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Finstere Nacht Trauer und Düsteres

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Alt 09.05.2016, 19:01   #1
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Beiträge: 3.375
Standard Auf der Galatabrücke

Auf der Galatabrücke

Sie stand wie traumverloren auf der Brücke
inmitten des Verkehrs und tausend Blicke
zerschnitten Neonlicht und Nebelgrau.
Sie war so jung, war nicht mehr Kind, nicht Frau
und hauchte zitternd, so als ob sie flehte,
den Namen nur, um den sich alles drehte,
ihr Denken, Leben, Lieben, ihre Welt.
Wo bleibt ein Anker, wenn die Sonne fällt?
Und keiner sah sie, hat sie angesehen,
es blieb auch niemand ihr zur Seite stehen.
Sie war schon lange, lange nicht mehr da,
als man sie auf der Brücke stehen sah.
__________________
© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller

Geändert von Thomas (12.05.2016 um 10:26 Uhr)
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Alt 09.05.2016, 22:07   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Thomas!

Das ist eines der gelungensten Werke der letzten Wochen, wenn nicht das beste!
Meine Hochachtung zu dieser Verdichtung eines Suizids in fließender Sprache und hypnotischen Bildern, Eindrücken, Emotionen!

Perfekt eingefangen das Ausgeliefertsein unreifer, unerfahrener junger Menschen an den Sturm ihrer Gefühle in der Limerenzphase - und das absolute Niedergeschmettertsein, wenn diese Gefühle nicht (mehr) erwidert werden!

Wenn man - alles ausblendend, was man war, ist und hätte noch sein können - ein plötzlich sinnlos erscheindes Leben fortwirft, aus Trotz, aus Rache, aus verletzter Eitelkeit zum Teil vieleicht, vor allem aber - wie du so treffend beschreibst - weil solche ganz sich dem anderen Ausliefernden sich plötzlich des Sinns, der Mitte, des vermeintlichen Inhalts ihres Lebens beraubt fühlen!

Bedauernswert - und welch tragische Vergeudung aus der Sicht älterer, reiferer, am Leben und seinen Fallstricken geschulter Geister, deren Überschwang sich lang an der Welt abnutzte, die sie lange genug überlebt haben, um an und in ihr zu autarkeren Wesen heranzuwachsen.

Allergernst gelesen!

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 10.05.2016, 16:51   #3
Dana
Slawische Seele
 
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Lieber Thomas,

ein wirklich großes Gedicht. Einfühlsam das "Gesehene" beschrieben, nicht bewertet aber tief berührt.
eKy hat es sehr treffend kommentiert.
Liebe Grüße
Dana

Ein kleiner "Tippelfehler": es bliebt auch niemand ....
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 10.05.2016, 16:57   #4
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Beiträge: 3.375
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Lieber Erich,

vielen Dank. Da ich von deiner Meinung viel halte, erfreut mich deine Wertung natürlich sehr und deine Erläuterungen sind genau und einfühlsam. Ein zusätzlicher Aspekt der mir auch wichtig war, ist die Kälte und Teilnahmslosigkeit der Umgebung.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 11.05.2016, 18:44   #5
charis
/ Bil-ly /
 
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Beiträge: 435
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Sehr schön, lieber Thomas, obwohl "schön" wohl eher nich der richtige Ausdruck ist - da weht dein besonderer Dichtergeist durchs Forum - das freut mich!

Was mir nicht so zusagt, ist das "traumverloren", das passt nicht wirklich zum Suizid - wir sehen traumverloren eher positiv, oder? Vielleicht sehen das nur die anderen so? Nein, die beachten sie ja gar nicht! Mir fällt leider im Moment auch keine andere Lösung ein - vielleicht: "vom Traum verloren", "im Alb verloren" oder so etwas in der Richtung?

Lieben Gruß
charis
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Alt 11.05.2016, 18:51   #6
Dana
Slawische Seele
 
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Lieber Thomas,

Du hast meinen Kommentar übersehen, wahrscheinlich schrieben wir gleichzeitig. Weil es schon einmal so geschehen ist, melde ich mich hier erneut.
Ich verzeihe Dir - aber ich passe auch auf, dass es nicht zur Regel wird.

