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Alt 15.01.2024, 22:06   #1
Moni
Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 22.07.2023
Beiträge: 38
Standard Seelenfreund

Seelenfreund

Nach all meinen beruflichen Auslandseinsätzen war mein Fernweh immer noch nicht gestillt. Gott sei Dank teilte mein Mann diese Attitüde mit mir. Als Sportjournalist war er immer unterwegs und ich arbeitete im Servicecenter einer Airline am Flughafen im Schichtdienst. Noch nicht die Zeit für Kinder oder Hund. Also nahmen wir uns vor, noch viele Reisen in ferne Länder zu machen,

Diesmal flogen wir im Urlaub nach Side, einem kleinen Urlaubsort in der Türkei, die vor vierzig Jahren touristisch gerade in den Kinderschuhen steckte. Obwohl unser Hotel fünf Sterne aufwies, war das Essen gewöhnungsbedürftig und wir gingen täglich in die Restaurants am Hafen.
Auf unseren langen Spaziergängen trafen wir immer wieder auf eine Gruppe herrenloser Hunde, meist waren es fünf bis sieben. Zerzauste Geschöpfe, deren Rassenmischungen lustig anzusehen waren. Rudelführer war offenbar ein großer Rüde, einer Dogge ähnlich. Aber auch ein Kniehoher lief mit, weiß mit braunen Flecken. Sein Blick traf auf meinen und ging mir mitten ins Herz. Augenblicklich verliebte ich mich in den Terrier mit Dackelblick, der sein braunes Ohr einknickte, während das schwarze gerade stand. Ich musste laut loslachen und konnte nicht widerstehen, ihn zu streicheln. Die anderen Hunde waren scheu, was mir lieb war, denn eine lebensbedrohliche Situation in Tunesien hatte mich Respekt vor wilden Hunden gelehrt.
Mein Mann, nicht so Hunde affin wie ich, mahnte: Lass das mal lieber. Der hat bestimmt Ungeziefer! Ich aber ignorierte das, ich hatte mich verliebt und nur noch Augen für den Kleinen. Er hüpfte freudig um mich herum, aber als die Alphadogge zum Abmarsch aufforderte, ging auch er. Und ich sah ihm lange nach.
Er hatte die Augen meines verstorbenen Dackels Rucki und es schien, als würden wir uns schon ewig kennen. Vergiss es, sagte mein Mann, denk gar nicht erst drüber nach.
Er hätte mich eigentlich gut genug kennen müssen, um zu wissen, dass dieser Satz ein Feuer von Protest in mir entfachen würde. Aber er dachte wohl nicht daran. Unlustig stocherte ich anschließend in meinem Börek, bis wir uns auf den Rückweg zum Hotel machten. Die Hunde blieben verschwunden.
Als wir an unserem Gartenbungalow ankamen, saß der Kleine, dem ich gedanklich schon den Namen Fuzzi gegeben hatte, auf der Terrasse und wedelte bettelnd. Wie er den Bungalow gefunden hatte, war mir schleierhaft. Mein Mann schlug die Hände über dem Kopf zusammen: Siehst du, was du angerichtet hast! Jetzt haben wird den ganzen Urlaub über einen verlausten Köter an der Backe! Das ist ein Wildhund, Monika. Schick ihn weg!
Ich wusste ja, dass er recht hatte, irgendwie. Aber mein Herz hatte ich längst verloren an dieses entzückende Geschöpf. Ich schloss die Terrassentür, die Urlaubsstimmung war gedrückt. Was immer mein Mann sich für den Tag noch vorgenommen hatte - es fand nicht statt. Ich nahm ihm die Aussage echt übel.
Wir legten uns zur Siesta hin, aber immer wieder stand ich auf, zog den Vorhang einen Spalt breit auf, um zu sehen, ob Fuzzi noch da wäre. Er war fort.
Am nächsten Morgen brachen wir wegen der großen Hitze früh zum Strandspaziergang auf, liefen so lange, bis der Strand menschenleer war. Plötzlich sahen wir eine Staubwolke am Horizont. Ich hatte die Situation schon ein Mal erlebt und wusste: Das sind die Hunde. Schon bald waren sie da. Auch Fuzzi war dabei und sprang freudig auf mich zu. Der große Alpharüde jedoch fixierte mich, er spürte, dass ich Angst hatte. Mein Mann sowieso.
Die Dogge knurrte. Da baute sich Fuzzi vor mir auf - das kleine, niedliche Hündchen fletschte sein Alphatier an. Das schaute ungläubig. Die anderen Hunde verhielten sich abwartend. Mein Mann und ich brüllten: Haut ab und wedelten mit den Armen. Fuzzi führte sich auf wie ein Derwisch.
