22.06.2014, 08:17 | #1 |
Schüttelgreis
Registriert seit: 02.11.2011
Beiträge: 954
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Aus dem Reich der Toten
Die Sonne schwand. Im fahlen Abendlichte
kam mir der Geist des Lehrers Schlurch entgegen. Die Arme ausgebreitet wie zum Segen sprach er mich an mit lächelndem Gesichte: »Ich kam vorbei und hörte dich Gedichte laut deklamieren auf den Wanderwegen. Das hat dir in der Schule schon gelegen, du reimtest selbst in Mathe und Geschichte. Schon damals knüpften wir uns feste Bande, so dauerhaft, dass ich aus Weltenferne dein Erdenleben heimlich mit dir teile, denn herrlich ist´s bei dir im Schwabenlande. Vom Himmel lächelt mir das Licht der Sterne. Im Jenseits sterb ich fast vor Langeweile.« |
22.06.2014, 11:23 | #2 |
TENEBRAE
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Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi, Fridolin!
Du hast ja doch noch einen reinen Reim auf "Bande" gefunden! - Das muss dich doch beschäftigt haben... Ein sehr schönes Sonett, tadellos, rund, flüssig, sprachlich sauber, inhaltlich beschwingt bis verschmitzt - ein absoluter Höhepunkt deiner Schlurchgedichte! Von wegen kein Sonetttalent - du wirst immer besser! Talent hast du jedenfalls in Massen! Du entscheidest, worauf du es anwenden willst... Sehr gern gelesen und nix zu meckern gefunden! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
22.06.2014, 12:22 | #3 |
ADäquat
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Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.004
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Hallo Fridolin,
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. © auf alle meine Texte
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22.06.2014, 21:25 | #4 |
Gast
Beiträge: n/a
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Hallo Fridolin:)
Mit einem Schmunzeln im Gesicht sitze ich hier. Lehrer Schlurch findet auch noch den Weg als Geist zu dem ehemaligen Schüler
Ich bin kein Sonettexperte, dennoch kann ich Dir sagen, das sich das Gedicht flüssig liest, gut nachvollziehbar ist und Spaß macht. Sehr gerne gelesen sy |
23.06.2014, 09:31 | #5 | |
Schüttelgreis
Registriert seit: 02.11.2011
Beiträge: 954
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Zitat:
stimmt, der unreine Reim auf "Bande" hat mich beschäftigt, aber nicht in diesem Gedicht, sondern beim Sonett "Mein Patenonkel", das hast du verwechselt. Aber der "Patenonkel" ist jetzt auch nicht mehr "unrein". Übrigens: Dass du mein Sonett lobst und nichts zu meckern hast, freut mich sehr. Allerdings verdanke ich dir dazu - wie bei vielen anderen Gedichten auch - wertvolle Anregungen, die du mir zu dem Sonett bei den Lyrikern gegeben hast. Das ist aber schon eine Weile her. Herzlichen Dank für dein Schulterklopfen. Hi chavali, mein Fokus liegt zurzeit neben "Schütteldingern" vor allem auf der Gedichtform "Sonett", mit der ich mich im Urlaub intensiv beschäftigt habe. Nach Anregung von Falderwald habe ich mir Literatur über Sonette beschafft und muss sagen, das ist Meterware, was es da so gibt. Hi syranie, Professsor Schlurch, mein Lehrer und Mentor, ist mir über den Tod hinaus verbunden. Ich habe schon viele Gedichte über ihn geschrieben und er ist oft bei mir in Gedanken zu Gast. Schon in jungen Jahren hat er mir von einer seltsamen Gepflogenheit Goethes berichtet, die er vom großen Meister übernommen habe und mir auch empfehle. Im dreizehnten Buch von "Dichtung und Wahrheit" schreibt Goethe darüber, von sich in der dritten Person: "Er war dahingekommen", schreibt Goethe, "zweistimmig denken zu können: Wenn er eine wichtige Frage vor sich hatte, so lud er, aber nur in Gedanken, einen Bekannten zu sich und besprach mit ihm die Sache so, als ob er leibhaftig zugegen wäre. Solche Übungen, Selbstgespräche umzuwandeln in Zwiegespräche, kamen seinem dramatischen Schaffen gar sehr zugute." So mache ich es seit Langem auch, nur dass es bei mir keine lebenden Personen sind, sondern eben mein Professor ist. Mein Gedicht ist während eines Therapieurlaubs auf der Schwäbischen Alb entstanden, wo mir Professor Schlurch auf meinen Wanderwegen "begegnete". Ich hatte mich damals auf einen Vortrag mit Gedichten von Eduard Mörike vorbereitet, die ich während meiner Wanderung memorierte. Das hat eine Bekannte, die mich in einem Park deklamieren hörte, veranlasst, meine Frau zu fragen, ob bei mir noch alles in Ordnung sei. Meine Frau meinte dann schmunzelnd, er sieht noch keinen weißen Hasen, eine Anspielung auf ein vor langer Zeit sehr bekanntes Theaterstück "Mein Freund Harvey". Herzlichen Dank und liebe Grüße Fridolin |
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24.06.2014, 16:45 | #6 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Ort: Im hohen Norden
Beiträge: 431
