Gedichte-Eiland  

Zurück   Gedichte-Eiland > Gedichte > Denkerklause

Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

Antwort
 
Themen-Optionen Ansicht
Alt 11.11.2011, 12:20   #1
Walther
Gelegenheitsdichter
 
Registriert seit: 09.11.2009
Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
Standard Tag-ich-nacht-ich

Tag-ich-nacht-ich


Ich frage mich an diesem Tag:
Gibt es denn nichts, das ich vermag?
Es ist verhext, woran ich nag‘:
Ist da denn niemand, der mich mag?

Ich seh mich um und seh nur mich.
Sag an, oh Mensch, wie seh ich dich?
Wo ich auch schau, nur Ich-Ich-Ich.
Was mache ich hier eigentlich?

Naja, vielleicht, ist übertrieben,
Was ich gesagt hab und geschrieben.
Vielleicht wär’s besser unterblieben,
Dann würden mich auch andre lieben.

Ich frage mich jetzt auch zur Nacht:
Was hast du, Mensch, denn schon vollbracht?
Auf dieser Uhr ist es bald acht.
Da habe ich mich ausgelacht.
__________________
Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
Alle Beiträge (c) Walther
Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt

Geändert von Walther (13.11.2011 um 19:12 Uhr)
Walther ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.11.2011, 11:09   #2
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Stimme der Zeit
 
Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
Standard

Guten Morgen, Walther,

Zitat:
Ich frage mich an diesem Tag:
Gibt es denn nichts, das ich vermag?
Es ist verhext, woran ich nag‘:
Ist da denn niemand, der mich mag?
Die erste Strophe klingt nach einem LI, das Selbstzweifel hegt. Kann ich nichts (erreichen)? "Mag" mich deshalb niemand? Das "nagt" offenbar am Selbstbewusstsein.

Zitat:
Ich seh mich um und seh nur mich.
Sag an, oh Mensch, wie seh ich dich?
Wo ich auch schau, nur ich ich ich.
Was mache ich hier eigentlich?
Dann der "Wechsel", jetzt wandelt sich das Bild. Hier sehe ich einen Menschen, der offenbar nur sein eigenes "Ich" im "Fokus" hat. "Wo ich auch schau, nur ich ich ich". Das kann verschieden gedeutet werden. Sieht der Protagonist wirklich nur sein "Ich", sieht er also in Anderen nur sich selbst "gespiegelt" - oder "sieht" er die Anderen, die alle ebenfalls nur ihr jeweiliges "Ich" "sehen", ebenso wie er selbst? Oder beides?
"Was mache ich hier eigentlich?" - Gute Frage. Ihr ist zu entnehmen, dass das LI nach einem Sinn sucht. Allerdings wiederum "im eigenen Ich", jedenfalls wirkt das so. Was der Frage eigentlich den "Sinn nimmt". Interessant!

Zitat:
Naja, vielleicht, ist übertrieben,
Was ich gesagt hab und geschrieben.
Vielleicht wär’s besser unterblieben,
Dann würden mich auch andre lieben.
Das lese ich als eine "Pseudo-Selbsterkenntnis". Das LI scheint das mögliche "Schweigen" wiederum aus "ichbezogenen" Gründen in Betracht zu ziehen, denn das Motiv lautet: "Ich liebe mich, aber die anderen nicht. Also sollte ich vielleicht nicht zugeben/zeigen (schreiben), wie ich über mich denke (für wie wichtig ich mich halte), damit mich auch andere mögen." Irgendwie scheint das "egoistischer als egoistisch", denn dem LI "genügt" es nicht einmal, wie sehr es sich selbst liebt, es möchte unbedingt auch noch die "Liebe der Anderen" haben, und sei es durch "Täuschung" ...

Zitat:
Ich frage mich jetzt auch zur Nacht:
Was hast du, Mensch, denn schon vollbracht?
Auf dieser Uhr ist es bald acht.
Da habe ich mich ausgelacht.
Das LI fragt sich am Tag und "jetzt auch zur Nacht" - das "Ich" dreht sich gedanklich nur um sich selbst, 24 Stunden lang in 24 Stunden. Auch diese Zeilen enthalten für mich keine echte bzw. ehrliche Selbstreflektion. Es wirkt, als ob das LI lediglich von sich selbst etwas enttäuscht ist, da es ihm nicht gelang, die "Anderen" von seinem "Wert" zu überzeugen. "Auf dieser Uhr ist es bald acht." (Ich vermute, "acht" dient dem Reim, es hätte auch eine beliebige andere Uhrzeit sein können?) Es wird Zeit, das Nachdenken zu beenden.

