01.03.2012, 19:17 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Der Rabe
Der Rabe (von E.A.Poe) eine Nachdichtung
Mitternacht war längst vorüber, als ich müde grübelnd über Einem Buch studierend saß und längst vergess‘ne Lehren las – Schläfrig wurde mir im Kopfe, plötzlich dachte ich es klopfe, Als ob jemand leise pochte, pochte an des Hauses Tor. 'Ein Besucher', sprach ich murmelnd, 'ein Besucher vor dem Tor?' Etwas seltsam kam‘s mir vor. O, ich kann mich klar entsinnen an den trostlos, öden Winter. Jede Glut wob im Verglimmen ihren Geist im Boden ein. Sehnlich wartend auf den Morgen, suchte Linderung von Sorgen Ich durch lesen zu erborgen, von den Sorgen um Lenor – Dieses reine, holde Mädchen nennen Engel nun Lenor – Engel, den ich hier verlor. Und das seidensachte Schwanken meines Purpurvorhangs plagte, Jagte rasend mich mit Ängsten, Ängsten nie gekannt zuvor. Ich erhob mich, um mein schlagend Herz zu stillen, nochmals sagend: 'Einlass fordert ein Besucher, spät noch, vor des Hauses Tor – Was erklärte sonst das Pochen, spät noch, vor des Hauses Tor? Ein Besucher steht davor!' Meine Seelenkräfte wuchsen. Und ich konnte eilig rufen: 'Dame oder Herr, ich bitte herzlich um Entschuldigung. Ihr habt schlafend mich getroffen und so leise war das Pochen, Ein verschwindend leises Pochen hörte ich an meinem Tor, Schwach nur, aus der Ferne klingend.' – und ich öffnete das Tor. Dunkle Leere fand ich vor. Lange in das Dunkel starrend, stand ich bange, fragend harrend, Träumte Träume, die zu träumen keiner je gewagt zuvor. Doch die Stille wollt' nicht weichen. Nirgends gab die Nacht ein Zeichen. Nur ein Wort durchbrach das Schweigen, flüsternd klang das Wort 'Lenor?' Antwort, leiser als zuvor, gab mein Echo mir 'Lenor?' Stille war es, wie zuvor. Meine wunde Seele brannte, als ich mich zur Kammer wandte. Da vernahm ich das bekannte Pochen lauter als zuvor. Sicher glaubt' ich zu erraten, kommt es von dem Fensterladen: 'Lass mich das Geheimnis sehen, dass mir seltsam täuscht das Ohr. Rasend Herz, hör auf zu jagen, ein Geräusch nur täuscht das Ohr, Schreckt dich schon der Wind, du Tor?' Und ich öffnete den Laden. Flatternd und mit Flügelschlagen Kam ein stattlich großer Rabe aus der Dunkelheit hervor. Ohne Gruß und ohne Stocken sprang er, um sich hinzuhocken, Auf die Büste an der Tür, schwang zur Büste sich empor. Gravitätisch flügelschlagend schwang der Rabe sich empor. Saß – und still war’s wie zuvor. Und der schwarze Vogel machte, dass ich für mich selber lachte, Sein gewichtiges Gebaren löste meiner Trauer Flor. 'Euer Helmbusch ist geschoren, dennoch scheint ihr hochgeboren. Welch' plutonisch fernes Ufer, sagt mir, brachte Euch hervor? Sagt mir eurer Lordschaft Namen, die sich in der Nacht verlor?' Sprach der Rabe 'Nevermore'. Staunend hörte ich ihn sprechen, eines Rabens Radebrechen. Ohne Sinn sind ihm die Worte, doch er bringt sie klar hervor. Sicher werden Sie gestehen, sprechend, einen schwarzen Raben Stehn auf weißer Pallas-Büste, das sah nie ein Mensch zuvor, Solch ein Biest, solch einen Raben, das sah nie ein Mensch zuvor, Mit dem Namen 'Nevermore'. Doch der Rabe sprach alleine dieses Wörtchen, nur das eine, Ganz als wäre seine Seele mit dem Worte ausgehaucht. Keine Silbe von sich gebend, keine Feder mehr bewegend, Saß er nun, bis ich gemurmelt: 'Andre Freunde floh’n zuvor, Und auch ihn werd‘ ich verlieren, wie die Hoffnung ich verlor.' Sprach der Rabe 'Nevermore'. Als die Stille nun gebrochen, als so passend er gesprochen, Sprach ich: 'Dieses Wort alleine – zweifellos sein ganzer Schatz – Hat er dort wohl aufgelesen, wo sein Herr verfolgt