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Hallo Fridolin,
auch mir gefällt dein Sonett ausgenommen gut. Es besitz Wortwitz und die Ausführung ist erstklassig. Den Höhepunkt aber setzt der überaus zweideutige Abschluss, der mich jetzt noch lachen lässt: Im Jenseits sterb ich fast vor Langeweile. Das ist einfach köstlich. Bis jetzt wusste ich nämlich noch nicht, dass man auch dort noch versterben kann. Fein gemacht. Herzliche Inselgrüße Narvik
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Nur der fröhliche Mensch allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu finden. (Kant) |
26.06.2014, 17:03 | #7 |
Kiwifrüchtchen
Registriert seit: 23.05.2009
Ort: nördlich von Auckland/Neuseeland
Beiträge: 945
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Lieber Fridolin,
ganz große Klasse, Dein Sonett. Und zu meiner Freude erzählt es vom Prof. Schlurch. Über den lese ich besonders gern. Auch mir gefällt der feine Wortwitz und die gelungen gesetzte Pointe. Sehr schön ausgewogen alles. Toll gebastelt. Gern gelesen und besenft. LG von Lai
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal |
26.06.2014, 18:56 | #8 |
Slawische Seele
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Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 5.637
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Hallo Fridolin,
in einem wunderbaren Sonett zeigst du auf, was einen guten Lehrer ausmacht. Seine Schüler danken es ihm und vertreiben ihm selbst im Totenreich die Langeweile - zum Vergnügen und Lesegenuss der Lebenden. Was mir nicht minder imponiert hat, ist die Antwort an Chavali - einmal der Herr Goethe und die Anmerkung zum Deklamieren im Park. Ich deklamiere zwar nicht im Park, aber ich denke mir Personen auf langen einsamen Spaziergängen aus, mit denen ich unsagbar interessante Gespräche führe. Es geht darin manchmal richtig heftig zu. Einmal, in der Feldmark, klärte ich mit einem Pastor die Glaubensfrage. Es ging richtig hin und her. Irgendwann war mir, als wäre da noch jemand. Ein Mann mit Hund!! Er gestand mir, dass er sich nicht getraut hat, mich zu überholen, er wollte nicht stören. Zuerst wäre ich vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Doch gerade "Wunder" habe ich in dem Gespräch bestritten. Ich gestand ihm einfach "die Macke" und weißt du, was er geantwortet hat: "Ich danke ihnen, sie sind darin nicht allein." Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
03.07.2014, 20:20 | #9 |
Lyrische Emotion
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.912
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Moin Fridolin,
so wie du die Schüttelkunst beherrschst, beherrschst du auch inzwischen die Sonettkunst, denn das ist wieder einmal ein fantastisches Teil aus deiner Feder. Wenn ich mich recht entsinne, dann ist der "Lehrer Schlurch" eine von dir erfundene fiktive Person und du hast ihn schon öfter verwendet. Schön, dass ihr auch nach dessen Ableben noch Kontakt miteinander pflegt und zusammen Freude an der Dichtung habt. Kannst du ihn bitte mal fragen, warum es "da oben" so langweilig ist? Gibt's da etwa kein Papier und keine Feder? Das fände ich äußerst bedauerlich, denn es wäre dann ja sozusagen eine kleine Dichterhölle im Jenseits. Wie auch immer, der herr lehrer Schlurch wusste ja für Abhilfe zu sorgen. Das hat mir gut gefallen und ich habe es gerne gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
05.07.2014, 12:55 | #10 | |
Schüttelgreis
Registriert seit: 02.11.2011
Beiträge: 954
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Zitat:
vielen Dank auch für dein großes Lob und dass ich deine „Macke“ kennenlernen durfte. Ich denke, wir sind damit nicht allein. Hi Falderwald, dein Vertrauen in meine Sonettierfähigkeit ehrt mich, und ich glaube auch, dass ich mich auf diesem Gebiet schon verbessern konnte. Allerdings befasse ich mich auch mit dieser Gedichtform mehr als ich anfangs wollte, wahrscheinlich deshalb, weil sie über die Jahrhunderte Dichter in aller Welt faszinierte. Ich habe mir einige Standardwerke über die Sonettdichtung beschafft und staune über die Vielfalt auf diesem Gebiet. Besonders interessant fand ich den Hinweis auf eine Sonettform, bei der die Verse von vorn und von hinten gelesen werden können (sonettus retrogradus). Damit das funktioniert, reimen nicht nur die Worte am Ende der Zeile, sondern auch am Anfang: Molti coltivan persona possente. Donando acquista l'uomo sempre amici. Gradando spesso si trovan felici; Tolti e sgraditi cadono perdente. Perdente cadono sgraditi e tolti Felici trovansi spesso gradando. Amici sempre l'uomo acquista donando. Possente persona coltivan molti. Zitat aus Walter Mönch "Das Sonett, Gestalt und Geschichte", F.H. Kerle-Verlag Heidelberg, 1955, S. 25-26. Geändert von Friedhelm Götz (05.07.2014 um 13:02 Uhr) |
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