Irgendwann drehte sich der Große um und ging, die anderen Hunde folgten ihm. Aber Fuzzi blieb bei uns. Ich herzte und lobte ihn, bedankte mich für seinen Mut und sein Blick war voller Stolz.
Schweißgebadet kamen wir an unserem Bungalow an Den Weg hatten wir schweigend zurückgelegt. So! sagte ich, und jetzt? Mein Mann verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg. Ich aber rief beim Restaurant an und bestellte eine Lammkeule für Fuzzi. Die bekam er nun jeden Tag.
Ich erkundigte mich an der Rezeption nach Ausfuhrkonditionen für Hunde. Es gab keine Tierschutzorganisation wie heutzutage, die das organisierte. Ich rief einen Tierarzt an, der mich aufklärte. Der Hund müsse 14 Tage lang in Quarantäne in einem Käfig in Izmir bleiben, ebenso am Flughafen in Düsseldorf. Die Ausstellung der Ausfuhrpapiere würde drei Wochen dauern.
Unser Urlaub aber würde in einer Woche enden.
Dann musst du hier bleiben, sagte mein Mann lakonisch und überwand sich erstmals, den „verlausten Köter“ zu streicheln. Fuzzi quittierte das mit einem Küsschen.
Ich beantragte sämtliche Papiere, leitete alles Notwendige in die Wege – Urlaubsstimmung ade. Doch mein Mann kannte mich gut, ließ mich gewähren.
Mittlerweile lebte Fuzzi, frisch gebadet, mit uns im Bungalow. Gegen ein nicht unerhebliches Bakschisch für die Rezeption und die Putzfee.
Ich brauchte keine Hundeleine, Fuzzi folgte mir auf Schritt und Tritt. Ab und zu jedoch verschwand er, nahm sich die Freiheit, seinen eigenen Weg zu gehen. Vielleicht auch, um seine Hundekumpels zu treffen. Und dieser Hund sollte ein Eingesperrtsein in einem Käfig überleben? Ohne Begleitung, ohne Bezugsperson? Nur weil ich ihn haben wollte? Ich kam ins Grübeln.
Fuzzi hatte die Augen meines verstorbenen Dackels Rucki. Vielleicht auch seine Seele. Rucki hatte ein Leben lang einen unbezwingbaren Freiheitsdrang gehabt, lief bei Spaziergängen, wenn man ihn ableinte, weg. Kam stundenlang nicht zurück. Er jagte und fegte durchs Unterholz, dass die Blätter nur so rauschten. Ich hatte das immer akzeptiert, nahm mir ein Buch mit und wartete auf einer Bank auf ihn.
Wenn Fuzzi wirklich seine Seele hatte, dann war er diesmal in Freiheit geboren. In ein hartes, aber selbst bestimmtes Leben! dachte ich.
Ich musste weinen und mein Mann nahm mich in den Arm. Streichelte mir über den Kopf und flüsterte: Ich wusste, dass deine Tierliebe siegen würde, Moni, und dafür liebe ich dich. Fuzzi ist ein Wildhund und hier ist sein Zuhause.
Ich hab dir den ganzen Urlaub versaut, schnüffelte ich. Entschuldige. Quatsch, meinte mein Mann, es gibt noch mehr Urlaube.
Ich blies alles ab und schämte mich nicht dafür. Am letzten Abend drückte ich Fuzzi ganz fest und sagte zu ihm: Du bist frei, mein Kleiner. Die Zeit mit dir war ein Geschenk, für uns beide. Aber nun müssen wir uns trennen. Es wird eine Zeit geben, wo wir zusammenleben werden. Ich verspreche es dir. Ich werde dich finden.
Als ob er verstanden hätte, schaute er mich an. Mit dem Blick meines Dackels. Ich öffnete die Terrassentür, er zögerte. Ich schob seinen Po ein wenig an und nickte. Da hüpfte er hinaus. Und von ferne bellten die Hunde.


Anmerkung:
Zehn Jahre später, als ich längst Mutter war, freiberuflich arbeitete und im Urlaub in die Eifel oder an die Nordsee fuhr, da begegnete ich auf einer Dackelausstellung zufällig meinem Janosch, den niemand vor mir hatte kaufen wollen. Denn er zeigte keinen Jagdtrieb. Er hatte denselben Blick wie Fuzzi und Rucki. Vierzehn Jahre lang lebte er an meiner Seite und jeder Tag war ein Geschenk.
Nachdem er verstarb, kaufte ich 2 Jahre später Bertchen, meinen jetzigen Mops. Ich fand ihn im Internet, die Seite ploppte unversehens auf. Und er hat den Blick von Rucki, Fuzzi und Janosch…
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