gewesen Von des Schicksals bösen Mächten. Als die Hoffnung er verlor Und als Ausdruck der Verzweiflung dieses dunkle Wort erkor. Dieses 'Never-nevermore''. Mit verführerischer Fessel band der Rabe meine Seele. Sachte rückte ich den Sessel Richtung Türe weiter vor, Sank in samtne Kissen nieder, der Gedankenketten Glieder Gaukelten mir immer wieder düst're Rabenbilder vor, Bis mein Geist in dunkeln Kreisen bei der Frage sich verlor, Was er meint, mit 'Nevermore'? Brütend saß ich da und schweigend, nicht die kleinste Regung zeigend, Als des Vogel Feuerauge tief sich in mein Herz gebohrt. Suchend nach dem tiefsten Wissen, lehnte ich den Kopf ins Kissen, In des Sessels samtnes Kissen, dessen purpurnes Dekor Strahlte in der Lampe Schimmer. – Bei dem purpurnen Dekor Sitzt sie nie mehr wie zuvor. Dichter war die Luft und dichter. Lichter schienen und entschwanden, wie wenn Weihrauchfässer schwingend, niedersinkt ein Engelchor. 'Kerl', rief ich, 'ob Gott ob Engel dich zu mir herniedersandte, Gib mir Ruhe, gib Befreiung vom Gedenken an Lenor! Gib die Droge des Vergessens für die Trauer um Lenor!' Sprach der Rabe 'Nevermore'. 'Ein Prophet bist du ohn' Zweifel, Vogel bist du und ein Teufel. Ob dich der Versucher sandte, ob der Sturm dich trug hervor, In Verlassenheit zu stranden – meiner Seele Wüstenlanden – Wo nur Schreckgespenster hausen, gieße Balsam mir ins Ohr! Sag mir, gibt es Trost auf Erden? Trost für die, die ich verlor?' Sprach der Rabe 'Nevermore'. 'Ein Prophet bist du ohn' Zweifel, Vogel bist du und ein Teufel. Sage, ob in Himmels Weiten an des Paradieses Tor – Bei dem Gott, zu dem wir beten! – sage, ob ich einst in Eden Wiederfinde dieses Wesen, dessen Name ist Lenor? Jemals finde dieses Wesen, dessen Name ist Lenor?' Sprach der Rabe 'Nevermore'. 'Unhold geh, wir sind geschieden!' rief ich, 'Lasse mich in Frieden! An plutonisch fernem Ort verglimme, wie ein Meteor! Keine Feder lass hier liegen, geh mit deinen schwarzen Lügen! Geh, verlass die Pallas-Büste, nimm den Schatten mir vom Tor! Nimm den Schnabel aus dem Herzen, lass mein Herz mir wie zuvor!' Sprach der Rabe 'Nevermore'. Und der Rabe sitzt noch immer, ohne Regung, sitzt noch immer Auf der Büste in dem Zimmer, die als Thron er sich erkor. Um die Augen glüht im Dunkeln ein dämonenhaftes Funkeln. Aus dem Boden rings im Zimmer tritt sein Schattenbild hervor. Meine Seele hebt sich nimmer aus dem Rabenschwarz empor, Hebt sich nimmermehr empor. Bemerkungen zur Nicht-Übersetzung von 'nimmermehr'. Das Gedicht 'The Raven' von E.A.Poe ist schon sehr häufig übersetzt worden. Allein bei Wikisource findet man 14 Übertragungen ins Deutsche. Was kann es also rechtfertigen, das Gedicht nochmals zu übertragen? Was ist das Besondere an meiner Übertragung ins Deutsche? Ich habe den Refrain des Gedichtes, der lediglich aus dem Wort 'nevermore' besteht, in der Originalsprache bestehen lassen und nicht mit dem entsprechenden deutschen Wort 'nimmermehr' übersetzt. Ich kenne keine andere Übersetzung, die das getan hat und habe gute Gründe für diese außergewöhnliche Vorgehensweise. Poe beschreibt in dem kurzen Aufsatz 'Philosophy of Composition' Schritt für Schritt, wie er 'The Raven' konzipiert hat, wobei von ihm die Bedeutung des Klanges von 'nevermore' mit dem Langen O, gefolgt von einem R, als Voraussetzung für die Wirkung des Gedichts beschrieben wird. Diese Wirkung wird durch das E des Deutschen 'nimmermehr' nicht erreicht, außerdem gibt es keinen Mädchennamen, der (entsprechend zu 'Nevermore – Lenor') im deutschen zu 'nimmermehr' gewählt werden könnte. Einige wenige Übersetzungen versuchen deutsche Worte