Allerdings bekomme ich die Gelegenheit zu Deiner Antwort an eKy etwas zu sagen:

Zitat:
Zitat von Thomas
Ein zusätzlicher Aspekt der mir auch wichtig war, ist die Kälte und Teilnahmslosigkeit der Umgebung.
Jener Aspekt ist hier sehr gut erkennbar und er wird in den Medien relativ oft diskutiert und beschrieben. Ich denke viel darüber nach und bin nicht ausschließlich geneigt von Kälte und Teilnahmslosigkeit zu sprechen.
Das "neue Leben" wie Wirtschafswachstum, Haben und Sein, das zu stark geahndete Unrecht der "Einmischung", das Verheimlichen von Problemen, um nicht an "Ansehen" zu verlieren, bewirken mit der Zeit eine Art "Erziehung", die erst in echten Notfällen als Kälte und Teilnahmslosigkeit bewertet werden.
Aus Erzählungen der Kriegsgeneration weiß ich, dass es dort, wo es einzig ums Überleben ging, die Teilnahmslosigkeit anderen gegenüber nicht geringer gewesen ist.
Die Kreise schließen sich.
Vielleicht sind wir zu unbedarft, zu ungeschult, Hilferufe zu erkennen.

Bei "traumverloren" habe ich kein problem, weil sich der verlorene Traum aus dem gesamten Inhalt ergibt.

Das hat aber nichts mit Deinem Gedicht zu tun. Im Gegenteil - Dein Gedicht zeigt das gesamte Problem sehr gut auf.

Liebe Grüße
Dana
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Alt 12.05.2016, 03:00   #7
Lailany
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Lieber Thomas,
was bleibt mir da noch übrig, als zu allem, was meine Vorkommentatoren gesagt haben, zustimmend zu nicken. Ein exquisites, großartig gelungenes Werk.
Alles, was dir wichtig war, hast du dem Leser vermittelt und dabei den Balanceakt zwischen Wehleidigkeit und Wertung mit schlafwandlerischer Sicherheit gemeistert... Chapeau!
Extra lobend erwähnen möchte ich noch die Aussage der vorletzten Zeile: Lyrischer kann man Weltentrücktheit nicht ausdrücken.

Was Charis über "traumverloren" sagt.... das sehe ich genauso.
Ihren Vorschlag
"vom Traum verloren"
würde ich an deiner Stelle annehmen, da es eine tolle Metapher ist, die den Sinn über die Maßen gut einfängt.

Sehr gern gelesen und besenft.

HG von Lai
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"Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal

Geändert von Lailany (12.05.2016 um 03:12 Uhr)
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Alt 12.05.2016, 08:15   #8
juli
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Hallo Thomas,

Dein Gedicht habe ich schon häufiger gelesen, es ist nicht dramatisch, es ist schlicht, traurig und macht nachdenklich. Wie die Passanten an der jungen Frau vorbei gehen konnten, ohne sie anzusprechen, das hängt hier in der Luft...

Sehr sehr gerne gelesen, auch weil es so gut geschrieben ist!

Liebe Grüße sy

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Alt 12.05.2016, 09:21   #9
Ophelia
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Hallo Thomas,

mir gefällt das Gedicht ebenfalls sehr und auch deine Art zu schreiben.
Du beschreibst zusätzlich zu der persönlichen Tragik einer jungen Frau unsere Wegsehgesellschaft, die die Augen vor allem unangenehmen verschließt. Die allermeisten wollen sich nicht mit irgendeiner Art von Leid konfrontieren und gehen vorüber. Warum denn die gute Laune verderben lassen. Man mischt sich nicht ein. Das geht uns nichts an...Ach, lass die doch.usw.
Schade, dass die Menschen so egoistisch sind. Dies macht mich immer wieder maßlos traurig und wütend.

Liebe Grüße


Ophelia
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Alt 12.05.2016, 10:25   #10
Thomas
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Liebe Dana,

ich bitte um Entschuldigung, dass ich deinen Kommentar übersehen habe. Ich möchte mich nicht herausreden, aber es ist auch ein wenig ein Problem der Programmierung des Forums, denn wenn man auf einen Beitrag geantwortet hat, erscheint er nicht mehr unter "Neue Beiträge", da übersieht man natürlich leicht eine Antwort.

Was du in deinem Kommentar über die Kälte sagst, empfinde ich auch so. Vielleicht ist es eine unbewusste Reaktion auf die Flut an Elend, welche die Medien ins Haus spülen? Ich weiß nicht.

Deine Meinung zu "traumverloren" freut mich, denn ich sehe in dem Wort (genau wie z.B. bei enttäuscht = niedergeschlagen aber auch ent-täuscht) die beiden Aspekte von "in Träumen verloren" und "einen Traum verloren haben", weshalb ich es eigentlich ganz passend finde.


Liebe charis, Lailany, syranie und Ophelia,

herzlichen Dank! Eure nachdenklich-lobenden Worte sind eine große Anregung für mich und machen, dass mir das Gedicht selbst nun noch besser gefällt.

Euch allen liebe Grüße
Thomas
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