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Alt 18.05.2016, 22:51   #1
Wolfgang aus Baden
Neuer Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 18.05.2016
Beiträge: 3
Standard Wozu meine Bekannte imaginäre Freunde braucht

Was sind Frauen doch rätselhaft! Je tiefer man ihnen in die Augen blickt, desto unwirklicher beginnen sie zu werden. Sie gleichen einem Kristall, in dem sich das Licht zu einem Farbschauspiel bricht. Unsre Vorväter freilich wussten das bereits, und selbst wir, ach so moderne Männer, sind Frauen keine Spur auf die Spur gekommen. Wie unergründlich sind doch Frauen!

Nehmen wir zum Beispiel meine Bekannte Elke (Name geändert, aus Furcht, sie könnte mir sonst die Freundschaft kündigen.) Elke zieht gern bunte Klamotten an und kann morgens bereits lachen, wenn anderen noch ein Nebel aus Halbschlaf um den Kopf wabert. Elke überrascht mich gerne und häufig; wer mit ihr befreundet ist, kommt selten aus dem Staunen heraus. Neulich trafen wir uns bei ihr, sie hat sich einen Garten in einer Schreberanlage zugelegt. "Du musst unbedingt kommen!", hatte sie zu mir am Telefon gesagt. Klar, wenn Elke einen neuen Garten hat, besuche ich sie natürlich. Außerdem befürchtete ich keinen ihrer schrägen Einfälle; der Gartenkauf schien mir ein Zeichen von Normalität. Als ich dann aber bei ihr war, fasste sie mich gleich an den Händen. "Komm", sagte sie, "ich zeige Dir meine vielen neuen Freunde!" "Warum denn nicht!", sagte ich freudig erregt und ging mit. Wir liefen aber nur ein kurzes Stück; auf halben Weg, zwischen Gartentür und Gartenhäuschen, hielten wir an. "Tata!", sagte Elke, "da sind sie alle!" Ich sah mich fragend um. Niemand war da, bloß Elke und ich; da schwante mir, dass ich wieder Opfer ihrer schrägen Einfälle werden würde. Wenn Freundschaft, im Laufe der Jahre, etwas bewirkt, dann, dass man sich an die Verrücktheiten seines Freundes gewöhnt hat und sie als selbstverständlich erachtet. Sie wird dann Teil der Freundschaft. "Ist schon gut", sagte ich, "Du hast einen neuen imaginären Freund. Ist es wieder eine Zwergmaus, wie die, auf die ich, aus Versehen, getreten bin, sodass Du Dir einen Hasen suchen musstest, der Dir aber davongelaufen ist; oder ist es ein ..." "Aber nicht doch!", unterbrach sie mich, "das war nur eine Phase. Das war nur so eine jugendliche Schrulle. Jetzt bin ich immerhin 41 Jahre alt! Jetzt bin ich erwachsen und habe nur echte, neue Freunde." Und mit diesen Worten zeigte sie auf Bäume, die auf der linken und rechten Seite des Gehweges standen. Ich blickte sie ungläubig an. Zum Beweis, dass sie es ernst meinte, lief sie zu jedem Baum und umarmte ihn einzeln. "Siehst Du", sagte Elke, ich bin kein bisschen verrückt!" Ich war perplex. Was sollte ich darauf antworten? Ich sagte schließlich: "Innerhalb eines Jahres bist Du erstaunlich reif geworden - bravo!" Sie lachte freudig und schenkte mir eine Kusshand.

Ich ersparte mir jeden Kommentar und lies mir geduldig erklären, welche Art von Obstbäumen das waren und wie sie alle hießen. Elke blühte auf, als sie von ihrer ersten Begegnung mit ihnen, vor ein paar Wochen, erzählte. Der Vorbesitzer habe den Garten verkaufen wollen und sie, Elke, sei eine der Kaufinteressenten gewesen. Als der Vorbesitzer sich für sie entschieden hatte, soll er begeistert über ihre herzliche Art gewesen sein. Allerdings sei es ihm ein Rätsel geblieben, wer ihre neuen "Freunde" seien. Elke ärgerte sich ein klein wenig darüber. „Er war nicht offen für meine Erklärungen“, sagte sie, „er hat immer nur gelacht, so wie das Erwachsene bei Kindern machen, die von imaginären Freunden erzählen. Der war echt ignorant! Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte ihm meinen Hasen auf den Hals gejagt, aber der ist ja leider davongelaufen." Während Elke nun um den Hasen trauerte und mir noch mehr über ihre Begegnung mit ihren neuen Freunden, den Bäumen, erzählte, fiel mir ein, wie ich, als Schüler, immer sonntags einen Bekannten aufgesucht hatte, einen Schriftsteller.