mit langem O ans Ende jeder Strophe zu setzten, um den Klang von 'nevermore' zu erzeugen, was jedoch dazu führt, dass ein zweites wesentliches Kompositionsprinzip, welches Poe in dem erwähnten Aufsatz beschreibt, nicht erfüllt ist. Poe erachtet es für die Wirkung des Gedichts als ganz wesentlich, dass das immer gleiche Refrain-Wort in jeder Strophe aus einer neuen Perspektive erscheint, weswegen es einerseits ein sprachbegabtes Wesen ohne menschliche Intelligenz (der Rabe) ausspricht, andererseits jedoch von einem verständigen Wesen (dem trauernden Menschen) interpretiert wird. Reproduziert die Übertragung ins Deutsche den Klang des O, muss sie zwangsläufig im deutschen auf das Refrain-Wort 'nimmermehr' verzichten, und wird diesem zweiten wesentlichen Kompositionsprinzip nicht gerecht. Ich sehe keinen anderen Ausweg aus dieser Zwickmühle, als einfach das englische Wort 'nevermore' zu lassen, und darauf zu vertrauen, dass dieses in einer Zeit, in der Anglizismen sehr gebräuchlich sind, den Leser nicht abstößt oder stört. Mein Argument könnte dadurch entkräftet werden, dass Poes Behauptung über die grundlegende Bedeutung des Tones für die Wirkung des Gedichtes falsch ist – dem, was er über den Refrain sagt, wir kaum Widerspruch finden. Obwohl ich gewisse Zweifel hege, ob Poe in seiner Beschreibung der Entstehung des Gedichts tatsächlich in jedem Punkt wirklich so rational konstruierend vorgegangen ist, wie er es in 'Philosphy of Composition' beschreibt, so bin ich mir doch ziemlich sicher, dass er bezüglich der Bedeutung des Klanges von 'nevermore' Recht hat, weil dieses auch von anderen Dichtern in gleicher Weise beschreiben wird. Friedrich Schiller sagt z.B. in einem Brief vom 22.5.1792 an Körner: 'Das Musikalische eines Gedichtes schwebt mir weit öfter vor der Seele, wenn ich mich hinsetze, es zu machen, als der klare Begriff vom Inhalt, über den ich oft kaum mit mir einig bin.' und an Goethe in einem Brief vom 18.3.1796: 'Bei mir ist die Empfindung anfangs ohne bestimmten Gegenstand, dieser bildet sich erst später. Eine gewisse musikalische Grundstimmung geht vorher und auf diese folgt erst die poetische Idee.' Das stimmt genau mit dem überein, was Poe sagt. Zusätzlich möchte ich noch anfügen, dass ich mir große Mühe gegeben habe, die Entwicklung der poetischen Bilder möglichst genau zu übertragen. Man kann die Qualität einer Übertragung recht gut ermessen, wenn man nur die zweite Zeile der zweiten Strophe (And each separate dying ember wrought its ghost upon the floor.) mit den Schlusszeilen des Gedichts (And the lamp-light o'er him streaming throws his shadow on the floor; / And my soul from out that shadow that lies floating on the floor / Shall be lifted - nevermore!) vergleicht, denn die Entwicklung des wesentlichen Schlussbildes beginnt bereits in dieser Zeile der zweiten Strophe. Edgar Allan Poe: The Raven [First published in 1845] Once upon a midnight dreary, while I pondered weak and weary, Over many a quaint and curious volume of forgotten lore, While I nodded, nearly napping, suddenly there came a tapping, As of some one gently rapping, rapping at my chamber door. `'Tis some visitor,' I muttered, `tapping at my chamber door - Only this, and nothing more.' Ah, distinctly I remember it was in the bleak December, And each separate dying ember wrought its ghost upon the floor. Eagerly I wished the morrow; - vainly I had sought to borrow From my books surcease of sorrow - sorrow for the lost Lenore - For the rare and radiant maiden whom the angels named Lenore - Nameless here for evermore. And the silken sad uncertain rustling of each