im Keller der schreibende Vater. Ein Ort und Bild der Ruhe. Und doch gehört das beschriebene Kind wiederum nicht dazu. Dieses hin- und hergerissen sein hast du ergreifend in Szene gesetzt. Ein ganz großes Lob dafür. alles liebe, Helene Geändert von Helene Harding (02.06.2009 um 20:25 Uhr) |
03.06.2009, 10:11 | #6 |
Schreibattacke
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Hallo Helene,
vielen Dank auch Dir für Dein Lesen und Kommentieren des Textes. Na - was soll ich sagen?! *froi* Das ist natürlich klasse, dass Du schreibst, es wirke nah an Erlebtem - was kann ich mir Besseres wünschen?! Danke Dir für Dein großes Lob - ich hab' mich gefreut ) LG L. |
03.06.2009, 11:43 | #7 |
MohnArt
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Ort: RLP
Beiträge: 1.949
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Hallo Lingua,
ich komme zur Zeit nicht so viel zum Schreiben oder Kommentieren, aber ich bin aus Zufall auf Deinen Text gestoßen und bin faszinert. Du beschreibst eine Kindheit, vermutlich in der Nachkriegszeit - so vermute ich mal zumindest. Ich erkenne so viel Detailgetreuheit wie das Abputzen der Hände an der Schürze, ( da sehe ich eine Verwandte von meinen Augen) man sieht förmlich eine enge dunkle Wohnung vor sich, den Hausflur, den Keller - wo der Vater sich verkrochen hat um seine Ruhe zu finden und hier ensteht tatsächlich ein Stück Ruhe in dem Stück - wie er vom Schreiben aufsieht und lächelt. Man sieht auch die Sprachlosigkeit in der Familie, die Entfremdung, die Einsamkeit aller. Toll und sehr eindrücklich und echt hast Du alles hier beschrieben, ich bin begeistert. Liebe Grüße, Klatschmohn |
03.06.2009, 11:44 | #8 |
Schreibattacke
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Hi Klatschmohn, und
*boah* .... DANKE! ) Gruß L. |
04.06.2009, 22:12 | #9 |
Gast
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Hallo lingua, mich freut es insofern, als das sich deine Geschichte, unendlich nah an Erlebtem orientiert. Deinem? Wohl dem, der sich höheren Wissens angeeignet weiß. Mir gefällt, dass es gefällt, während dem, dass es gefällt, weil es gefallen sollte. Nun, es gibt Tagebücher, deren Inhalt sich selbst in Mülltonnen, höchst wühlerisch aufpolieren lassen. Kein Lob, m.E., ohne wirklich rechte Mühe.
alles liebe, Helene Geändert von Helene Harding (05.06.2009 um 18:26 Uhr) |
05.06.2009, 13:18 | #10 |
Schreibattacke
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Hi Helene,
danke für Dein Lesen und Kommentieren, wobei ich den Kommentar eigentlich gar nicht wirklich verstehe - er ist mir zu kompliziert wohl für mein kleines Hirn. Auch frage ich mich, welche Relevanz es hat, woher meine Recherchen rühren. Je näher der Leser eingebunden wird, desto gelungener der Text, wie ich finde. Oder meinst DU, Krimiautoren oder vielleicht Patrick Süskind müssten selbst schon gemordet haben, um dergleichen zu schreiben? Naja, danke jedenfalls und viele Grüße L. |
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