Auch er blühte immer auf, wenn er mir von seinen Stimmen erzählen konnte, die er im Kopf hatte. Er war aber nicht verrückt, er schrieb Romane und Erzählungen und dachte sich immer Figuren aus, die er miteinander Dialoge führen ließ. So erzählte er mir immer von ihnen und von ihren Themen, über die sie miteinander stritten. "Ist was Brauchbares dabei", pflegte er zu sagen, "schreibe ich es auf. Im Grunde schreiben die Stimmen in meinen Kopf meine Romane und Erzählungen. Ich bin eher bloß ihr Sekretär." Ich hielt das damals für recht sonderbar, aber auch für gerissen und genial. Es waren seine Stimmen, die ihm Geld eingebracht hatten, während er sich bequem zurücklehnen konnte. Somit hat er sein Geld im Schlaf verdient. Dazu hatte er sich lediglich einige Stimmen ausdenken müssen. Für mich war das nachvollziehbar. Kein bisschen rätselhaft. Manchmal aber, da konnte er gruselig sein! Ich war noch mitten im Gespräch mit ihm, und plötzlich war er weg. Einfach weg! Ich rief dann immer nach ihm, aber er antwortete nie. Allein in einem Haus, mit leeren Zimmern, lief mir Gänsehaut über den Rücken, bis hinein in meine Gedanken, die sich sträubten, noch länger hier zu bleiben. Überall da konnte er lauern. Man wusste es nicht. Verbarg er sich hinter der Tür? Hinter welcher? Ich versuchte auf jedes verräterische Geräusch zu achten. Aber ich fühlte nur mein Herz schlagen. Ui – wie gruselig! Normal wäre ich nie wieder in dieses Haus gegangen. Aber was macht man nicht alles für Freunde. So ergab ich mich immer neu in mein Schicksal, das er mir bereitete. Vielleicht war ich getrieben von der heimlichen Sehnsucht nach dem Tod? Nein, das klingt jetzt aber wirklich verrückt. Ich bin einfach nur geduldig und bereite anderen gerne eine Freude. Also wagte ich mich auch dies Mal hinaus aus dem Zimmer und erschrak dann pflichtgemäß, wenn er aus irgendwelchen Ecken vorsprang und "Buh!" sagte. Wobei mein Schreck fast immer echt war, denn er war immer so geschickt, dass ich niemals in die Nähe einer Ahnung kam, wo er hätte sein können. Nie war er am gleichen Fleck. Einmal lauerte er unten, dann oben, dann vorne im Gang und manchmal auch gleich hinter der Tür des Zimmers. Aber das gehörte eben zum Spiel, wie auch die Rolle, in der er schlüpfte. Er verwandelte sich in eine Figur aus seinem Kopf und ich musste dann raten, wer er war. Zum Glück waren seine Figuren alle Leute mit bürgerlichen Berufen. So lag ich meist richtig, wenn ich Anwalt, Sekretär oder Arzt tippte. Seltsam war aber immer, dass er nie über Irrenärzte schrieb. Er meinte dann nur: „Die sind mir zu verrückt!“ Darüber konnte er vor Lachen wiehern. Als „Lohn“ für meine Mühe bekam ich anschließend immer Kuchen und Milch. Mhhh – lecker!

Sag nochmal wer, Männer seien viel irrationaler und merkwürdiger als Frauen! Da ist mal ein offenes Wort an Frauen angesagt!

Besuchen wir etwa x-Schuhgeschäfte und probieren Tausende von Schuhen aus, um dann keine zu kaufen, weil kein Exemplar gut genug ist? Plärren wir rum - ihr würdet uns nicht lieben, nur weil wir 10 Stunden in der Küche ein 5-Gänge-Menü gezaubert haben und ihr es in fünf Minuten vertilgt? Und schauen wir uns freiwillig romantische Filme im Kino an, bei denen uns vorher klar ist, dass wir Seen an Tränen vergießen werden? Nein, das tun wir garantiert nicht!

Na, wer ist hier das Rätsel? Wenn hier einer irrational und merkwürdig ist, dann seid das ihr Frauen!

Ich erinnere mich noch an meine Mutter, die mich immer so erzogen hat, dass ich mich korrekt zu verhalten hätte. Hatte ich eine Schlägerei in der Schule, durfte ich mich nie prügeln, denn: "Man löst Konflikte mit Worten". Zu meinem Glück war ich aber nie "Mamas Liebling", ich habe mich immer vor Schlägereien gedrückt, wenn es aber einer unbedingt wissen wollte, hat er "Schlagende Argumente" bekommen. Überhaupt: meine Mutter! Zuhause hingen überall Bilder an den Wänden und es duftete nach Raumspray. Und sogar im Klo waren die Klorollen auf einem Deckchen gestapelt, auf dem sich zwei Bärchen süß umarmten. Wenn ich aber mit Grippe im Bett lag - und sie ausgehen wollte, weil eben Samstag war, dann gab sie mir einen Kuss auf die Stirn, nannte mich einen "großen Jungen" und blieb, bis weit nach Mitternacht, verschwunden. Und wehe, ich - oder sonst wer - hatten eine völlig andere Meinung als sie! Gott, war das ein Kampf! Sie konnte einem das Wort stundenlang im Munde umdrehen, bis man aufgab oder sie gewinnen ließ. Auch weiß ich von einem Typen, der sie schlug, sie gab ihm aber keinen Laufpass, sondern rannte ihm nach. Dieses Verhalten konnte ich bereits damals nicht richtig einordnen. Ich zog nur den Schluss daraus, dass Frauen merkwürdiger und irrationaler als Männer sind. Ich empfand Mutter weder als richtig „gut“ noch als richtig „böse“. Mir fällt leider kein genaues Wort für sie ein, außer: „irgendwie“.