Zitat:
Da habe ich mich ausgelacht.
Auch das ist unterschiedlich auslegbar. Das LI lacht sich selbst aus: "Ach was, wie albern, dass ich mir so viele Gedanken gemacht habe." Oder: "Ich habe gar nichts erreicht, ich finde an mir nichts mehr zum Lachen, aus." Hat es schon zu viele Nächte mit "Lachen" über sich selbst verbracht?

In diesem Gedicht "stecken" eine ganze Menge Gedanken, und es hat auch mich zum Nachdenken gebracht. Das LI vertritt hier die Stelle all derer, die nur an sich selbst denken. Und diese werden allmählich immer mehr ...

Formal gefällt mir, dass dem Inhalt entsprechend in Strophe 3 weibliche Kadenzen sind; wogegen die anderen Strophen nur männliche enthalten. Ebenfalls finde ich hier den Haufenreim passend, was mich erstaunt, denn er bewirkt bei mir kein "Abgleiten" in Belustigung, was leicht passieren kann, sondern er gibt dem Ganzen eher eine "ironische" Note. Auch die "Häufung" der "Ich-Bezüge" (Ich, mich) wirkt nicht "lustig".

Mir fiel auch auf, dass, den Kadenzen entsprechend, in Strophe 3 davon nur 2 zu finden sind. Ebenso die (erstaunliche) Tatsache, dass sich das LI in der letzten Strophe sogar ein Mal mit "du, Mensch" anspricht. Aber die zaghafte Annäherung einer Selbsterkenntnis scheitert letztendlich doch am "Ich".

Einen Vorschlag möchte ich trotzdem machen, auch wenn ich sicher bin, dass es Absicht war:

Zitat:
Wo ich auch schau, nur ich ich ich.
Ich verstehe die Intention. Aber trotzdem würde ich eine andere "Darstellung" vorziehen:

Wo ich auch schau, nur: Ich - Ich - Ich.

Das ist allerdings nur meine ganz persönliche "Sichtweise".

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
__________________
.

Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


Stimme der Zeit ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.11.2011, 19:18   #3
Walther
Gelegenheitsdichter
 
Registriert seit: 09.11.2009
Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
Standard

Lb. Stimme der Zeit,

die beste Methode, ohne "Widerspruch" dem Publikum die Leviten zu lesen, ist die Selbstironie. Sie tut niemandem weh, schafft aber Einbindung und das gedankenschwere Kopfnicken. Genau das ist die Methode, die ich hier versucht habe anzuwenden.

Nun kann sich der Autor schwerlich von seiner Umwelt abkoppeln, er ist also Teil des Spiels und ebenso "krank" und spießt sich also auch selbst auf. Daher ist das "Vorführen" immer auch selbstbezüglich und kann es ernsthaften an einen selbst gelesen werden. Aber vielleicht ist es gerade diese Technik, die die Verständnisinnigkeit schafft.

Deinen Vorschlag habe ich oben umgesetzt. Wie immer danke ich Dir für die viele Zeit, die Du in diesen Text investiert hast. Diese Woche hoffe ich ein wenig zurückgeben zu können, da eine Auslandsreise geplatzt ist.

LG W.
__________________
Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
Alle Beiträge (c) Walther
Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt
Walther ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 
Themen-Optionen
Ansicht

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu

Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Die Nacht R.Haselberger Ausflug in die Natur 9 24.06.2009 14:05
An die Nacht Erich Kykal Denkerklause 12 25.03.2009 16:19


Alle Zeitangaben in WEZ +1. Es ist jetzt 09:10 Uhr.


Powered by vBulletin® (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, Jelsoft Enterprises Ltd.

http://www.gedichte-eiland.de

Dana und Falderwald

Impressum: Ralf Dewald, Möllner Str. 14, 23909 Ratzeburg