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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 21.12.2010, 11:33   #1
Walther
Gelegenheitsdichter
 
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Standard Vorbei

Vorbei


Man aalt sich in den sicheren Gefühlen,
Dass das, was heute ist, auch morgen sei,
Wenn es geblieben wäre. Doch: Vorbei,
Zerronnen und zerplatzt, der Traum, im kühlen

Und glatten Lächeln jener auf den Stühlen,
Dort, wo man steuert: Weinen? Einerlei!
Man kennt nicht mal des Feindes Konterfei,
Ertrinkt im Strudel, will sich vorwärts wühlen

Im Treibsand falscher Glücks- und Heilsversprechen:
Schal schmeckt die Hoffnung wie zu alter Wein!
Man spürt in seiner Brust ein feines Stechen,

Das Atmen fällt schon schwer, man ist allein.
Die Rüstung strotzt vor Löchern in den Blechen,
Und Sicherheit ist nichts als falscher Schein.
__________________
Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
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Geändert von Walther (21.12.2010 um 13:16 Uhr)
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Alt 23.12.2010, 09:44   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, walther!

Du beschreibst meines Erachtens die Kaltschnäuzigkeit berechnender Politiker, die womöglich Kriege beginnen, ob militärisch, wirtschaftlich, ideologisch, religiös, usw.., ohne an all das Leid zu denken, das sie ihren Schutzbefohlenen damit antun!
Sie "steuern", wie du sagst, nach egoistischem Kalkül, und jedes wahre Fühlen gefriert an ihrer inneren Kälte, die nur der Erfüllung des eigenen Betreibens dient!

Man ist nie sicher in einer Welt, die von solchen "Lenkern" gesteuert wird - alles kann sich freiflottierend ändern, je nach "Bedürfnis" der Regenten. Man rüstet sich, aber die Jahre im Kampf gegen die Windmühlenflügel der Idiotie und Verantwortungslosigkeit nutzen die Rüstung ab, machen sie löchrig und angreifbar.
Man resigniert irgendwann und wendet sich nur noch angewidert und enttäuscht ab.

Deine Zeilen beschreiben dieses Phänomen ausgesprochen eingängig und lyrisch ausgewogen, ohne dabei auch nur einen Deut an Kraft und Schwung einzubüßen!

DAS ist große Lyrik, wenn solches gelingt - die perfekte Symbiose von Wortgewalt und Aussage. Da ist kein Wort zuviel oder zuwenig! Es kommt nicht oft vor, dass ich ein Gedicht finde, an dem ich absolut nichts zu verbessern finde - weil ich es selbst nicht besser hätte schreiben können, oder mehr noch, weil es über meine bescheidenen Fähigkeiten noch hinauszureichen scheint!
All dies ist hier der Fall! Ich verbeuge mich vor diesen Zeilen! Ein ausgezeichneter Wurf, wenn ich so sagen darf! Chapeau!

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 26.12.2010, 17:26   #3
Walther
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Lb. lipiwig,

wer die Welt nicht mit offenen und damit skeptischen Augen betrachtet, kann auch das Schöne, Einmalige, Wunderbare nicht entdecken. Angesichts dessen, was man sieht, kann einem schon die Melancholie anfallen. Bevor diese in Depression umschlägt, muß man das Clowneske der meisten Situationen goutieren und hinüberretten. In der Tat, der vorletzte Vers kann in seiner Diktion so verstanden werden.

Solange man dagegen noch anschreibt, ist nicht alles verloren. Wenn wir uns gegenseitig immer wieder berühren mit diesen Gedanken, wird sich eine Chance für das Morgen ergeben.

Danke und Weihnachtsgrüße

W.

Lb. Erich,

Dein Lob hat mich etwas sprachlos gemacht - was bei mir Vielredner und -schreiber eine Kunst ist. Nicht daß ich mich nicht geehrt fühlte, das Gegenteil ist richtig: Der Dichter als brotloser Schreiberling der Moderne kann zwar vom Beifall nicht leben, aber ohne ihn könnte er sicherlich ebenso wenig sein.

Nun sind meine Gedichte nichts als Alltagslyrik, die einem gewöhnlichen Durchschnittsbürger durch die Gehirnwindungen schießt. Es mag sein, daß sich durch fleißiges Üben eine gewisse Fertigkeit entwickelt hat. Aber ansonsten bleibt der Autor bei der Selbsteinschätzung, das er nur Durchschnittliches schaffen kann und schafft. Gelegentlich kommt einmal etwas Besseres auf das Papier, und das mag hier der Fall sein.

Ich habe leider für viele meiner Diagnosen keine Lösungsrezepturen. Manchmal wünschte ich mir, ich hätte weniger wohlklingende Verse und dafür mehr wohlklingende und gute Lösungen.

Vielen Dank für Deinen Eintrag.

LG W.
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Alt 27.12.2010, 13:34   #4
Erich Kykal
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Hi, Walther!

