01.05.2011, 22:56 | #1 |
Slawische Seele
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Unbekannte Wege
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. Ich denke, höre, sehe und ich schließe die Augen zur Erinnerung an Bilder von Höllenqualen und vom Paradiese. Sie hielten lang, zu lange mich gefangen. Jetzt, wo die Wirklichkeit an ihre Stelle getreten ist, befällt mich eine Trauer, der ich erst Türen öffnen muss und fühle mich wie ein Häftling, der Gefängnismauern verlassen hat und in der Freiheit neue, ihm unbekannte Wege ohne Ziele begehen soll, gemahnt von Kreuz und Glocke. Ich aber will am Sein mich orientieren. . . Hier ein Vorschlag des Kritikers Erich Kykal, der mir sehr gut gefällt: Ich denke, höre, sehe - und ich schließe die Augen vor den Bildern voller Bangen vor Höllenqualen und vom Paradiese. Sie hielten lang, zu lange mich gefangen. Jetzt, wo die Wirklichkeit und ihr Gewühle mich treibt, befällt mich leises Trauern, der ich erst Türen öffnen muss, und fühle mich wie ein Häftling, der Gefängnismauern verlassen hat und in der Freiheit neue, ihm unbekannte Wege, die ihn führen, begehen soll, gemahnt von Glaubenstreue. Ich aber will am Sein mich orientieren.
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
07.05.2011, 11:13 | #2 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Guten Morgen, liebe Dana,
das ist ein im Grunde traurig/melancholisches Gedicht. Aber glaube mir, ich kann dieses Empfinden absolut nachvollziehen, mir erging es genauso. Dafür muss ich ein bisschen was erklären. Ich habe eine (für die heutige Zeit) eher ungewöhnliche Kindheit erlebt - ich wurde die ersten 11 Jahre meines Lebens von meinen Großeltern und meiner Urgroßmutter aufgezogen. Besonders letztere war tief in ihrer Religion verwurzelt, der Pfarrer kam jede Woche mindestens einmal zu Besuch. Meine Eltern dagegen sind, nun nicht gegen Religion, sondern völlig desinteressiert, ein totaler Gegensatz, mit dem ich nach dem innerhalb von nur 3 Jahren erfolgten Tod meiner drei "Erzieher" konfrontiert wurde. Mir liegt "Mich-interessiert-Nichts" genauso wenig wie "Religiöse Hingabe", da war die Orientierung also plötzlich allein "meine Sache". Beim Erwachsen werden stellte ich fest, dass Religion nicht "Meins" ist - aber "egal" auch nicht. Also fand ich (langsam und mit viel Herumlesen und Nachdenken) zu meinen ganz eigenen Überzeugungen. Zurück zu deinem Gedicht, obiges erwähnte ich nur, um zu bestätigen: Das "Loslassen" ist schwer, denn die Kindheit ist prägender, als man allgemein denkt. Ein langjähriger Kampf zwischen dem Anerkennen der Wirklichkeit und dem Festhalten liebgewonnener Rituale - denn man kann sie liebgewinnen! Es hängen oft emotionale Erinnerungen an geliebte Menschen, an Gefühle, die als positiv empfunden werden "mit daran", ich denke, deshalb fällt es schwer. Man muss auch das loslassen, es fühlt sich an wie ein "im Stich lassen" ... Nur als Beispiel von mir: Irgendwann gelingt es, die Erinnerungen voneinander zu trennen, sie nicht automatisch zusammen zu legen. Das führt zur Freiheit und zum bewussten Sein - nicht mehr gefangen in Ängsten und Zwängen. Religion könnte nicht so mächtig sein, wenn sie nicht mit Gefühlen, dem Implizieren eines schlechten Gewissens und menschlichen Urängsten arbeiten würde. Sich am "Sein zu orientieren" schmälert nicht den Wert der Liebe oder des Lebens. Liebe und Leben ohne Zwang macht erst frei. Dann sind die "Türen offen und der Weg frei" - in ein neues und freies (und damit tatsächlich schöneres) Leben. Das einzig Schwere liegt im Bewusstwerden der eigenen Verantwortung, aber man lernt, sie zu tragen und im Umgang mit den Mitmenschen "leiser aufzutreten". Es gibt viel Schönes zu entdecken, der Übergang ist traurig, aber die Freiheit eine Erlösung. Liebe Grüße Stimme der Zeit