purple curtain Thrilled me - filled me with fantastic terrors never felt before; So that now, to still the beating of my heart, I stood repeating `'Tis some visitor entreating entrance at my chamber door - Some late visitor entreating entrance at my chamber door; - This it is, and nothing more,' Presently my soul grew stronger; hesitating then no longer, `Sir,' said I, `or Madam, truly your forgiveness I implore; But the fact is I was napping, and so gently you came rapping, And so faintly you came tapping, tapping at my chamber door, That I scarce was sure I heard you' - here I opened wide the door; - Darkness there, and nothing more. Deep into that darkness peering, long I stood there wondering, fearing, Doubting, dreaming dreams no mortal ever dared to dream before; But the silence was unbroken, and the darkness gave no token, And the only word there spoken was the whispered word, `Lenore!' This I whispered, and an echo murmured back the word, `Lenore!' Merely this and nothing more. Back into the chamber turning, all my soul within me burning, Soon again I heard a tapping somewhat louder than before. `Surely,' said I, `surely that is something at my window lattice; Let me see then, what thereat is, and this mystery explore - Let my heart be still a moment and this mystery explore; - 'Tis the wind and nothing more!' Open here I flung the shutter, when, with many a flirt and flutter, In there stepped a stately raven of the saintly days of yore. Not the least obeisance made he; not a minute stopped or stayed he; But, with mien of lord or lady, perched above my chamber door - Perched upon a bust of Pallas just above my chamber door - Perched, and sat, and nothing more. Then this ebony bird beguiling my sad fancy into smiling, By the grave and stern decorum of the countenance it wore, `Though thy crest be shorn and shaven, thou,' I said, `art sure no craven. Ghastly grim and ancient raven wandering from the nightly shore - Tell me what thy lordly name is on the Night's Plutonian shore!' Quoth the raven, `Nevermore.' Much I marvelled this ungainly fowl to hear discourse so plainly, Though its answer little meaning - little relevancy bore; For we cannot help agreeing that no living human being Ever yet was blessed with seeing bird above his chamber door - Bird or beast above the sculptured bust above his chamber door, With such name as `Nevermore.' But the raven, sitting lonely on the placid bust, spoke only, That one word, as if his soul in that one word he did outpour. Nothing further then he uttered - not a feather then he fluttered - Till I scarcely more than muttered `Other friends have flown before - On the morrow he will leave me, as my hopes have flown before.' Then the bird said, `Nevermore.' Startled at the stillness broken by reply so aptly spoken, `Doubtless,' said I, `what it utters is its only stock and store, Caught from some unhappy master whom unmerciful disaster Followed fast and followed faster till his songs one burden bore - Till the dirges of his hope that melancholy burden bore Of "Never-nevermore."' But the raven still beguiling all my sad soul into smiling, Straight I wheeled a cushioned seat in front of bird and bust and door; Then, upon the velvet sinking, I betook myself to linking Fancy unto fancy, thinking what this ominous bird of yore - What this grim, ungainly, ghastly, gaunt, and ominous bird of yore Meant in croaking `Nevermore.' This I sat engaged in guessing, but no syllable expressing To the fowl whose fiery eyes now burned into my bosom's core; This and more I sat divining, with my head at ease reclining On the