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Alt 08.07.2009, 12:26   #1
lingua
Schreibattacke
 
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Verzerrt


Wir hatten uns beim Pokerspiel kennen gelernt und diesmal in einem Café getroffen, saßen uns gegenüber. Ich war fasziniert von ihm. Mir war klar, dass er mit allerhand dealte - auch dass er Zigaretten und geklauten Schmuck schmuggelte. ‚Ein hartes Gesicht ...‘, kommentierten andere Menschen. Mittlerweile nahm ich vor allem wahr, mich nicht fürchten zu müssen. Wir hatten uns bereits bei mir zu Hause gegenseitig mit den Fingern Spaghetti mit Tomatensauce gefüttert, Whisky aus der Flasche getrunken – bei bis zum Anschlag aufgedrehter Stereo-Anlage. Und unsere Nächte waren in jeder Hinsicht fast verboten ausschweifend. Seine Worte "Wer hätte gedacht, dass ich mich mal so hingezogen fühle zu einer wie Dir", begleitet von mir geltenden Attributen, hatten mich gleichermaßen belustigt wie befremdet.

An unserem Tisch saß sich noch ein Paar gegenüber, die Beiden schlürften wortlos ihren Pharisäer, während unsere Blicke miteinander vögelten. Es gab keine Bedienung in dieser Kaschemme, dennoch
sah ich schemenhaft lauter Gäste, ein kurzes Zwischenmahl oder Getränke zu sich nehmend, was mich nicht sonderlich interessierte.

Boris faltete ein postergroßes Papier auf, in dem sich wohl zirka 150 Gramm Schnee befanden. Er steckte den ganzen Kopf hinein, inhalierte geräuschvoll und hustete in das Plakat. Die Beiden am Tisch hoben träge die Köpfe zu ihm, zu mir, doch niemand sprach. Bald waren sie im flimmernden Bildschirm untergetaucht.

Als er sich vom Koks-behäuften Papier aufrichtete, sah ich sein Gesicht über und über rosa-weiß, fast ganz weiß, wie von einem Kind, das seinen Kopf in eine Mehlschüssel getaucht hatte. Wild lachend fegte er mit seiner großen Pranke in einem heftigen Stoß das Papier mit dem restlichen Stoff vom Tisch. Er spuckte in die Hände, rieb sich das Gesicht, leckte sich das weiße Gestäub von seinen Händen. Dabei schaute er mich gierig an, seine Pupillen wirkten weit, sein fleischiger Mund spitzte sich mir entgegen. Seine Nasenlöcher waren weiß geblieben, sogar das Grübchen zwischen Unterlippe und Kinnspitze.

Lachend beugte ich mich über den Tisch ihm entgegen, wurde von sicher sechs oder acht Händen umarmt, geküsst und liebkost. Ich fühlte mich gut aufgehoben, auch wenn ich manches Mal Angst hatte. "Eines Tages stirbst du noch in meiner Gegenwart", sagte ich, "vielleicht wirst du festgenommen vom Sondereinsatzkommando oder zusammengeschlagen von der Bande, die auf dein Zeug wartet. Es ist schließlich schon bezahlt. Sie werden es mit Milchzucker strecken und das vierfache des Preises herausholen". Lachend strich er mir über die Wange. "Darling, kümmre dich nicht um Dinge, die dich nichts angehen", brummte er hämisch. Der Wert des vom Tisch gewirbelten Schnees, staubfein verteilt ... nichts als schnöder Mammon?

Er grinste, derweil ich versuchte wahrzunehmen, ob alle Anderen fortgegangen wären. Auf dem Weg zu mir hatte ich gesagt:
"Lass mich etwas ausruhen, ich muss auch noch Joey füttern".
"Ich hasse diesen vermaledeiten Kater, er ist nicht einmal ganz schwarz."
'Nein', dachte ich, 'weiße Pfoten hat er, eine weiße Kehle und über dem Maul noch einen weißen Strich, einen Doppel-Bart', wie ich es nannte. Genau so liebte ich ihn.

