30.08.2011, 21:48 | #1 |
Lyrische Emotion
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Ingeborg
Ingeborg
Den Ratingagenturen und den Banken verdankt die Wirtschaftswelt die Rezession, die Impotenz, an der die Staaten kranken, heißt neoliberale Destruktion. Der Dalai Lama geht schon bald in Rente, doch die Chinesen wittern ein Komplott, sie halten das für eine Pekingente und suchen per Gesetz den neuen Gott. Noch während die Japaner fröhlich strahlen, legt sich Irene stürmisch auf New York, Ostafrika erleidet Hungerqualen, und ich, ich liege nackt auf Ingeborg. Das ist mir alles scheißegal, ich pfeife laut auf die Moral, denn seien wir doch einmal ehrlich, Gewissensbisse sind entbehrlich. Mein Jet fliegt durch die Wirbelstürme direkt in Inges Zwillingstürme, ach Ingeborg, ach Ingeborg, es stürmt und hagelt in New York. Mediterrane Urlaubsträume sterben, es toben Schlachten rund ums Mittelmeer, ob Schuldenkrise oder Kriegsverderben, das alte Rom war nicht so sorgenschwer. In London rebellierten die Verlierer globaler Weltanschauung fotogen, derweil zog durch die Schuld der Bilanzierer die Sorge wie ein Beben durch Athen. Das Mitgefühl vom Herrn der Augenringe für all die kleinen Jungs fiel spärlich aus, und ich, ich liege wieder mal auf Inge bei der Erforschung ihres Körperbaus. Das ist mir alles scheißegal, ich sehe das ganz rational, denn seien wir doch einmal ehrlich, das Leben ist nun mal gefährlich. Mein Trieb beginnt umherzuschweifen und zielt auf Inges Gazastreifen, ach Ingeborg, ach Ingeborg, du Freiheitsstute von New York. Die Würfel sind in Tripolis gefallen, Gaddafi steht nun ziemlich auf dem Schlauch, in Deutschland lässt man schon die Korken knallen, denn Guido Westerwelle fällt jetzt auch. Ein Gegenwind haucht schon aus eignen Reihen, die Politik ist eine Wurstfabrik, Frau Kanzlerin und auch Frau von den Laien sind schon in Stellung für den Zickenkrieg. Herr Gabriel mimt jetzt den fetten Engel, denn Angela mutiert zum Antichrist, und mir, mir glimmt zum zigsten Mal der Stängel, weil Inge mein Atomreaktor ist. Das ist mir alles scheißegal, ich denke eben nicht sozial, denn seien wir doch einmal ehrlich, ein Mitgefühl ist nur beschwerlich. Mein Thilo will sich beim Gastieren in Inges Land voll integrieren. Sinatra sang New York, New York, fiktiv - singt meine Ingeborg. Falderwald . .. .
