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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 23.01.2012, 15:51   #1
Friedhelm Götz
Schüttelgreis
 
Registriert seit: 02.11.2011
Beiträge: 954
Standard Albtraumsonett

Seit langem muss ich oft in Träumen rennen,
mich wie ein Wild der Jagd durch Flucht entziehn,
als wolle sich mein Ich von Räumen trennen,
aus jahrelanger, strenger Zucht entfliehn.

Es heißt, dass kurz im Schlaf Geschichten dauern,
doch ewig, wenn man nicht zum Licht erwacht.
Lässt mich der Horror in Gedichten schauern,
äfft mich der Alb, der Bösewicht: er lacht!

Versuche ich, den Ausbruch schlicht zu wagen,
wächst mir der Mut auch kühn mit Sturmgewalt.
Der Nachtmahr weiß mich armen Wicht zu schlagen:
Schon schrumpf ich nachts darauf zur Wurmgestalt.

Ein Albtraum wohl, der Seelenqual vermehrt,
und der normal zu unnormal verquert.

Geändert von Friedhelm Götz (17.07.2021 um 11:49 Uhr)
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Alt 27.01.2012, 12:30   #2
Chavali
ADäquat
 
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Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.001
Standard

Ja, Fridolin,

ein typischer Albtraum.
Und in einem englischen Sonett verdichtet.
Fein!

Passende, nicht allzu oft gelesene Reime, (z.T. Schüttelreime! ) Gefühle,
die von David bis zum Goliath reichen,
ein Auf und Ab,mal König, mal Bettler...
und meist geschlagen, verhöhnt, gedemütigt.

Schön zu lesen!
Lieben Gruß,
Chavali
__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*

Geändert von Chavali (27.01.2012 um 12:32 Uhr)
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Alt 27.01.2012, 14:19   #3
Friedhelm Götz
Schüttelgreis
 
Registriert seit: 02.11.2011
Beiträge: 954
Standard

Hallo Chavali,

vielen Dank für deine lobenden Worte, du machst aber die Einschränkung "zum Teil Schüttelreime". Die Reime sind durchweg Schüttelreime.

LG Fridolin

Geändert von Friedhelm Götz (27.01.2012 um 14:58 Uhr)
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Alt 30.12.2013, 09:56   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
Benutzerbild von Erich Kykal
 
Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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HI, Fridolin!

Ein wahres Meisterstück, sowohl was Sprache angeht als auch die wunderbar untergebrachten Schüttler!

Man muss ja sagen, mitunter muss man Schüttelreime etwas an den Haaren herbeigezogen verbauen, damit sie als Vers noch einigermaßen Sinn ergeben - du hingegen hast es so drauf, dass man solch einen Eindruck (beinahe) nie hat - und hier schon gar nicht!
Wunderbar zu lesen und auch lyrisch ausgesprochen gelungen!

Ein paar Peanuts:

S3Z3 - Kein Komma nach "weiß".

S3Z4 - ist so geschrieben zu lang. Schreib einfach "schrumpf" ohne "e" dran, dann passt es genau.

Die Conclusio fällt natürlich hebermäßig aus dem Sonettrahmen. Solltest du das mal ändern wollen, hier eine statthafte "Verlängerung", der auch gleich die gespreizte Inversion in der oberen Zeile beseitigt:

"Ein Albtraum wohl, der Seelenqual vermehrt,
und der normal zu unnormal verquert."


Sehr gern gelesen und beklugfummelt!

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.12.2013, 10:35   #5
Friedhelm Götz
Schüttelgreis
 
Registriert seit: 02.11.2011
Beiträge: 954
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Hallo eKy,

hab vielen Dank fürs Lesen und deine sehr willkommenen Verbesserungsvorschläge. Ich habe sie gleich eingearbeitet.

LG Fridolin
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Alt 30.12.2013, 11:50   #6
gerig1
Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 07.12.2013
Ort: Oberösterreich
Beiträge: 35
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Finde das Gedicht echt grandios, vor allem die Komplexität Schüttelreime auch in semantisches Reih und Glied zu bringen, weckt große Begeisterung - zumal das Thema Albtraum in spannend zu lesenden Intuitionen wiedergegeben wurde - sehr gut gelungen wie mir scheint!
__________________
Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.
Lucius Annaeus Seneca

Geändert von gerig1 (30.12.2013 um 11:52 Uhr)
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Alt 30.12.2013, 17:04   #7
Dana
Slawische Seele
 
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Beiträge: 5.637
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Hallo Fridolin,

Meisterwerke gehen nicht unter, wie man liest.

