23.01.2016, 17:21 | #1 |
/ Bil-ly /
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Sommerelegie
Ehe der Hahn noch kräht, ist der Schleim der Schnecken vertrocknet:
Netze aus Katzengold schimmern auf Steinen im Hof. Einzelne haben den Weg ins rettende Gras nicht gefunden. Hilflos kleben sie fest, hoffen, dass Tau sie erlöst. Über die braunen Weiden erhebt sich die gleißende Sonne, wirft in sturem Wahn Brand auf den dürstenden Berg. Heere von Erlenrittern mit silberbeschlagenen Helmen lagern nahe am Bach, trotzen entschlossen dem Sumpf, wo der Schierling vor Hunger geifert und tobt wie ein Rudel Wölfe. Sein Todeshauch streift mich und kühlt mein Gesicht. Mittags dösen die Kühe zum Wiederkäuen im Schatten breiter Tannen. Im Haus tickt als Orakel die Uhr, kündet zeitlos den Takt, und die Schatten dehnen sich willig; folgend den Rufen der Nacht schlucken sie gnädig das Licht. Langeweile berauscht mich als fließe Absinth durch die Adern, schärft mir die Sinne, dämpft Zweifel an meinem Verstand. Ich meditiere fern der Welt und zähle versunken die nackten Zehen, von eins bis zehn, achtsam dann wieder zurück, schlage nach Schwärmen von Fliegen. - Die wissen wohl nichts von Plagen des Karmas! - Bald holt mich barmherzig der Schlaf. ***** Sommerelegie I Früh am Tag schon trocknet der Schleim in den Spuren der Schnecken; silbriges Katzengold glänzt auf verwittertem Holz. Einzelne haben den Weg ins rettende Nass nicht gefunden, tapfer kleben sie fest, warten, bis Tau sie erlöst. Über den braunen Weiden steigt die gleißende Sonne, wirft in sturem Wahn Brand auf den dürstenden Berg. Mittags dösen die Kühe wiederkäuend im Schatten breiter Tannen. Im Haus tickt als Orakel die Uhr, kündet den zeitlosen Takt. Die Schatten dehnen sich langsam. Folgend den Rufen der Nacht schlucken sie gnädig das Licht. Aufgefädelt wie graue Perlen hängen die Erlen über dem gurgelnden Bach, trotzen dem giftigen Sumpf, wo der Schierling tobt wie eine hungrige Meute Wölfe. Ein kalter Hauch streift mein erhitztes Gesicht, Langeweile berauscht mein Gemüt als tränke ich Absinth, schärft meine Sinne, dämpft Zweifel am wirren Verstand. Fern aller Welt meditiere ich, zähle versunken die nackten Zehen, von eins bis zehn, achtsam dann wieder zurück, schlage nach quälenden Fliegen - die wissen wohl nichts von Plagen des Karmas! - und bald holt mich barmherzig der Schlaf. Geändert von charis (27.01.2016 um 08:56 Uhr) |
23.01.2016, 17:40 | #2 |
Gast
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Hallo charis
Was für ein schönes Distycha-Gedicht! Über die im Metrum durchaus passende Verwendung von "schon trocknen" und "Katzengold" könnte ich minutenlang genüsslich nachdenken. In der ersten Zeil ist irgendwie eine Hebung rausgefallen, ich zähle nur fünf. In Zeile 11 könnte man ins Straucheln kommen, wenn man bis da hin nicht schon so sehr im Distychon drin wäre. Gewagt, auch inhaltlich, finde ich Zeile 13, aber genau deshalb mag ich sie besonders. (Und überhaupt: Der Dreizehn kommen im Zwölfersystem doch wohl ein paar Sonderrechte zu.) An zwei Stelle könnte man monieren, dass sich eine Cäsur vor einer Hebung befindet. Aber im Ganzen fällt das kaum oder gar nicht auf. Ich kann mich kaum erholen vom Blick auf deine zwölf Zehen, sechs an jedem Fuss, nicht wahr? Upps, du sagst "zehn"? Da siehst du, was der Hexameter anzurichten im Stande ist. Schnecken und Fusszehen unter der in sturem Wahn gleissenden Sonne... Mensch, das haut mich um! Das Stück hätte ich liebend gerne selber geschrieben. wolo Geändert von wolo von thurland (23.01.2016 um 17:44 Uhr) |
23.01.2016, 18:01 | #3 |
/ Bil-ly /
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Mir scheint, du magst das schräge Ding wirklich, lieber Wolo, ich kann eigentlich gar keine Ironie herauslesen, obwohl ich bei dir da immer sehr genau lese
In Zeile 1 ist mir tatsächlich beim Ändern eine Hebung abhanden gekommen. Ich hoffe so gehts nun. Z11: zuviele Trochäen? auch überdenkenswürdig, ja. Z13 ***breit grins*** Vielen Dank für die Besprechung! Freut mich, dass es dir gefällt! Lieben Gruß charis Geändert von charis (23.01.2016 um 19:17 Uhr) |
23.01.2016, 20:26 | #4 |
Gast
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Nein, so geht's nicht.