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
31.08.2011, 21:58 | #2 | ||||||||||||
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo, Faldi,
was für eine Satire! Hier hast du buchstäblich eine "Weltreise" gemacht, und "global abgerechnet". Ich finde dieses Gedicht großartig. Es ist so gelungen, weil es mich zum Lachen bringt, in allen Nuancen und Abstufungen; wobei es mir manchmal "im Hals steckenbleibt", bevor mich die nächste bitterböse Formulierung dann wieder erneut zum Lachen "zwingt". Allerdings fällt mein Lachen in den meisten Fällen so "böse" aus wie die enthaltene Thematik ... Es sprüht vor Ironie, ist kräftig gewürzt mit Sarkasmus und stellt die Tatsachen trotzdem so dar, wie sie sind. Der Protagonist dieses Gedichts ist ein Mensch, wie man ihn häufig antrifft: "Ach, was interessiert mich das? Ich möchte meinen Spaß haben!" Den gedankenlosen Spaß, der hier von "Ingeborg" symbolisiert wird. Faszinierend finde ich sowohl den strukturellen Aufbau als auch die anspruchsvolle Rhetorik. Um mich ganz konkret auf die Rhetorik zu beziehen: Sie durchmisst das ganze Spektrum der Sprache. Beginnend bei Worten wie z. B. "scheißegal" und "Zickenkrieg" führt sie über "Weltanschauung" und "Hungerqualen" bis hin zu "neoliberaler Destruktion". Eine "global-verbale" Reise durch alle Bildungsschichten, entsprechend der Bandbreite des Inhalts. Zur Thematik: Zitat:
Was geschieht, sollte das Wetter seine Dienste verweigern und die bereits verkaufte Ernte ruinieren? Was geschieht, sollte das Unternehmen, dessen Aktien auf "künftige" Wertsteigerungen hin verkauft wurden, anstatt Gewinnen Verluste machen? Was geschieht, wenn die Seifenblasen platzen? Das Ergebnis: Eine Rezession. An Börsen wird mit Illusionen gehandelt, nicht mit real vorhandenen Tatsachen. Impotenz wird allgemein als Zeugungsunfähigkeit definiert, allerdings bedeutet es auch schlicht und einfach Unfähig- und Ideenlosigkeit. Daran kranken viele Staaten, obwohl ich zugeben muss, dass sich der deutsche Staat allmählich in ein Paradebeispiel verwandelt. Der Neoliberalismus (ich wähle das zum Unwort des Jahres) ist natürlich destruktiv, denn in einer grauen, homogenen Masse mangelt es an Unterschieden, so dass sich in der politischen Welt nichts mehr bewegt. Dafür bräuchte es Innovationen und den Mut zur Veränderung. Homogenisierte Milch schmeckt so fade wie die aktuelle Politik. Die europäisch-amerikanische Finanzkrise hat bereits Billionen an Dollars verschlungen, ohne die eigentliche Problematik damit auch nur anzutasten ... Zitat:
Zitat:
In Ostafrika sind bereits Zehntausende Menschen gestorben; laut UN-Generalsekretär Ban wären 1,6 Milliarden Dollar an Hilfegeldern notwendig, um die schlimmsten Härten zu mildern. Und das LI, ich möchte ihn als "der ganz normale Durchschnittsmensch mit ganz normaler Durchschnittsmentalität" bezeichnen, liegt nackt auf Ingeborg. Let's have fun! Zitat:
Wobei festzustellen wäre, dass unser DgnDmgnD dieses Ereignis wohl längst vergessen hat. Wo liegt eigentlich New York? So lange bei ihm "die Sonne scheint", darf es stürmen und hageln, wo es will. Es ist ja weit, weit weg. Zitat:
Es gibt genügend Touristen, die vorzugsweise in Krisengebiete reisen. Sensationstourismus extrem. Für mich eine perverse Mentalität: Das Verlustieren am Elend anderer. Nun, es gibt sie auch hierzulande, dieselben, die bei einem Unfall (möglichst "blutig") um ein Auto herum stehen, gaffen und hoffen, eine Leiche zu sehen. Zitat:
Unterdessen wird der Karneval in Notting Hill fröhlich gefeiert. "Um die Ecke" oder ein paar Tage zuvor, das kann, je nach Einstellung, ebenfalls "weit weg" sein. Helau und Tsche hoi! (Leider sind mir englische Rufe unbekannt). Die Wirtschaftskrise in Griechenland benötigt offenbar die Kreditsumme von 440 Milliarden Euro, dafür sind 780 Milliarden Euro an Bürgschaften anderer europäischer Länder notwendig - von denen Deutschland mit 211 Milliarden alleine also ein Viertel tragen darf. Das Fass ohne Boden wird beständig befüllt. Alaaf! Zitat:
Zitat:
Möge der Trieb also genüsslich die Freiheitsstute, ähem, -statue besteigen, um auf den Gazastreifen zu zielen. Irgendwann wird das Ziel sicher getroffen, nur nicht locker lassen. Ein doppeltes Hoch auf Ingeborg! Ach, wie schön ist es doch, über ausreichend Munition zu verfügen. Zitat:
Was nun Gaddafi betrifft, da 32 Mitglieder des Familienclans bereits ins Nachbarland Algerien geflüchtet sind, bleibt nur zu sagen: Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Trotzdem, als Hoffnungsträger gibt es ja noch den Sohn. Laut aktuellen Nachrichten denkt dieser an Kapitulation. Das glaube ich, wenn es geschehen ist. Man freue sich ergo nicht zu früh, denn es gilt seit altersher: Totgesagte leben länger. Zitat:
Merklich, dass die Einbildung sich nicht mit der Unbildung verträgt. Ich ziehe mir eine Papiertüte über den Kopf. Es ist mittlerweile geradezu peinlich, mit diesen beiden Exemplaren dieselbe Geschlechtszugehörigkeit zu teilen. Ich weigere mich, das zu akzeptieren. Laienhaft betrachtet kann das nur ein verz(w)ickter Irrtum sein. So lange beide nicht Ingeborgs Beispiel folgen und die nackten Tatsachen präsentieren, glaube ich das keinesfalls! Zitat:
Da muss man ja zum Kettenraucher werden. Es gibt zum Glück zig Atomreaktoren, an denen man einen Stängel anzünden kann. Inges Hitze dient als Beispiel für unbegrenzte Energiezufuhr, auf die eine oder andere Art - potenziell betrachtet. Zitat:
Es sprach Thilos Gast. Voll integriert, Alda! Und in Ingeborg würde er sicher auch gern, davon bin ich überzeugt. Vor allem, weil sie so schön singt: Fiktiv! Wer lässt sich das schon zwei Mal sagen? Mir bleibt nur noch eine kurze Anmerkung zum Formalen "übrig": Einwandfrei und gekonnt. Das Metrum ist perfekt, und trotz der Länge von 12 Strophen bieten der Wechsel zwischen Quartetten und Oktetten sowie die alternierenden Kadenzen genug Abwechslung im Leserhythmus, um eine Ermüdung erfolgreich zu verhindern. Außerdem ist es wohl die erste "Polit-Wirtschaft-Kirche-Gesellschafts-Satire", die ich bisher gelesen habe ... Damit ich beurteilen kann, ob es die beste ist, musst du also noch ein paar schreiben. Sehr genussvoll und gerne bislang wohl ein Dutzend Mal zu Gemüte geführt! Liebe Grüße Stimme
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02.09.2011, 22:28 | #3 |
Slawische Seele
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Lieber Faldi,
ich komme gerade von "Die blauen Blumen" und lande auf deiner globalen Satire, ohne Ingeborg allzu viel Beachtung zu schenken. Meine Güte, hast du weit und treffend ausgeholt. Man "lacht" schon ironisch bei den Nachrichten - doch weit besser und aufklärender ist deine verdichtete Form. Manchmal frage ich mich, ob die Herren Politiker, Bänker, Diktatoren, Kriegstreiber und Gottesvertreter nicht nur verkappte Satiriker sind? Wenn ja, dann kann einem nur jenes "Scheißegalgefühl" kommen. Jene haben ihre Berufung verfehlt und die Menschen sind ihnen ausgeliefert. Gekonnt böse, bitterböse - ich wünschte, dein Gedicht wäre einmal ihre Abendlektüre oder gar ihr Nachtgebet. Von Strophe zu Strophe schwankt man. Einmal packt einen die Wut, dann lacht man und landet wie trunken beim "Scheißegalgefühl", weil man weiß, es geht so weiter, weiter und weiter. Wirklich befreit gelacht habe ich beim Herrn der Augenringe und würgte schon beim nächsten Vers. Was besonders auffällt, sind die lyrisch umgesetzten "Tatsachen" in Reim und Doppeldeutung. Ich nenne mal: Pekingente, strahlende Japaner (und das Land des Lächelns), mediterran und altes Rom, Gaddafi und Westerwelle, Thilo und Integration und Frau von den Laien - gekonnt durchdacht und ins Schwarze getroffen. Das mit Ingeborg kann ich zwar verstehen, doch nur wenn es ein "Scheißegalgefühl" bleibt. Dennoch, klasse Satire!!! Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
