Gedichte-Eiland

Ibrahim · 22.04.2010, 16:37

Ich steh in Monterey und denke
An Ölsardinen und Bordelle,
Tortillas, Wein aus übler Schänke
Und Fischgeruch in steter Welle.
Vergangenheit, doch voller Seele.
Ich steh in Ephesos und träume
Von Griechen, Römern, Büchereien,
Schau Thermenbäder, Säulensäume,
Orangenhaine, Nackedeien.
Vergangenheit, doch voller Seele.
Ich steh vor Cheops Grab und sehe
Die Bildersteine, Sphingen, Wächter,
Verspür der Pharaonen Nähe,
Aus Kammern höre ich Gelächter.
Vergangenheit, doch voller Seele.

Ich steh in meinem Dorf und weine.
Nichts will mich in die Kindheit führen.
Nicht Wände, Dächer, Wege, Steine,
Der Apfelbaum mit Herzensschwüren.
Wo steht die alte Winterlinde,
Der Brunnen mit dem Drachenspeier?
Kein Fleckchen, das ich wiederfinde,
Asphalt auf Wiese, Hof und Weiher.
Vergangenheit auch für die Seele.

norbert · 23.04.2010, 17:00

wunderschön, ibrahim, beeindruckend...
der verlust der idyllen der kindheit ist erschreckend - wenn ich in meine alte heimatstadt zurückkehre, empfinde ich das gleiche, ich erkenne die stadt nicht wieder, alles ist im sinne eines fragwürdigen fortschrittsdenkens umgewalzt, der spätkapitalismus zerstört alles.
die kleinen fluchten sind verstellt.
sprachlich tadellos gemeistert!
liebe grüße
norbert

***Dana*** · 23.04.2010, 23:02

Lieber Ibrahim,

wunderbar die Gegenüberstellung.
Man steht vor tausendjährigen "Steinen" und spürt die alte Seele.
Sie lebt noch darin.

Das Dorf, die kleine Stadt geben es nicht mehr her.
Wie oft haben wir den theoretischen Gedanken aufgeworfen, mit dem Großvater, Großmutter im Heute durch die "vertrauten" Straßen zu gehen. Sie könnten kaum noch an etwas anknüpfen.

"Vergangenheit auch für die Seele." - Sprachlich gekonnt und treffend umgesetzt gegen Vergangenheiten voller Seele.
Die Zeit des Wahrnehmens verändert sich in nur einem Leben. Ohne jede Wertung - das Tempo wird jedem negativ bewusst.
Ein ganz eigener Albtraum.

Liebe Grüße
Dana

Ibrahim · 24.04.2010, 07:07

Ich danke euch für die Kommentare. Ich konnte sehen, dass ihr meine Intentionen mitgefühlt habt. Das freut mich. Ich wünsche ein sonniges Wochenende, bei uns könnte sich eins ausgehen. LG Ingo

22.04.2010, 16:37	#1
Ibrahim Verstorbener Eiland-Dichter Registriert seit: 30.03.2009 Ort: Puch/Salzburg Beiträge: 597	Albtraum Ich steh in Monterey und denke An Ölsardinen und Bordelle, Tortillas, Wein aus übler Schänke Und Fischgeruch in steter Welle. Vergangenheit, doch voller Seele. Ich steh in Ephesos und träume Von Griechen, Römern, Büchereien, Schau Thermenbäder, Säulensäume, Orangenhaine, Nackedeien. Vergangenheit, doch voller Seele. Ich steh vor Cheops Grab und sehe Die Bildersteine, Sphingen, Wächter, Verspür der Pharaonen Nähe, Aus Kammern höre ich Gelächter. Vergangenheit, doch voller Seele. Ich steh in meinem Dorf und weine. Nichts will mich in die Kindheit führen. Nicht Wände, Dächer, Wege, Steine, Der Apfelbaum mit Herzensschwüren. Wo steht die alte Winterlinde, Der Brunnen mit dem Drachenspeier? Kein Fleckchen, das ich wiederfinde, Asphalt auf Wiese, Hof und Weiher. Vergangenheit auch für die Seele. __________________ Ich will mit meinen Reimen die Leute zum Schmunzeln, Weinen oder Fluchen bringen.

23.04.2010, 23:02	#3
*Dana* Slawische Seele Registriert seit: 07.02.2009 Ort: Inselstadt Ratzeburg Beiträge: 5.637	Lieber Ibrahim, wunderbar die Gegenüberstellung. Man steht vor tausendjährigen "Steinen" und spürt die alte Seele. Sie lebt noch darin. Das Dorf, die kleine Stadt geben es nicht mehr her. Wie oft haben wir den theoretischen Gedanken aufgeworfen, mit dem Großvater, Großmutter im Heute durch die "vertrauten" Straßen zu gehen. Sie könnten kaum noch an etwas anknüpfen. "Vergangenheit auch für die Seele." - Sprachlich gekonnt und treffend umgesetzt gegen Vergangenheiten voller Seele. Die Zeit des Wahrnehmens verändert sich in nur einem Leben. Ohne jede Wertung - das Tempo wird jedem negativ bewusst. Ein ganz eigener Albtraum. Liebe Grüße Dana __________________ Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen, ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei)

24.04.2010, 07:07	#4
Ibrahim Verstorbener Eiland-Dichter Registriert seit: 30.03.2009 Ort: Puch/Salzburg Beiträge: 597	Hallo norbert und Dana! Ich danke euch für die Kommentare. Ich konnte sehen, dass ihr meine Intentionen mitgefühlt habt. Das freut mich. Ich wünsche ein sonniges Wochenende, bei uns könnte sich eins ausgehen. LG Ingo __________________ Ich will mit meinen Reimen die Leute zum Schmunzeln, Weinen oder Fluchen bringen.

23.04.2010, 17:00	#2
norbert Erfahrener Eiland-Dichter Registriert seit: 09.02.2009 Ort: im kalten schleidener tal Beiträge: 1.011	wunderschön, ibrahim, beeindruckend... der verlust der idyllen der kindheit ist erschreckend - wenn ich in meine alte heimatstadt zurückkehre, empfinde ich das gleiche, ich erkenne die stadt nicht wieder, alles ist im sinne eines fragwürdigen fortschrittsdenkens umgewalzt, der spätkapitalismus zerstört alles. die kleinen fluchten sind verstellt. sprachlich tadellos gemeistert! liebe grüße norbert

Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)