Bilder und Sprache verschmelzen zum Genuss, man liest mit Bewunderung gleich ein zweites Mal und erst danach macht man sich die Wirkung eines Albtraums klar.
(Natürlich fallen auch die gekonnt eingesetzen Schüttelreime auf.)

Sehr, sehr gut und sehr, sehr schön.

Liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 30.12.2013, 17:33   #8
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Thomas
 
Registriert seit: 24.04.2011
Beiträge: 3.375
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Lieber Fridolin,

Chapeau!

Du solltest zu "King Of Schüttel" ernannt werden.

Leider kann der Titel wegen der Nähe zum Schüttelreim "Shingle Of Küttel" anstandshalber nicht offiziell vergeben werde.

Liebe Grüße
Thomas
__________________
© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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Alt 31.12.2013, 13:12   #9
Friedhelm Götz
Schüttelgreis
 
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Beiträge: 954
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Hallo allerseits,

ihr glaubt gar nicht, wie mir euer Lob gut tut. In krassem Gegensatz zu euren begeisterten Kommentaren steht dieser aus einem anderen Forum:

lb schüttler,

das ist toll gemacht - aber eben viel zu bemüht, wenigstens in diesem fall. das sonett ist eine wunderbare form, um die schlaflosigkeit zu thematisieren. durch die extra drechselungen der schüttelformulierungen hast du allerdings das thema quasi zur nebensache erklärt.

diese kombination von ernster botschaft mit unernster form gelingt hier m.e. gar nicht. schreib doch mal ein reines sonett und laß das schütteln sein.

lg w.



Fast hätte ich mich von diesem Kommentar, der mit der Aufforderung, das Schütteln sein zu lassen, doch sehr überheblich wirkt, ins Bockshorn jagen lassen. In der Zwischenzeit ist mir wiederholt bescheinigt worden, dass mir die Kombination von ernster Botschaft mit der scheinbar unernsten Form der Schüttelreime durchaus gelingt. Der Schüttelreim ist eben vielseitiger als sein Ruf. Der Dichter und Sonettist Robert Wohlleben schreibt in dem Zusammenhang: »Als sonderbar erscheint mir, daß der humoristische Effekt auszubleiben scheint, sonst doch so unlösbar an Schüttelreime geknüpft.«

Liebe Grüße
Fridolin

Geändert von Friedhelm Götz (11.05.2014 um 19:51 Uhr)
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Alt 31.12.2013, 21:29   #10
Erich Kykal
TENEBRAE
 
Benutzerbild von Erich Kykal
 
Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
Standard

Hi, Fridolin!

Wenn ich einwerfen darf:
Dass man die Schüttelreime womöglich hier gar nicht wahrnimmt, liegt an dreierlei.
Einerseits daran, dass die Schüttler stets durch eine Verszeile getrennt sind, also nicht unmittelbar aufeinander folgen - andererseits daran, dass sie hier so geschickt in den roten Faden gewoben wurden, dass sie nicht weiter auffallen oder sich in den Vordergrund spielen - und endlich, weil dir hier eine so packende Sprachhabung und lyrische Dichte gelungen sind, eine so hohe verbale Qualität, dass man vor lauter Mitschwelgen beim Lesen die Schüttler gar nicht mitbekommt.

Ich sage ehrlich - hätte ich nicht schon lange um deine "Spezialisierung" gewusst, ich wäre bei einer so melodischen und in sich schlüssigen Sprachführung gar nicht erst auf die Idee gekommen, nach Schüttelreimen Ausschau zu halten!
Dieses Sonett ist in jeder Hinsicht ein Meisterstück, vor allem aber in der perfekten Symbiose und/oder Synthese zweier lyrischer Disziplinen, die sich hier nicht um den ersten Rang streiten, sondern perfekt harmonieren, ja, ineinander aufgehen! Das sprachgewaltige Sonett und der Schüttelreim!
Einfach erstklassig! Dieses Werk sollte als glänzendes Beispiel für die ultimativen Möglichkeiten von beiderlei Kunst in jeder Anleitung zur Dichtkunst stehen - falls es derlei gibt...

LG, eKy
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Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
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Geändert von Erich Kykal (02.01.2014 um 15:36 Uhr)
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