cushion's velvet lining that the lamp-light gloated o'er, But whose velvet violet lining with the lamp-light gloating o'er, She shall press, ah, nevermore! Then, methought, the air grew denser, perfumed from an unseen censer Swung by Seraphim whose foot-falls tinkled on the tufted floor. `Wretch,' I cried, `thy God hath lent thee - by these angels he has sent thee Respite - respite and nepenthe from thy memories of Lenore! Quaff, oh quaff this kind nepenthe, and forget this lost Lenore!' Quoth the raven, `Nevermore.' Prophet!' said I, `thing of evil! - prophet still, if bird or devil! - Whether tempter sent, or whether tempest tossed thee here ashore, Desolate yet all undaunted, on this desert land enchanted - On this home by horror haunted - tell me truly, I implore - Is there - is there balm in Gilead? - tell me - tell me, I implore!' Quoth the raven, `Nevermore.' `Prophet!' said I, `thing of evil! - prophet still, if bird or devil! By that Heaven that bends above us - by that God we both adore - Tell this soul with sorrow laden if, within the distant Aidenn, It shall clasp a sainted maiden whom the angels named Lenore - Clasp a rare and radiant maiden, whom the angels named Lenore?' Quoth the raven, `Nevermore.' `Be that word our sign of parting, bird or fiend!' I shrieked upstarting - `Get thee back into the tempest and the Night's Plutonian shore! Leave no black plume as a token of that lie thy soul hath spoken! Leave my loneliness unbroken! - quit the bust above my door! Take thy beak from out my heart, and take thy form from off my door!' Quoth the raven, `Nevermore.' And the raven, never flitting, still is sitting, still is sitting On the pallid bust of Pallas just above my chamber door; And his eyes have all the seeming of a demon's that is dreaming, And the lamp-light o'er him streaming throws his shadow on the floor; And my soul from out that shadow that lies floating on the floor Shall be lifted - nevermore! Geändert von Thomas (07.03.2012 um 22:42 Uhr) |
06.03.2012, 21:22 | #2 |
Lyrische Emotion
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Hallo Thomas,
ich bin beeindruckt und du hast es geschafft, daß ich mir jetzt wirklich hier alles durchgelesen habe und das ist ja schon eine ganze Menge Stoff... "The Raven" war mir bekannt, wenn auch nicht als Text, so wusste ich doch, daß es von E. A. Poe ist, denn selbstverständlich bin ich im Besitz der Platte "Tales Of Mistery And Imagination - Edgar Allan Poe" von "The Alan Parsons Project" aus dem Jahre 1976. Ich wusste aber nicht, daß es sich bei "The Raven" um ein Gedicht handelt, ich dachte, es sei eine Geschichte. Umso angenehmer war ich überrascht, diese "Geschichte" hier nun als Gedicht vorzufinden und das auch noch in einer so gekonnten Übersetzung. Das ist eine wunderschöne und tieftraurige Ballade, die aber in jeder Strophe zu überzeugen weiß und faszinierend im Bann hält. Ich persönlich finde es auch nicht tragisch, das "nevermore" in der Originalsprache beizubehalten, es hat sogar etwas Besonderes und Geheimnisvolles. Und natürlich habe ich immer den Refrain des gleichnamigen Liedes dabei im Ohr. Dort hieß es: Thus quoth the raven, nevermore Darf ich ein paar Anmerkungen zu deinem Text hierlassen? Mitternacht war längst vorüber, als ich müde grübelnd über Einem Buch studierend saß und längst vergess‘ne Lehren las – Schläfrig wurde mir im Kopfe, plötzlich dachte ich es klopfe, Als ob jemand leise pochte, pochte an des Hauses Tor. 