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07.05.2011, 22:18 | #3 | |
Slawische Seele
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Liebe Stimme,
herzlichen Dank für deinen einfühlsamen Kommi - ich fühle mich total verstanden. Indem du deine Geschichte erzählst, baust du gleichzeitig auf. Mein Gedicht hat einen sehr persönlichen Charakter. Es war mir direkt ein Bedürfnis, den langen Werdegang zu verdichten und zu posten. Wie tief solche Prägungen sitzen, habe ich daran erkannt, wie zaghaft und wie lange ich mit der 3. Strophe umgegangen bin. (Ich hatte immer noch Bedenken, mich zu "versündigen".) Bis zu meinem 13. Lebensjahr lebten wir, meine Mutter, mein Bruder und ich, in einem streng katholischen Dorf und gehörten zur Minderheit der ev. Kirche. Ich lernte ab dem 7. Lebensjahr (Schulbeginn), dass wir der schlechten Kirche angehören und niemals in den Himmel kommen können. Trotzdem durfte ich mit meinen katholischen Mitschülern im Pastorat am Religionsunterricht teilnehmen. Uns wurden die "Höllenqualen" sehr plastisch vorgeführt. Aufgrund meiner "prekären" Lage, lernte und frommte ich besonders eifrig. Ich hätte alles drum gegeben, zu konvertieren, aber ich durfte nicht. Meine Mama verbot es nicht direkt. Sie stellte mir in Aussicht, dass ich mit 21 Jahren allein darüber entscheiden könne. Diese "Ewigkeit" wurde für mich zur weiteren Höllenqual. Nicht auszudenken die Sündenansammlung ohne jede Vergebung. Viel mehr litt ich um das Seelenheil meiner Mutter und meines Bruders. Damit habe ich dir einen kleinen Ausschnitt meiner Erlebnisse und Erfahrungen gestanden. Man legt sie nicht wie ein getragenes Hemd ab, trotz neuer Erkenntnisse über Lesen und Diskussionen. Das, liebe Stimme, Zitat:
Danke für einen intensiven und offenen Austausch. Liebe Grüße Dana
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08.05.2011, 15:06 | #4 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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hallo dana,
beim lesen deines gedichtes und der kommentare stieg mir ein tiefes gefühl der dankbarkeit meinen eltern gegenüber hoch. bei uns daheim war das nämlich so: religion gibts ( so wie kirschenkuchen), davon kannst du nehmen, wenn du willlst, und wenn nicht - dann eben nicht. und ich nahm und nehme mir davon, was ich will - und lasse, ohne jegliches schuldgefühl sein, was mir nicht gut tut. was für ein hohes maß an freiheit mir meine eltern da mitgegeben haben, wird mir mit einem mal sehr deutlich bewusst. die freiheit, ja oder nein sagen zu dürfen, legt aber den grundstein für wertschätzung gegenüber einer idee oder sache. offenens schauen: den blick des interesses und der neugier. den mut, zu begegnen. daraus kann liebe werden. wie aber kann man etwas lieben, wenn man sich grundsätzlich schlecht fühlt? die liebe ( auch die zur religion) ist nämlich ein kind der freiheit. wie gut, dass du den mut gefunden hat, sie zu wählen! liebe unbekannte wege als bekannte unwege! lg, larin Geändert von a.c.larin (08.05.2011 um 15:08 Uhr) |
15.05.2011, 23:19 | #5 | |
Slawische Seele
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Liebe larin,