Ich lief durch die Straßen hinter Boris her, das kannte ich schon, er war ja drauf. Ich trug Pumps und einen engen Minirock mit Schlitz, konnte eh nur kleine Schritte tun. Alles war egal, auch dass er Fensterscheiben zerschlug mit bloßer Faust, seine Hände bluteten und er brüllte, zwischendurch rotzte und spuckte. Es kam nur vom Schnee. Sein Gang war lässiger und schlacksiger denn je, die enge Jeans war so blutig wie sein T-Shirt, sie umzauberten seinen knackigen Hintern.




Als wir an dem Laden des Tierpräparators vorbeikamen und den Stapel Hunde auf dem Bürgersteig überkletterten, kicherten wir. Ratten liefen neben uns und zwischen unseren Füßen, sie quiekten ein mazedonisches Liebeslied. Boris, stolz und sensibel, hart und sentimental? Ich fühlte seine klebrig-warme Hand um meine, wir liefen durch die Einfahrt bis in den zweiten Hinterhof, die Stiegen hinauf, glucksend und außer Atem. Drinnen rissen wir die Fenster auf. Von dem Viertel magischen Pilz vorhin hatte ich mich übergeben, der beißende Geruch hing in der Wohnung fest.
Nachdem Joey die Leber verputzt hatte, legte ich mich auf's Sofa, schloss die Augen. Boris verschwand schweigend in den Nebenraum. Joey lief maunzend durch das Zimmer, in dem ich träumte. Wahrscheinlich jagte er Motten. Ich war nur noch müde.

An der Decke sah ich zwischendurch die Schatten von Autoscheinwerfern und Laternen, aus den Nachbarwohnungen schienen die Spätnachrichten oder das Wort zum Sonntag zu klingen.
Ich war bereits im Halbschlaf, als ein Mann durch mein Fenster stieg. Einen Säbel in der Hand, bedeutete er mir mit aufgerissenem Blick, keinen Mucks von mir zu geben, ansonsten sei ich nicht mehr von dieser Welt. Paralysiert lag ich nun dort, Lichter blitzten im Säbel. Der Kerl wollte Boris. Mein Herz klopfte, ein wenig Urin tröpfelte in meinen Slip, meine Schläfen trommelten, Säure stieg aus meinem Magen. Ich musste an mich halten, mich nicht zu übergeben.

Ich nahm einen Messerschaft aus Joeys Kehle ragend wahr und wie sein Blut rhythmisch auf den zigarettenverbrannten, ehemals hellen Teppich spritzte. Ähnlich wie ich würgte und gluckerte er. Der Mann allerdings schlich sich ins Nebenzimmer, ein nächster Typ kletterte gerade in meinen Raum. Er hatte eine eingefallene Wange, eigentlich nur eine wirkliche. Irre lachend hielt auch er mir die Spitze eines Messers entgegen. Ich wusste längst, ich hatte still zu sein, spürte voller Angst dem Trommeln im Hals und dem bebenden Rumpf nach, hoffte, meine Stimme drosseln zu können. Tränen liefen in meine Ohren, während ich an die Decke starrte und leise japste und wimmerte.



Die beiden Männer hingen gerade in den Fensterkreuzen, als die Angeln barsten. Langsam und leise schwebten sie durch die schwüle Sommerluft bis auf den Asphalt. Im Nebenzimmer blieb es still. Ich schaltete den Videorecorder aus, den Ventilator an und ging zur Toilette. Während ich mich übergab, sog mich der Abfluss mit sich. Kein Strampeln vermochte diesen Vorgang abzuwehren.

Nun bin ich hier, liege auf euch und rieche das Formalin in eurem Fell. Boris kommt mich sicher eines Tages besuchen. Ich kann mich nicht bewegen, höre mein Herz nicht schlagen und bringe kein Wort aus mir heraus. Joey baumelt immer noch über mir an einer Kette von der Decke, auf ihm sitzt schaukelnd mein anderes Ich und lacht.