"Früh schon trocknen" hat in der Senkung genügend Länge, mit "Morgen schon trocknen" erhält die Senkung zu viel Gewicht (Ich meine, die Reibelaute n und r füllen einigen Raum). Ausserdem finde ich's schöner, wenn das "früh" nicht so streng auf die Tageszeit festgelegt wird. Ausserdem mag es auch und gerade der (lange) Hexameter, wenn er mal leicht variiert wird, und die Variation fällt mit deiner Lösung weg. Idee: "Früh schon trocknen im Garten die schleimigen Spuren der Schnecken" oder "früh schon trocknen die schimmernden schleimigen Spuren der Schnecken" zu Zeile 11 Ich glaube, ein Hexameter ist sehr dankbar für Trochäen und alles, was nicht einsilbig ist. Das "Problemchen" sehe ich bei "aufgefädelt", weil in dieser Zeile dreimal eine einsilbige Senkung kommt. Aber eigentlich sind alle drei recht gut eingebettet in Hebungen mit gewissem Gewicht und auch Reibelauten. Bei "aufgefädelt" ist's einfahc etwas weniger stabil, weil dieses Wort ja eigentlich nur in der ersten Silbe eine wirkliche Betonung hat. Da stolpert man dann ein bisschen in die zweite Hebung mit "fä" hinein. Aber wie gesagt: Ich sehe darin kein Problem. Wäre es denn so schlimm, wenn ich einen deiner Texte ironisch besprechen würde? Hast du lieber keine Kommentare als ironische? Nun, diesen hier kannst du für bare Münze nehmen. Frage mich nur, warum du selber das Ding ironisch als schräg bezeichnest? wolo |
23.01.2016, 21:16 | #5 |
/ Bil-ly /
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Lieber wolo,
Danke für deine ausführlichen Erläuterungen, ich muss das noch behirnen. "am Morgen" habe ich wieder entfernt, mir hat auch die ursprüngliche kurze Version besser gefallen, nur weiß ich nicht, ob es "erlaubt" ist, eine Hebung zu unterschlagen. Und zu deinen Fragen: Sei nicht immer so empfindlich, langsam müssest du mich ja kennen Lieben Gruß charis |
24.01.2016, 12:03 | #6 |
Gast
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Ich? Empfindlich? Empfindsam vielleicht, ja...
Selbstverständlich kannst du die erste Zeile als Fünfhebigen Vers stehen lassen, denn sie passt ohne wenn und aber, keine rhythmischen Verirrungen möglich. Nur sollte man dann vielleicht in der zweiten Zeile etwas finden, was den Pentameter deutlich macht, der bei "glänzt auf verwittertem" arg ins Schlingern gerät. Und da es der erste ist im ganzen Gedicht, fällt das doch sehr ins Gewicht. Hoffe, ich konnte mich verständlich machen. w. |
26.01.2016, 21:38 | #7 |
/ Bil-ly /
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