aus deinem Kommi klingt die Freiheit und Leichtigkeit wunderbar durch. Wie recht du mit der Aussage Zitat:
Es kommt immer darauf an, wie man etwas vermittelt bekommt, insbesondere als Kind. Dieses ist nicht die Aufgabe des Staates, der Schulen oder Religionen. Die letztgenannten können beeinflussen - Eltern können übersetzen, weil sie die engsten Vertrauenspersonen sind. Das funktioniert aber nur in einem freiheitlichen Staate. (Eltern, die ihren Aufgaben nicht gerecht werden, will ich hier aussschließen, das wäre ein anderes oder weiteres Thema.) Wenn Kinder aber in einer Umgebung aufwachsen, wo Religion staatlich verboten ist und der "Kariere" (Schulabschluss, Berufswahl) Mauern setzt und die heimlich erteilte Religionslehre mit Strafen Gottes im Leben und danach droht und Eltern selbst darin gefangen sind, dann wird es richtig eng. Der "Kirschkuchen" wird dann krümelweise zugeteilt, von beiden Seiten. Das ergibt selten ein fröhliches Kirschkuchenessen. Man geht diesen "Kindglaubensweg", bis man heranwächst und so weit ist, sich selbst eine Meinung über Lesen und Denken zu schaffen. Für mich selbst habe ich es geschafft, nicht zuletzt über solche oder ähnliche Gedichte. Ich denke aber immer noch mit Trauer über die Unzahl von Gläubigen, die von Ängsten zerfressen, von Hingabe geblendet bewusst gesteuerten Lügen auf den Leim gehen. Damit wende ich mich nicht gegen die positive Gemeinschaft einer Kirchgemeinde. Die gibt es auch, wie du es z.B. erfahren hast. Danke für einen friedlichen Gedankenaustausch. Liebe Grüße Dana
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16.05.2011, 14:17 | #6 |
TENEBRAE
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Hi, Dana!
Ich denke, höre, sehe - und ich schließe die Augen vor den Bildern voller Bangen vor Höllenqualen und vom Paradiese. Sie hielten lang, zu lange mich gefangen. Jetzt, wo die Wirklichkeit und ihr Gewühle mich treibt, befällt mich leises Trauern, der ich erst Türen öffnen muss, und fühle mich wie ein Häftling, der Gefängnismauern verlassen hat und in der Freiheit neue, ihm unbekannte Wege, die ihn führen, begehen soll, gemahnt von Glaubenstreue. Ich aber will am Sein mich orientieren. Wahrscheinlich hast du das Gedicht schon so "reimlos" geplant, bzw, es spielt für dich nur eine untergeordnete Rolle. Von daher bin ich auch nicht böse. wenn du sagst, dass dir meine Änderungen zu weit gehen oder deine Intentionen und Aussagen verfälschen. Ich reime eben nur gern, und ich genoß die Herausforderung, die "offenen Enden" in ein regelmäßiges Schema zu fügen, ohne allzuviel zu verändern. Wenn es dur zupass kommt, übernimm, was dir brauchbar erscheint. Jedenfalls gern gelesen! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
25.05.2011, 22:47 | #7 |
Slawische Seele
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Lieber eKy,
tief in mir liegt der "Drang" zum Reim und Klang als Basis auch. Ich gehe aber gern Abwege - vielleicht aus Neugier, weil ich eine Frau bin. Mir gefällt aber deine Gereimtheit ungeheuer gut. So gut, dass ich sie direkt darunter setze, weil sie an der Aussage nichts geändert hat - sie ist eben nur klangvoller. (Wären mir nämlich diese Reime gelungen und ein anderer Kritiker angemerkt hätte, dass solche Themen viel besser ungereimt kämen, würde ich widersprechen. ) D. h. - ich bedanke mich und nehme dich ganz. Lieben Dank und liebe Grüße Dana
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