'Ein Besucher', sprach ich murmelnd, 'ein Besucher vor dem Tor?' Etwas seltsam kam mir‘s vor. ("Etwas seltsam kam's mir vor.") O, ich kann mich klar entsinnen an den trostlos, öden Winter. Jede Glut wob im verglimmen ihren Geist im Boden ein. (im Verglimmen) Sehnlich wartend auf den Morgen, suchte Linderung von Sorgen Ich durch lesen zu erborgen, von den Sorgen um Lenor – Dieses reine, holde Mädchen nennen Engel nun Lenor – Engel, den ich hier verlor. Und das seidensachte Schwanken meines Purpurvorhangs plagte, Jagte rasend mich mit Ängsten, Ängsten nie gekannt zuvor. Ich erhob mich, um mein schlagend Herz zu stillen, nochmals sagend: 'Einlass fordert ein Besucher, spät noch, vor des Hauses Tor – Was erklärte sonst das Pochen, spät noch, vor des Hauses Tor? Ein Besucher steht davor!' Meine Seelenkräfte wuchsen. Und ich konnte eilig rufen: 'Dame oder Herr, ich bitte herzlich um Entschuldigung. Ihr habt schlafend mich getroffen und so leise war das Pochen, Ein verschwindend leises Pochen hörte ich an meinem Tor, Schwach nur, aus der Ferne klingend.' – und ich öffnete das Tor. Dunkle Leere fand ich vor. Lange in das Dunkel starrend, stand ich bange, fragend harrend, (Komma nach "starrend") Träumte Träume, die zu träumen keiner je gewagt zuvor. Doch die Stille wollt' nicht weichen. Nirgends gab die Nacht ein Zeichen. Nur ein Wort durchbrach das Schweigen, flüsternd klang das Wort 'Lenor?' Antwort, leiser als zuvor, gab mein Echo mir 'Lenor?' Stille war es, wie zuvor. Meine wunde Seele brannte, als ich mich zur Kammer wandte. Da vernahm ich das bekannte Pochen lauter als zuvor. Sicher glaubt' ich zu erraten, kommt es von dem Fensterladen: 'Lass mich das Geheimnis sehen, dass mir seltsam täuscht das Ohr. Rasend Herz, hör auf zu jagen, ein Geräusch nur täuscht das Ohr, Schreckt dich schon der Wind, du Tor?' Und ich öffnete den Laden. Flatternd und mit Flügelschlagen Kam ein stattlich großer Rabe aus der Dunkelheit hervor. Ohne Gruß und ohne Stocken sprang er, um sich hinzuhocken, Auf die Büste an der Tür, schwang zur Büste sich empor. Gravitätisch flügelschlagend schwang der Rabe sich empor. Saß – und still war’s wie zuvor. Und der schwarze Vogel machte, dass ich für mich selber lachte, Sein gewichtiges Gebaren löste meiner Trauer Flor. 'Euer Helmbusch ist geschoren, dennoch scheint ihr hochgeboren. Welch' plutonisch fernes Ufer, sagt mir, brachte Euch hervor? Sagt mir eurer Lordschaft Namen, die sich in der Nacht verlor?' Sprach der Rabe 'Nevermore'. Staunend hörte ich ihn sprechen, eines Rabens Radebrechen. Ohne Sinn sind ihm die Worte, doch er bringt sie klar hervor. Sicher werden Sie gestehen, sprechend, einen schwarzen Raben Stehn auf weißer Pallas-Büste, das sah nie ein Mensch zuvor, Solche ein Biest, solche einen Raben, das sah nie ein Mensch zuvor, ("Solche" ? 2 x) Mit dem Namen 'Nevermore'. Doch der Rabe sprach alleine dieses Wörtchen, nur das eine, Ganz als wäre seine Seele mit dem Worte ausgehaucht. Keine Silbe von sich gebend, keine Feder mehr bewegend, (Komma nach "bewegend") Saß er nun, bis ich gemurmelt: 'Andre Freunde floh’n zuvor, Und auch ihn werd‘ ich verlieren, wie die Hoffnung ich verlor.' Sprach der Rabe 'Nevermore'. Als die Stille nun gebrochen, als so passend er gesprochen, Sprach ich: 'Dieses Wort alleine – zweifellos sein ganzer Schatz – Hat er dort wohl aufgelesen, wo sein Herr verfolgt gewesen Von des Schicksals bösen Mächten. Als die Hoffnung er verlor Und als Ausdruck der Verzweiflung dieses dunkle Wort erkor. Dieses 'Never-nevermore''. Mit verführerischer Fessel band der Rabe meine Seele. Sachte rückte ich den Sessel Richtung Türe weiter vor, Sank in samtne Kissen nieder, der Gedankenketten Glieder Gaukelten mir immer wieder düst're Rabenbilder vor, Bis mein