Ich halte die Augen geschlossen, bleibe steif, nicht weil ich es wollte, sondern weil nichts Anderes geht. Die Kunden hier halten mich für verstorben, gucken mich prüfend an, manche tasten an mir herum oder tätscheln meine Wangen, wollen meine Atemtätigkeit prüfen, aber sie fühlen weder warmen Hauch aus meiner Nase strömen, noch sehen sie gerötete Wangen oder ein Wimpernflimmern.

Ich mag mich jetzt noch nicht äußern, mich nicht bewegen, sie nicht ansehen oder lauthals beleidigen, selbst dann nicht, wenn ich es könnte. Doch ich nehme alles wahr durch meine Lider, ich höre jeden Laut, den sie tuscheln, weiß um ihre Nöte und Ängste, ihre verborgene Lust, ihre Geheimnisse und Perversionen. Der eine da im Smoking, mit seiner zwanzig Jahre jüngeren Frau, die das Rubincollier trägt und den Brillantring, der Fettwanst, der ihr Anzüglichkeiten ins Ohr flüstert, die ich besser nicht gehört hätte, benimmt sich wie ein Nekrophiler. Er tastet mich hastig ab, als seine brünette Begleitung flink in ihr Handy tippt. Er hat große Ähnlichkeit mit Boris, die Blicke scheinen sich verdammt verwandt.

Dieses Pärchen will mich kaufen, die beiden unterhalten sich mit dem hageren, einwangigen Ladenbesitzer, würden in bar zahlen, sagen sie. Sie waren auch im Café gewesen, hatten an unserem Tisch gesessen.
Ich muss dem alten Sack beizeiten die wahngeilen Augäpfel ausschälen.

Geändert von lingua (08.07.2009 um 12:45 Uhr)
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Alt 09.07.2009, 19:31   #2
Helene Harding
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Liebe lingua, zunächst - very interessanter, but auch a bissl crazy Text, nicht wahr?

Dass ich bis zum Ende "durchgehalten" habe, lag wohl eher daran, dass ich noch auf eine Pointe, etwas Geniales, Einschneidendes wartete...vergebens

Zunächst würde ich die Interpunktion prüfen , so auch die wörtliche Rede, die teilweise untergegangen ist. Einige Sätze sind "ellenlang", eine entsprechende Kürzung würde nicht schaden.

Inhaltlich hat mich dein Text nicht berührt, kam MIR sehr sachlich-abgeklärt daher, ja fast emotionslos. Mir fehlten Spannungsbogen und Unterhaltungswert.
Nun, das sind Kriterien, nach denen ICH mich gern orientiere.

PS:
Den vorhergehenden Text hast du eilig und ohne weiteren Kommentar gelöscht, obschon ich einen Komm geschrieben hatte. Ich würde mich freuen, wenn du mich künftig wenigstens per PN über derlei Entscheidungen informieren würdest, damit ich mir nicht weiter den Kopf zerbrechen muss

alles liebe, Helene
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Alt 21.07.2009, 09:06   #3
lingua
Schreibattacke
 
Registriert seit: 20.05.2009
Ort: Athen an der Spree
Beiträge: 103
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Hallo Helene,

das ist eine 'surreale' Geschichte, und das ist nicht jedermannfraus Sache, und nicht jeder hat Zugang dazu, das ist mir wohl bewusst ... Aber ich schreibe schon ganz gern des öfteren Texte, die sich nicht oder weniger auf rationaler Ebene bewegen.
Dass Du die alleinige Leserin oder Kritikerin warst, zeigt mir natürlich, dass solche Texte hier im Forum nicht gerade 'angesagt' sind.
Vor allem deshalb DANKE für Deine Zuwendung zum Text.

Gruß
L.
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