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Alt 17.02.2009, 12:54   #1
Klatschmohn
MohnArt
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: RLP
Beiträge: 1.949
Standard Es war einfach so.

Es war einfach so.
Gestern hatten sie noch miteinander gespielt und heute war Anna tot.
Mausetot hatte die Mutter gesagt und sich die Tränen mit einem Taschentuch abgewischt.
Heiner konnte das nicht ganz verstehen, was hatte der Tod mit Mäusen zu tun ?
Tote Mäuse hatte er schon gesehen. Spitzmäuse, welche die Katze von Herrn Wasel im Hof liegen gelassen hatte. Mäuse ohne Kopf. War das mausetot ? Am liebsten hätte er nachgefragt, sich dann aber doch nicht getraut. Sah Anna jetzt wie eine tote Maus aus ?
Gewiss, sie hatte ein kleines spitzes Gesicht gehabt, fast wie ein Mäuschen und manchmal hatte ihre Mutter sie auch Mäuschen gerufen. Jetzt rief sie keiner mehr.
Die Polizei war auch schon im Haus gewesen, hatte an alle Türen geklopft und alle Leute im Haus gefragt, ob sie etwas über Anna und ihre Mutter erzählen konnten.
Sie hätten ihn fragen sollen, aber Anna hatte ja gesagt, er dürfe es nicht weitererzählen.
Das war nämlich ein Geheimnis und Geheimnisse durfte man nicht weitererzählen, hatte Anna gesagt.
Aber jetzt war Anna tot. So ähnlich wie die Spitzmäuse auf dem Hof.
Wie ist das eigentlich wenn man tot ist, fragte er sich und stieß mit dem Fuß eine Blechbüchse vor sich her.
Gestern noch hatte Anna mit ihm hier gestanden, sie waren über den Hof gerannt und hatten gespielt, sie würden mit einem schnellen Auto über die Autobahn flitzen. Anna hatte sogar laut gelacht und das war schon etwas Besonders. Das war schön, dass Anna gelacht hatte.
Ein bisschen hatte er sich wie der große Bruder von Anna gefühlt, obwohl seine Mutter gesagt hatte, dass sie gleich alt wären. Aber Anna war viel kleiner und konnte auch nicht so gut sprechen wie er. Er hatte sie immer verstanden, besser als die Erwachsenen.
Seine Mutter hatte Anna fast gar nicht verstanden und sie mochte auch nicht, dass beide miteinander spielten.
Schade dass das jetzt vorbei war, er hätte jetzt gerne ihre kleinen Hände in die seinen genommen. Anna hätte ihm dann sicher wieder von den Sachen erzählt von dem sonst keiner was wusste.
Vor dem neuen Papi hatte sie Angst gehabt. Den konnte sie nicht leiden, weil er so groß und so laut war und weil Anna immer auf den Hof musste wenn er kam. Oder sie musste vor dem Fernseher sitzen bleiben und ihre Mutter ist dann immer so müde geworden und musste sich ins Bett legen und der neue Papi ist dann immer mitgegangen. Anna mochte das gar nicht wenn er kam. Da ist sie lieber nach unten auf den Hof gegangen.
Dann hat sie unten auf der Bank bei den Spielgeräten gesessen und hat auf ihn gewartet. Er konnte das vom Nachbarhaus immer gut sehen.
Hunger hatte Anna auch immer gehabt, er hatte das auch seiner Mutter erzählt, aber die Mutter hatte es wohl gar nicht verstanden. Wir mischen uns da besser nicht ein, hatte sie gesagt.
Er seufzte und ging hinüber zu der Bank bei den Spielgeräten.
Er sah gerade noch, wie Annas Mutter in Begleitung von zwei Polizisten das Haus verlies und sich in das Polizeiauto setzen musste.
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Alt 25.02.2009, 23:23   #2
Falderwald
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Liebe Klatschmohn,

die Schilderung des Schicksals der kleinen Anna durch die Sicht ihres gleichaltrigen Freundes Heiner lässt viele Dinge nur erahnen, und doch entsteht ein relativ deutliches Bild von den Geschehnissen.
Immer wieder rütteln uns Schreckensnachrichten über zu Tode gekommen Kinder auf. Sei es durch Missbrauch, durch Gewaltanwendung oder einfach nur durch Vernachlässigung.
Das ist ein Spiegel unserer Gesellschaft und damit ganz schön deprimierend.
Sehr schön auch herauszulesen ist, daß man sich besser nicht um die Angelegenheiten der anderen Leute kümmert. Diese Gleichgültigkeit gegenüber den kleinen Menschen ist wiederum symptomatisch.
Alle verurteilen ein solches Verhalten gegenüber Kindern, doch letztendlich hat auch niemand etwas gesehen oder bemerkt.
Geahnt haben sie es, aber getan hat keiner was.
Viele Kinder könnten noch leben, wenn wir alle etwas aufmerksamer wären.
Manchmal habe ich aber auch den Eindruck, daß Mütter/Väter/Eltern einfach nur mit ihren Sorgen und Nöten im Stich gelassen werden.
Und manchmal fasse ich mir an den Kopf, wenn ich höre oder sehe, wie Jugendämter in intakte Verhältnisse aufgrund äußerlicher Zustände eingreifen.
Hier bleibt oft die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gewahrt.

Wie auch immer, deine Geschichte ist sehr aufrüttelnd und hat mir in diesem Sinne gut gefallen.


Gerne gelesen, nachgedacht und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 27.02.2009, 10:13   #3
Klatschmohn
MohnArt
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: RLP
Beiträge: 1.949
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Lieber Faldi,
im Umgang der Jugendämter gehe ich mit Dir konform, ich habe da so einiges erlebt. Aber wie sieht die andere Seite aus, chronisch überbelastet und häufig auf sich alleine gestellt, oder gar von Vorgesetzten gedrängt, müssen die zuständigen Sozialarbeiter (innen) Entscheidungen treffen und gleichzeitig aufpassen, dass sie nicht in die Schusslinie geraten.
Nicht wirklich ein angenehmer Job.
Ja, das Leid der Kinder ist sehr vielfältig und vielfältig ist auch die Verschleierungstaktik der Erziehungsberechtigten. Meiner Meinung nach, muß der Staat hier Räume schaffen, damit Kinder wenigstens ihre Grundrechte bekommen können.
Die Ganztagsschule, mit qualifizierten Lehrern und sonstigen Personal, Mittagstisch (wie viele Kinder haben keine warme Mahlzeit), Schulaufgabenbetreuung, Nachmittagsangebote, ärztliche Reihenuntersuchungen.
Das würde schon manches Abfedern.
Vielleicht kann sich die eine oder andere berufstätige Frau auch dann dazu entschließen Kinder in die Welt zu setzen, denn die Absicherung von Frauen, die Kinder erziehen ist zur Zeit in Deutschland miserabel und wenn der Mann kein Krösus ist, kann ein Kind sehr leicht zu Harz IV führen, zumal wenn sie sich trennen.

Ich danke Dir sehr für Deinen Kommentar,
liebe Grüße,
Klatschmohn
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