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Alt 05.12.2010, 22:58   #1
a.c.larin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 14.03.2009
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Beiträge: 4.893
Standard Als das Glück von Himmel fiel

Ich erinnere mich noch sehr genau an jenen Tag im November vor ein paar Jahren. Ich war mit dem Auto unterwegs nach Hause, entlang der Bahngeleise über jene schmale Straße, die sich in östlicher Richtung durch die Felder schlängelte.
Meine Stimmung war dem Himmel sehr angepasst: Grau in Grau, ein wenig
verwaschen und mit reichlich tiefhängender Grundbewölkung. Das war eindeutig nicht mein Tag gewesen! Ich fühlte mich erschöpft und deprimiert und wollte nur noch eines: Heim! Raus aus den Schuhen, raus aus der Wäsche, rein in die Wanne und vorher noch eine schöne, heiße Tasse Kaffe schnabulieren….
Irgendwie hatte ich schon wieder leichtes Halskratzen, was meine Laune auch nicht gerade aufhellte. Mistwetter! Und morgen noch die Vertretung übernehmen für Kollegin X….Das würde noch ein arbeitsamer Abend werden.
Konnte nicht einfach mal Ruhe sein?
Seufz. Immer dasselbe. Immer dieses ewige Einerlei: Was koche ich heute, was koche ich morgen? Und: Verdammt, der Wäschekorb ist voll und sollte endlich wieder weggebügelt werden. Muss ich noch was einkaufen oder reicht die Eiskastenbefüllung noch bis übermorgen? Da hätte ich mehr Zeit.
Kollegin Y glaubt wirklich, ich hätte nichts Wichtigeres zu tun als für sie zu recherchieren. Wie werde ich ihr das abgewöhnen?….Zum Friseur müsste ich auch wieder mal. Neuerdings halten die Haare ja überhaupt nicht! Sind nach zwei Tagen fettig und stehen in alle Windrichtungen! Ich seh ja aus wie eine Klobürste….Hoffentlich hab ich heute wenigstens die Briefsendung gekriegt, auf die ich schon über eine Woche warte, sonst muss ich morgen wieder überall herumtelefonieren, wo die geblieben ist…..

So miesmuffelte ich vor mich hin und fuhr mehr in Gedanken, denn mit Aufmerksamkeit für die Umgebung, als plötzlich etwas Rundes, Rotes vom Himmel herab schwebte und mein Interesse erweckte. Was war denn das?
„A letter to the stars“? Ein Brief an das Christkind?
Ja, war es denn die Möglichkeit? Wollte da tatsächlich ein kleiner Ballon landen und ausgerechnet mir die Ehre geben? Ich verringerte sofort die Geschwindigkeit und fokussierte genauer: Ja, wirklich, der Ballon senkte sich immer weiter und weiter herab, kam immer näher zur Fahrbahn heruntergesegelt.

Schon sehr langsam geworden rollte ich unter ihm vorbei…
Bitte, bitte, bleib hier! rief ich ihm, in Gedanken bettelnd, zu. So etwas Schönes hatte ich doch noch nie gefunden. Schließlich kam mein Wagen zum Stillstand.
Der Ballon lag nur 20 Meter hinter mir auf der Fahrbahn. Ich verließ mein Fahrzeug und lief, was ich konnte. Wenn ihn nur jetzt nicht ein Nachkommender mit seinem Wagen hoch wirbelte und ihn in die regennassen, schlammigen Felder trieb!
Ich hatte Glück. Nichts dergleichen geschah und so konnte ich mit der erbeuteten Luftpost unbeschadet meinen Heimweg fortsetzen.
Ich platzte schon fast vor Neugierde, was das kleine fest verpackte Briefchen enthalten würde, das ans Ende der Schnur gebunden war.
Die Nachricht, die der Ballon transportiert hatte, war folgende:

„Lieber Finder!
Solltest du diesen Brief bekommen haben, so schicke bitte eine Meldung von seinem Fundort an…………. (hier stand eine aufgestempelte Adresse)
Vielen Dank für deine Mühe sagt dir jetzt schon
Deine Bettina“

Die letzte Zeile war in wackeligen Blockbuchstaben wohl von dem kleinen Mädchens selbst geschrieben worden.

Ein Kindergarten in der Mittelsteiermark hatte an einem Wettbewerb teilgenommen, der von der örtlichen Sparkasse ausgeschrieben worden war.
Die junge Dame, deren Brief ich gefunden hatte, war erst drei Jahre alt!
Mir wurde vor Staunen gleich warm ums Herz. Wie weit war doch dieser kleine Luftballon geflogen – und wie schlau war er gelandet! Einige hundert Meter weiter und kein Mensch hätte ihn in den weitläufigen Feldern entdeckt, einige Minuten später - und er wäre in der hereinbrechenden Dämmerung nicht mehr zu erkennen gewesen!

Nun musste ich mich aber beeilen! Ich besorgte sofort eine Schachtel, gefüllt mit Bonbons und andere Leckereien, kaufte außerdem noch ein paar schöne Ansichtskarten von Wien und schrieb ein paar frohe Zeilen an den kleinen Frosch, der da so sehnlichst auf Antwort wartete. Dann machte ich alles versandfertig und brachte meine Wort- und Magenspende zur Post.

