05.03.2009, 22:47 | #1 |
Gast
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Im Morgengrauen
Im blassen Morgenlicht, in den dunklen Raum
verwoben, die Silhouette einer einsamen Frau am Fenster, den Kopf schlaftrunken im Traum gefangen, dessen Gespenst, müde und grau, bettschwer in sein finsteres Versteck schlurft. Am frühen wolkenverhangenen Himmel kreist ein schwarzer Vogel, Bote aus einem fernen Land jenseits der Wolken. Der Weg verwaist, der sie wegführt, hin zu den silbernen Sternen. Ach, hätte es wirklich all des Schmerzes bedurft? Nichts mehr zu fühlen, ohne Furcht, Verlangen oder Begierde zu sein. Kein Wunsch oder Wille hält die Frau noch in Raum und Zeit gefangen. In Gedanken flieht sie weit weg in die ferne Stille, befreit von dem Dasein, das sie einst bedrückt. Sie öffnet das Fenster, atmet ein letztes Mal die frische Morgenluft. Sie breitet die Arme aus. Und während sie fortfliegt aus dem Jammertal, weht ihr letzter Atem leise in den Tag hinaus. Und schon ist ihre Seele Zeit und Raum entrückt. |
05.03.2009, 23:16 | #2 |
gesperrte Senorissima
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Liebe Jenny -
ein bedrückendes, aber sehr erkennendes ( wenn nicht gar ahnendes oder wissendes ) Gedicht präsentierst Du hier. Geschaffen für Nachtstunden und Einsicht. Die Metaphern reißen mich hin. Vor allem der Bote aus einem fernen Land jenseits der Wolken hat es mir angetan. Sich in seine Fittiche zu schmiegen: Welch schöne Vorstellung! Lediglich die letzte Zeile gefällt mir nicht. Sie ist mir zu "betrachtend".Vor allem das "schon" ist mir zu wenig spirituell. Wie wäre es mit "Ihre Seele ist nun Zeit und Raum entrückt" ? (Oder ähnlich) Du müßtest zwar auf zwei Silben verzichten, aber ich glaube, das stünde der Metrik nicht entgegen. Tiefendunkle Grüße von cyparis! |
05.03.2009, 23:37 | #3 |
Gast
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Aloha cyparis,
ja, für den Leser ist es wirklich ein Morgen voller Grauen, wenn er aus einer Zeitungsnotiz vom Selbstmord dieser Frau erfährt. Für die Frau selbst hält dieser graue Morgen die Freiheit bereit, den Freitod, der es ihr ermöglicht, endlich dem Jammertal zu entfliehen. Das Wörtchen "schon" in der letzten Zeile gebrauche ich nicht in einem metaphysischen, sondern in einem zeitlichen Sinn. So lange bedrückte diese Frau ihre Existenz, und noch am Schluss hatte sie all die schweren Gedanken. Mit ihrem Sturzflug aus dem Fenster hat ihre Not sofort ein Ende. Schwarze Grüße Seeräuber-Jenny Geändert von Seeräuber-Jenny (06.03.2009 um 00:30 Uhr) |
06.03.2009, 00:28 | #4 |
gesperrte Senorissima
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Du meine Güte!
Jenny! Ich hatte gar keinen Selbstmord vor Augen, sondern einen sozusagen "sanften" Tod. Demnach sind meine Anmerkungen fehlgegangen. Eine Greisin in dem Bewußtsein, daß das Ende unmittelbar bevorsteht. Das ja dann auch kommt durch eigene Hand: D a s war mir nicht eingefallen bei Deinem Gedicht. Das rührt vielleicht daher, daß ich harmoniesüchtig bin. In Gedichten entdecke ich lieber das "Sanfte", als das Schreckliche. Aber das Lob gilt nach wie vor! Lieben Gruß von cyparis Geändert von Leier (06.03.2009 um 00:29 Uhr) |
06.03.2009, 00:42 | #5 |
Gast
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Ahoi liebe bewusste Greisin,
du hast das Gedicht schon richtig aufgefasst. Für die Frau bedeutet ihr Tod Freiheit, Rückkehr ins Nichts, jenseits von allem Leid. Kurz vor ihrem Ende träumt sie noch den schönen und sanften Traum, dass ihre Seele mit dem schwarzen Vogel hin zu den Sternen fliegt. Und herzlichen Dank für dein Lob! Deine Seeräuber-Jenny |
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