Geist in dunkeln Kreisen bei der Frage sich verlor, Was er meint, mit 'Nevermore'? Brütend saß ich da und schweigend, nicht die kleinste Regung zeigend, Als des Vogel Feuerauge tief sich in mein Herz gebohrt. Suchend nach dem tiefsten Wissen, lehnte ich den Kopf ins Kissen, In des Sessels samtnes Kissen, dessen purpurnes Dekor Strahlte in der Lampe Schimmer. – Bei dem purpurnen Dekor Sitzt sie nie mehr wie zuvor. Dichter war die Luft und dichter. Lichter schienen und entschwanden, wie wenn Weihrauchfässer schwingend, niedersinkt ein Engelchor. 'Kerl', rief ich, 'ob Gott ob Engel dich zu mir herniedersandte, Gib mir Ruhe, gibt Befreiung vom Gedenken an Lenor! (ohne "t") Gib die Droge des Vergessens für die Trauer um Lenor!' Sprach der Rabe 'Nevermore'. 'Ein Prophet bist du ohn' Zweifel, Vogel bist du und ein Teufel. Ob dich der Versucher sandte, ob der Sturm dich trug hervor, In Verlassenheit zu stranden – meiner Seele Wüstenlanden – Wo nur Schreckgespenster hausen, gieße Balsam mir ins Ohr! Sag mir, gibt es Trost auf Erden? Trost für die, die ich verlor?' Sprach der Rabe 'Nevermore'. 'Ein Prophet bist du ohn' Zweifel, Vogel bist du und ein Teufel. Sage, ob in Himmels Weiten an des Paradieses Tor – Bei dem Gott, zu dem wir beten! – sage, ob ich einst in Eden Wiederfinde dieses Wesen, dessen Namen ist Lenor? (ohne "n") Jemals finde dieses Wesen, dessen Name ist Lenor?' Sprach der Rabe 'Nevermore'. 'Unhold geh, wir sind geschieden!' rief ich, 'Lasse mich in Frieden! An plutonisch fernem Ort verglimme, wie ein Meteor! Keine Feder lass hier liegen, geh mit deinen schwarzen Lügen! Geh, verlass die Pallas-Büste, Nimm den Schatten mir vom Tor! ("nimm" klein) Nimm den Schnabel aus dem Herzen, lass mein Herzen mir wie zuvor!' ("Herzen"?) Sprach der Rabe 'Nevermore'. Und der Rabe sitzt noch immer, ohne Regung, sitzt noch immer Auf der Büste in dem Zimmer, die als Thorn er sich erkor. (Thron) Um die Augen glüht im Dunkeln ein dämonenhaftes Funkeln. Aus dem Boden rings im Zimmer tritt sein Schattenbild hervor. Meine Seele hebt sich nimmer aus dem Rabenschwarz empor, Hebt sich nimmermehr empor. Also, wie schon gesagt, meine Hochachtung für diese Leistung, das ist ein ganz toller Text, der mich in seinen Bann gezogen hat. Das hatte eine Würdigung verdient. Gerne gelesen, auch drüber gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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07.03.2012, 22:57 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Falderwald,
deine anerkennden Worte habe mich sehr gefreut. Weniger gefreut hat mich, dass du noch so viele Rechtschreibfehler in dem Text entdeckt hast. Vielen Dank für die Korrekturarbeit. Es ist wie verhext, ich kann einen Text X-mal lesen, und ich sehe die Fehler trotzdem nicht. Es ist mir peinlich. Früher hat mich meine Frau, die meine Texte immer gerne 'zensiert' hat, davor bewahrt. Ich glaube, dass man durch das Übertragen (nicht Übersetzen!) von Gedichten sehr viel lernen kann. Vor allem, wie die poetische Sprache funktioniert. Man hat ja sehr genau vor sich, was gesagt werden soll, oft genauer, als wenn man selbst dichtet, und dann liegt es auf der Zunge und es kommt nicht heraus, wenn man zu früh aufgibt. Aber dann ist es plötzlich da, und oft passender, als man erwartet hätte. Aufgrund dieser Erfahrung glaube ich auch, dass viele recht formlose Gedichte aus Mangel an Geduld entstehen, weil sie niedergeschrieben wurden, bevor sie ihre schöne Form finden konnten. Schade. Aber das ist nur eine persönliche Vermutung. Viele Grüße Thomas |
08.03.2012, 10:13 | #4 |
asphaltwaldwesen