An diesem Tag hatte ich keine schlechte Laune mehr. Ich ging wie auf Wolken
und dieses Glücksgefühl hielt auch noch in den darauf folgenden Tagen an.
Eine Woche später erreichte mich ein Telefonanruf. Es war Bettinas Mutter, die sich sehr herzlich für Post und Antwort bedankte.
Der ganze Kindergarten habe sich an dem Wettbewerb beteiligt, doch nur Bettinas Karte sei gefunden worden. Für Bettina wäre damit ein kleines Wunder geschehen.
Mir lief bei diesen Worten eine Gänsehaut über den Rücken.
„Ihre Tochter muss ja ein ganz besonderes Glückskind sein,“ meinte ich zu der stolzen Mutter. „Ja, das ist sie ganz bestimmt,“ antwortete diese. „Und zwar von Anfang an: Meine Bettina ist nämlich genau am Heiligen Abend geboren worden.“

Ich konnte nicht anders, mir wurden die Augen feucht.
Und dann erzählte ich einer mir unbekannten Frau am Telefon, dass auch für mich das Glück vom Himmel gefallen war an jenem grauen, trübseligen Tag im November.

Und wenn ihr mich heute fragt, ob es ein Weihnachtswunder gibt, so sage ich mit Überzeugung: Ja!
Wir müssen es nur entdecken. Jeder in jedem.

Geändert von a.c.larin (13.12.2010 um 18:03 Uhr)
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Alt 06.12.2010, 10:54   #2
LyTau
Gast
 
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Wunderschön, Larin!

Ja! Die Wunder passieren. Wenn man bereit ist, sie wahrzunehmen.

Deine Geschichte ist fesselnd geschrieben. Gefällt und berührt!

Ich bin sehr froh, dass ich diesen Faden angeklickt habe.

liebe Grüße
LyTau
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Alt 06.12.2010, 18:23   #3
Dana
Slawische Seele
 
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Beiträge: 5.637
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Liebe Larin,

wunderbar ge- und beschrieben. Spannend, ob der "Wendungen", denn nichts von dem, was mir zu Beginn als Möglichkeit einfiel, kam.

Es geschah tatsächlich ein Wunder, für mich groß und wunderschön.

Es bleiben Bilder im Kopf, nachwirkende Bilder.

Liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 08.12.2010, 17:37   #4
a.c.larin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 14.03.2009
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Beiträge: 4.893
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Hallo LyTau, hallo Dana,

die besten Geschichten schreibt das Leben selbst!
Auch ich denke immer noch gerne an jenen Augenblick zurück.

Danke fürs Mifühlen und Mitschwingen!
lg, larin
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Alt 08.12.2010, 19:25   #5
Lena
Lyrische Träumerin
 
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Zitat:
Zitat von a.c.larin Beitrag anzeigen
So miesmuffelte ich vor mich hin und fuhr mehr in Gedanken, denn mit Aufmerksamkeit für die Umgebung, als plötzlich etwas Rundes, Rotes vom Himmel herab schwebte und mein Interesse erweckte. Was war denn das?
Ein spannender Übergang, vom miesmuffeln...zum neugierig werden.

Liebe larin.

Du schreibst nicht nur wunderbare Gedichte, sondern auch Herrliche Kurzgeschichten wie diese hier.

Ich fühle mich absolut gefesselt, und sehe dich schon hinter dem Ballon herlaufen..

Das deine Laune nach diesem Brief besser wurde, ist verständlich.

Mit sehr viel Freude gelesen.

Lena
__________________
~ Mit lieben Gedanken ~


©auf alle meine Werke
............
Marion Baccarra
Lena ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.12.2010, 21:52   #6
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
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Beiträge: 9.907
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Hi larin,

ja, auch mir wurde warm ums Herz bei dieser gefühlvollen kleinen Geschichte.
Manchmal scheint es wirklich kleine Wunder zu geben und ich glaube, man muss nur die Augen offenhalten, um eines zu erleben.

War das Zufall oder gibt es tatsächlich eine Fügung?
Oder liegt die Seltenheit an Wundern, wie oben schon angedeutet, daran, daß die Menschen heutzutage viel zu hektisch und gestresst unterwegs sind?
Ich habe jetzt leider keine Zeit, ist so ein Spruch, den man oft zu hören bekommt und der bezeichnend für die Misere der Menschen ist, weil sie gar nicht wissen, was ihnen so alles entgeht.

Dabei wäre es so einfach. Denn wer mit offenen Sinnen die Welt anschaut, wird an jeder Ecke ein kleines Wunder antreffen.
Leider ist das heute bedeutungslos geworden.

Schöne Geschichte, hat mir gut gefallen.

Gerne gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


PS: In Zeile 19 bitte noch ein "d" bei "wieer" einsetzen.
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.12.2010, 17:25   #7
a.c.larin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 14.03.2009
Ort: wien
Beiträge: 4.893
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hallo lena,

manchmal hat man ja einen lichten moment - interessanterweise geht dem oft einige dunkelheit voran.
vielleicht sollte man nicht alles, was passiert, so selbstverständlich nehmen-
dann findet sich öfter wo enie prise glück zu "drüberstreuen".


hallo falderwald,
auch ich kriege immer noch eine gänsehaut beim zurückdenken.
also , wenn man bedenkt, wie viele luftballons aufgestiegen waren und sich nach überallhin verflüchtigt haben, ist es schon seltsam , dass genau dieser eine genau in diesem moment genau vor mir auf die straße segelte...
und dass seine "besitzerin" dann noch ein "christklindl" war, ist ja nur noch wie das tüpfelchen auf dem i .
aber genauso kann es eben auch sein, das leben.

man sollte an den guten dinge festhalten, sie hochhalten.
sie leuchten dann für lange, lange zeit.

alles liebe,
larin

ps: danke fürs genaue lesen - das d ist jetzt dran!

Geändert von a.c.larin (13.12.2010 um 18:04 Uhr)
a.c.larin ist offline   Mit Zitat antworten
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