Irgendwie ist auch Elke jenseits von Gut und Böse, wenn auch nicht voll krass wie meine Mutter. Sie rennt Kerlen nicht hinterher und hat lustige Stimmen im Kopf, mit denen sie witzige Selbstgespräche führen kann. In der Hinsicht ist sie wie mein Kumpel, der Schriftsteller, nur dass ihre Stimmen ihr kein Geld einbringen. Einmal habe ich sie gefragt, warum sie diese Gespräche nicht aufschreibt, bestimmt würden sich dafür Leser finden. Sie sah mich dabei aber bloß ernst an und meinte: "Freunde verkauft man nicht!" Ich habe das nicht weiter mit ihr diskutiert, welche Argumente hätten mir dabei genutzt? Wir sahen uns nur lieb in die Augen und wussten: Alles ist gut.

Vielleicht sollten wir Männer einsehen, dass Frauen anders sind. Kommt es im Leben anders, als man denkt, hat es garantiert mit einer Frau zu tun! Ich will Männer aber nicht auf Sockel stellen. So manch ein Kerl kann Gott auf Knien danken, dass sich überhaupt eine Frau in seine Nähe wagt. Ich wüsste jedenfalls keine Gründe, warum ich mit einem Mann verheiratet sein sollte, der nur vor der Glotze liegt und dabei ein Bier nach dem anderen leert. Was manch einer „Komasaufen“ nennt, bezeichnen manche Frauen als „Ehe“. Und seltsam: So ein Komasaufen hält dreißig oder vierzig Jahre lang. Nein, mir wäre das zu anstrengend. Und obwohl ich selbst Schriftsteller bin, reicht meine Phantasie nicht, um mir irgendwelche Argumente vorzustellen, warum ich so eine Ehe eingehen sollte. Ob das auch der Imaginäre Hase von Elke geahnt hat?

Andererseits gibt es auch die anderen Frauen, die auf Kind und Kerl pfeifen, und die Karriereleiter zu erklimmen versuchen. Wo aber ein Mann keinen Gedanken an seine Gegner verliert, regt sich bei der Frau ein schlechtes Gewissen. Aus dem Grund taugen sie wohl nicht zur Kriegsführung? Was soll das auch für eine Armee sein, wo die Frauen streiten, wer General sein darf; und bricht dann Krieg aus, sitzen sie an der Front mit ihren Gegnern, und diskutieren, bei Kaffee und Kuchen, welches Land nun recht hat und welches nicht? Und der Hauptsatz, auf den sie sich berufen, heißt: „Konflikte löst man nicht mit Gewalt, sondern mit Worten.“

Und dann gibt es noch jene gefallenen Frauen, die ohne jeden Funken Ehrgeiz nur im Kreis leben. Sie lösen Konflikte nicht, sie lassen sich von ihnen einschnüren, indem sie auf den nächsten Schuss aus der Spritze hoffen. Sie überlassen sich ihren Zuhältern, die sie ausnehmen, während sie, im Nebel des Drogengifts, vor sich hindämmern. Auch hier gibt es Männer, die sich für Drogen prostituieren. Was für ein armseliges Leben. Im Volksmund nennt man das "auf den Strich gehen". Passend finde ich. So ein Leben bewegt sich auf dem Strich zwischen Leben und Tod. Wie sich Mann und Frau einander auf sehr rätselhafte Weise gleichen, besonders in ihren Schattenseiten.

Beenden wir die Kolumne lieber mit einem anderen Beispiel: Nehmen wir an, der Mann sei ehrgeizig und hat eine nette Frau. Trotz Dienstmädchen und teurem Internat für die Kinder ist er kaum da, er hetzt von Termin zu Termin und schiebt auch noch Überstunden vor sich her. Auch so eine Ehe kann funktionieren - und tut es oft auch. Wer weiß, vielleicht hat es auch Vorteile, dass Frauen Rätsel sind? Wie - ihr glaubt es nicht?

Ohne die Stimmen in Elkes Kopf und ohne ihre vielen imaginären Freunde wäre die Freundschaft zu ihr langweiliger. Ich vermute, Frauen sind Kristalle und Männer Spiegel. Sie passen nicht zusammen und ergänzen einander doch wunderbar.
Wolfgang aus Baden ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.07.2016, 00:31   #2
Kokochanel
Gast
 
Beiträge: n/a
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eine interessante Komposition, Wolfgang, die dem Leser abfordert, sich mit ihm gemeinsam zu seiner philosophischen Schlußfolgerung hin zu entwickeln. Kein Text zum Drüberlesen.
Gefällt mir und der Conclusio kann ich mich anschließen.
Gruß von Koko
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