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als großer poe-fan muss ich hier anerkennend sagen, thomas,
dass du wirklich eine tolle übersetzung hingelegt hast. eine (oder mehrere?) versionen mit "nimmermehr" kannte ich bisher und stellte mir dabei den raben zwar krächzend vor - das "nevermore" zu behalten jedoch, hat dem text seine düstere note erst so richtig - vollumfänglich sozusagen - verliehen. deine ausführungen bzw. poes zu der rolle des wortes im text fand ich übrigens mehr als spannend und nachvollziehbar. ganz abgesehen davon, dass das klangpaar "lenor - nevermore" natürlich die grundbotschaft des textes um einiges einprägsamer macht und wirkungsvoller. mich jedenfalls hat das "nevermore" nicht irritiert beim lesen deiner übersetzung. es wirkt da sehr stimmig für mein empfinden. wer schon mal eine übersetzung versucht hat - erst recht von gereimtem - weiß, was du hier vollbracht hast. meine hochachtung!!!! es gibt kaum schwierigeres, als dem tonfall eines gedichtes gerecht zu werden beim übertragen in die eigene sprache. ganz ganz toll! liebe grüße, fee
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"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan |
09.03.2012, 11:19 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Liebe fee,
vielen, vielen Dank für dein Lob. Und das von einem Poe-Fan! Ich selbst bin übrigens auch von Poe fasziniert. Er hat so tolle Dinge geschrieben, EUREKA z.B. und seine Kurzgeschichten sind meisterlich, jedes Wort sitzt. Viele Grüße Thomas |
12.03.2012, 19:52 | #6 |
Slawische Seele
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Hallo Thomas,
auch ich möchte ein ganz dickes Lob hier lassen. Ich habe mir einige Übersetzungen online angeschaut und immer wieder die deine gelesen - mir hat sie wirklich am besten gefallen. Auch dein Hineinversetzen in den Text mit all der Mühe und Sorgfalt hat mir sehr imponiert. Deine Begeisterung für E.A. Poe trägt ihre Früchte in dieser schönen Übertragung. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
14.03.2012, 19:38 | #7 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Liebe Dana,
herzlichen Dank für das große Lob. Thomas |
18.07.2014, 09:42 | #8 |
Kiwifrüchtchen
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Lieber Thomas,
jetzt hab ich mal tief geschürft, freu mich, dass ich fündig geworden bin und Dein Rabe auch hier zu lesen ist. Wie begeistert ich bin von der großartigen Arbeit, die Du da geleistet hast, weißt Du ja. Ich hab Cebrail im Lieblingsgedichte-Faden empfohlen, das Werk zu lesen. Auch meine ich, es ist Zeit, den Raben wieder nach oben fliegen zu lassen, damit hoffentlich auch noch andere Leser in den Genuss kommen. LG von Lai
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal Geändert von Lailany (18.07.2014 um 10:50 Uhr) |
18.07.2014, 13:36 | #9 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Liebe Lailany,
es freut mich, dass du den Raben gewckt hast, um ihn ein wenig kreisen zu lassen. Vielen Dank. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
05.11.2022, 05:56 | #10 |
Kiwifrüchtchen
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Lieber Thomas,
manche Werke sind zu gut, um sie in Vergessenheit geraten zu lassen. Deine Version des Raben ist eins meiner Lieblinge. Deine gelungene deutsche Version ist nicht nur ein gutes Stueck Arbeit, sie erfordert auch ausgezeichnetes Verstaendnis der englischen Sprache. Sehr beeindruckend und ein guter Grund, es wieder hervorzuholen und mich daran zu erfreuen. HG von Lai
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal |
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