20.06.2014, 03:41 | #4 |
Kiwifrüchtchen
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Hallo Faldi,
mannomann, ich weiß noch gar nicht, was ich dazu sagen soll, denn eigentlich bin ich sprachlos. Eins steht jedoch fest: Kommentieren MUSS ich zu diesem Gustostück. Ich möchte gar nicht auf die einzelnen Punkte des zeitkritischen Inhalts eingehen, die Du trefflich und mit spitzer Feder skizziert hast. Herausragendes, handwerkliches Können und Top-Qualität Lyrik verleihen diesem Werk den Wow-Faktor. Hier ist ALLES zu einem PERFEKT ausgewogenen GANZen vereint. Weißt Du was? Ich könnte jetzt zu jeder einzelnen Strophe eine Lobeshymne singen und würde dennoch immer wieder was anfügen müssen, denn bei jedem Mal lesen tun sich mir weitere, faszinierende Aspekte auf. Daher begnüge ich mich damit, meine Begeisterung in ein Wort zu zwängen: EXQUISIT. Und Danke für das Leseerlebnis. Kritik habe ich nur daran, dass es in genau der Rubrik steht, in die es am Allerwenigsten hingehört. Ich bin passionierter, treuer Fan der Humorsparte, werde auch immer wieder mit echten Perlen belohnt, aber einen Hochkarätigen hier zu finden, hätt ich nie und nimmer erwartet. Den muss wer hier verloren haben. Glück für mich , ich durfte ihn aufheben und bewundern. HG von Lai
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal |
22.06.2014, 15:40 | #5 |
Lyrische Emotion
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Beiträge: 9.912
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Moin Lailany,
da hast du doch tatsächlich meine alte Ingeborg ausgegraben, mir fehlen die Worte... Und das Schlimme dabei ist, hier gab es schon Kommentare, die ich noch gar nicht beantwortet hatte (Asche auf mein Haupt, hatte ich wohl irgendwie total vergessen). Ja, der Text stammt aus dem Jahre 2011 und das Jahr hatte es wohl in sich. Da geschahen einige Dinge auf dieser schönen Welt, die ich wohl unbedingt verdichtet sehen musste. Ich meine, das könnte man zwar jedes Jahr machen, aber irgendwie hat es mich wohl damals überkommen und so sind diese Zeilen entstanden. Ich freue mich sehr, dass du so begeistert davon bist, denn damit hätte ich ganz bestimmt nicht mehr gerechnet. Tja, warum steht es hier in der "Humorabteilung", obwohl es doch eigentlich bittere Realität war? Ich denke, durch die immer wieder erfolgende Verknüpfung mit "Ingeborg" ist dies eine bitterböse Satire geworden und soweit ich mich erinnern konnte, habe ich überlegt, es hier oder im Stammtisch einzustellen. Den Ausschlag hat dann aber wohl doch letztendlich der "Grinsefaktor" gegeben, so dass ich dieser Rubrik den Vorzug gab. Aber wie schon gesagt, freue und bedanke ich mich bei dir ganz herzlich, dass du das Teil noch einmal aus der Versenkung geholt hast... Liebe Grüße Bis bald Falderwald --------------------------------------------------------- Hallo Stimme, auch wenn du schon lange hier nicht mehr aktiv bist, bedanke ich mich nachträglich noch bei dir für die explizite und zutreffende Analyse des Textes. Warum ich das damals nicht beantwortet habe, weiß ich auch nicht mehr und dafür möchte ich mich entschuldigen... Liebe Dana, auch bei dir muss ich Abbitte leisten, das ist mir irgendwie total durchgegangen. Auch deine Betrachtung ist zutreffend und ich kann dir versprechen, dass es bei Ingeborg lediglich bei einem "Scheißegalgefühl" bleibt. .. . Nachträglich also noch einmal vielen Dank für eure Rückmeldungen... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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