Ein Gedicht - ein gutes - steht für sich selbst! Es ist keine "Lösung" für irgendwas, es findet dauernden Wert in der möglichst perfekten Symbiose von transportiertem Inhalt, Sprachmelodie und -stimmung, Reimschema und Rhythmus!
Mag sein, dass du als "Vielschreiber", wie du dich fast herabwürdigend lapidar nennst, nicht das Gefühl hast, etwas "Großes" schaffen zu können. Das sehe ich anders.

Wenn ich mal aus meinem eigenen Erfahrungsschatz schöpfen darf:
Wenn ich mein Schaffen der letzten 5 Jahre überschaue (Gibt's als gebundenes Best of-Buch "Weltenwege" bei mir zu ordern, über 300 Seiten!), so muss ich ehrlich gestehen: Ein bis zwei Dutzend davon haben in meinen eigenen Augen das Zeug, "große" Gedichte zu werden - und das eben auch nur, wenn ich es schaffe, dass viele Menschen sie lesen und behalten!
Alle anderen haben irgendeinen Makel - und sei es nur ein einziges falsches Wort, für das mir kein besseres einfiel, oder eine Unstimmigkeit in der Satzmelodie, oder eine zu umständliche Konstruktion in Wort, Sinn oder Aussage, oder, oder, oder...
Dennoch sind sie gut, zu gut, um sie zu vergessen, zu ignorieren - aber sie sind eben irgendwie nicht perfekt! Solche Würfe gelingen allzu selten! Man sollte aber das Gespür haben, sie zu erkennen, wenn sie einem zustossen!
Und dann sollte man solche Großtaten festhalten, vielleicht in einer besonderen Schublade, um sie bei passender Gelegenheit hervorzuholen und stolz zu präsentieren: Dazu war ich fähig!
Abgesehen von der wirkung auf die Umwelt hebt dies auch das eigene Wohlgefühl enorm. Jaja, wir sind applaussüchtig, eitel und oberflächlich. Menschen eben, oder!?

Zurück zu dir:
Du sagst, du könntest nur Durchschnittliches schaffen! Glaube das nicht! Ja, selbst bei Rilke findet sich viel sog. "Durchschnittliches", aber daran erinnert sich eh keiner! Nein, wenige seiner Werke kennt man und zitiert man, aber diese "Volltreffer" gehen in den Sprachgebrauch ein, ob im Ganzen oder in Zitaten, und finden ein klein wenig Ewigkeit in der Zeit.
So geht es mir, so geht es auch dir: Das meiste von dem, was wir schreiben, ist eben dieser Durchschnitt, an dem wir mitunter so verzweifeln, dass wir glauben könnten, uns käme nie besseres in den Sinn. Aber da sind auch immer diese magischen Momente, wo einfach alles stimmt und zueinanderfindet: Wortmagie, Sprachfluss und Aussagekraft!

Worin letztlich das Geheimnis liegt, vermag ich dir auch nicht zu sagen! Manche Gedichte glühen eben! Alles fügt sich zu einer harmonischen Gesamtkomposition, vielleicht auch nur für den, der gerade in der richtigen Stimmung ist, wenn er es liest. Dennoch!
Auch du bist offenkundig in der Lage, die Worte und Zeilen so ineinandergreifen zu lassen, dass diese Magie entsteht - zumindest bei mir!
Gerade die letzte Strophe ,die beiden 3-Zeiler, diese Conclusio, das ist für mich ein wunderbares Beispiel solcher Kunst:

Kein Wort zuviel oder zu wenig. Die Sätze weder zu kurz noch zu lang. Der Inhalt weder zu flach noch überfordernd. Die Bilder stark und zwingend, nicht zu abgedroschen, nicht zu ungewohnt. Die Wortmelodie harmonisch mit dem Sprachrythmus schwingend, das Reimschema sauber und vollendet...

Das macht eben in meinen Augen wahre und große Lyrik aus: Solche Momente, solche wenigen Zeilen!
Denke du ruhig von dir, was du magst. Ich würde mich allerdings freuen, wenn du dich meiner Ansicht anschließen könntest und vielleicht ein wenig mehr an dich glaubst. Vielleicht kommen solche "Momente" dann auch öfter, als du wahrhaben willst...

LG, eKy
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 27.12.2010, 17:07   #5
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Lb. Erich,

danke für Deinen Zuspruch. Ich habe für mich entschieden, es in dieser Sache sehr ruhig angehen zu lassen. Bisher habe ich einfach keine Zeit gefunden, meinen Fundus strukturiert zu bearbeiten.

In der Tat haben auch die Großen unter den Dichtern nicht nur Überragendes geschaffen. Aber selbst ihre Normalform überragt mich doch um Vieles.

Daher möchte ich bei meinen Leisten bleiben. In zu große Schuhe zu treten, liegt mir in diesem Falle, der ich sonst schon gerne ein bißchen auf die Pauke haue, eher weniger.

In diesem Sinne wünsche ich Dir das Allerbeste.

LG W.
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