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Alt 07.01.2013, 16:06   #1
Walther
Gelegenheitsdichter
 
Registriert seit: 09.11.2009
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Standard Eine Krise kommt selten allein

Frank W. – Eine Krise kommt selten allein

Eine Episode*


Die Messe ist ein voller Erfolg gewesen. Das Schulterklopfen danach nimmt jedoch Formen an, die Frank W. richtig unangenehm werden. Die Auftragsbücher platzen aus allen Nähten, soviel ist auf dem Stand noch nie geschrieben worden. In der Firma steht er im Licht, das den Siegern vorbehalten ist. Der Neid wie der Beifall der Kollegen sind ihm sicher.

Zuhause wird das gar nicht so gesehen. Das Gegenteil trifft es besser: Dicke Luft ist eine vornehme Beschreibung der Stimmungslage. Hänschen ist inzwischen schon total hibbelig, weil sich seine Eltern andauernd zoffen.

Zu allem Übel sind seit einiger Zeit in der Firma dazu noch sich verdichtende Gerüchte im Umlauf, dass die Firma verkauft werden soll. Die Eigner wollen wohl die glänzenden Geschäfte und die tollen Zahlen nutzen, um Kasse zu machen. Frank W. hat zunehmend Sorgen um seinen Arbeitsplatz. Er weiß sowieso nicht, wo ihm der Kopf steht und zu welchem Loch er hinaus soll. Die Gegenpole, die zugleich von Himmel-hoch-Jauchzend bis Zu-Tode-betrübt sich aufspannen, wollen ihn regelrecht zerreißen.

Als er diesen Morgen in die Firma kommt, wird er zum Vorsitzenden der Geschäftsführung beordert, der ihm lapidar mitteilt, dass der Vertriebs- und Marketinggeschäftsführer mit sofortiger Wirkung und im gegenseitigen Einvernehmen das Unternehmen verlassen hat. „Für den Übergang“, bescheidet dieser ihn, „übernehmen Sie seine Aufgaben.“

Frank W. ist selten sprachlos. Bevor er anheben kann, seine Bedenken zu äußern und auf seine Lage hinzuweisen, kommt seitens des obersten Chefs die abschließende Bemerkung: „Herr W., Sie machen das schon. Und, wer weiß, vielleicht werden Sie ja mit dieser Rolle betraut. Die Verhandlungen mit einem Investor stehen kurz vor dem Abschluss. Werten Sie das als Ihre Chance. Ich werde Sie die Tage den neuen Eigentümern vorstellen und Sie empfehlen.“

Der Chef steht auf und begleitet ihn zur Tür. „Wir sprechen uns in Kürze. Die Sitzung der Vertriebs- und Marketingleitung habe ich um 10 Uhr einberufen lassen. Sie teilen das den Kollegen mündlich mit, ich habe bereits per Email die Sachlage grob bekannt gemacht.“

Frank W. bekommt ein „In Ordnung, wird gemacht!“ zustande, als er zur Tür hinausbugsiert wird. Er steht einen Augenblick wie angewurzelt im Vorzimmer. Die Assistentin lächelt ihn verständnisinnig an. Ihr „Ein Bisschen viel auf einmal, Herr W., nicht wahr?“ bringt ihn in die raue Wirklichkeit zurück und entlockt ihm: „So muss man das wohl sehen! Bis dann, ich mache mich mal ans Werk!“

„Denken Sie an die nächste GL-Sitzung? Gut, dann schicke ich Ihnen den Termin. Sie finden ihn in Ihrer Inbox.“ Mit einem „Schönen Tag noch!“ macht er sich seinerseits auf den Weg, die Erwiderung des Grußes gar nicht erst abwartend, ein Verfahren, dass ihm, der gerne höflich und zuvorkommend ist, so gar nicht auf den Leib passt.

„Jetzt ist es also raus“, murmelt er auf dem Gang vor sich hin, „jetzt ist es endgültig raus. Hatte ich es doch geahnt. Auch das noch. Bleibt mir denn nichts erspart, warum bleibt mir das nicht erspart, warum um aller Himmels Willen muss das jetzt, gerade jetzt, auch noch sein?“ Ihn überfällt kurz eine abgrundtiefe Verzweiflung, und er weiß nicht, wie er sein Team auf die neue Situation einstellen soll. Noch weniger weiß er, was er zuhause sagen soll. Das Gespräch am heutigen Abend würde alles andere unwichtig machen, der Knoten in seinem Bauch, die Revolte seines Parasympathikus zeigte ihm an, wo aktuell die wirkliche Gefahr drohte.

Der weitere Tag würde später in einem Nebel erscheinen. Frank W. befindet sich im Modus „Autopilot“ und erledigt die anstehenden Aufgaben faktisch „maschinell“. Nicht einmal zum Mittagessen kommt er, und er, der passionierte Kaffee- und Wassertrinker, lässt zweimal seinen Kaffee erkalten, ohne mehr als einen Schluck abzutrinken. Gegen 16 Uhr überfallen ihn wahnsinnige Stresskopfschmerzen, die er ganz wesentlich seiner mangelnden Flüssigkeitszufuhr zu verdanken hat, wenigstens das Schmerzniveau als solches.

Er trinkt fast einen Liter Wasser, und ca. 15 Minuten später ist der Druck im Kopf insoweit gewichen, dass er wieder klar denken kann. Da ruft schon seine Assistentin: „Hallo, Herr W., ich habe Herrn Münster in der Leitung, geht’s gerade?“

„Geben Sie ihn rein, ist ja nett, dass er sich nochmal persönlich meldet!“ ruft er leicht angefressen sarkastisch zurück, und schon klingelt sein Telefon. Er nimmt ab und sagt grußlos: Moment, ich muss kurz die Tür zu machen.“ Er legt den Hörer ab, steht auf und schließt seine Zimmertür und geht gemessenen Schritts zurück an seinen Platz. Dort nimmt er den Hörer auf und sagt kühl: „Grüß Gott, schön, dass Sie wenigstens anrufen.“

„Sagen Sie nichts“, kommt der Konter, „ ich wusste gestern Morgen auch noch nichts von meinem Glück, ums einmal flapsig zu formulieren. Ich komme also morgens rein, und da steht schon der Oberchef mit der Entlassung vor der Tür. Ein Superpaket, das man mir unterbreitet hat, ich konnte da nicht ablehnen, und verhindern hätte ich’s auch nicht, die Haus-Security stand im Vorzimmer. So was ist mir bisher noch nicht untergekommen, da rollt etwas auf Sie zu, mein lieber Herr Schieber, die machen einen Radikalschnitt, also stellen Sie sich und Ihr Team auf das Schlimmste ein.“

„Wussten Sie eigentlich vom Verkauf?“, fragt Frank W. knapp. „Naja, ich wusste, dass die Eigner das ventilieren, aus der Familie will’s ja keiner machen. Aber man hat mich gezielt ausgeschlossen, und, als die Sache Formen annahm, wurde ich kurzerhand zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Hauptverhandlungen liefen um Ostern herum, als ich im Urlaub war und der Gattin samt Familie in die Hand versprechen musste, das Geschäft Geschäft sein zu lassen. Sie kennen das ja selbst. Bei mir war es auch kurz vor dem Meutern der Schiffbesatzung. Das hat man ausgenutzt, man kannte meine Ansichten.“

„Und jetzt?“ sagt Frank W. in die kurze Pause, die entstanden war. „Jetzt habe ich sehr viel Zeit!“ hört er die zynische Antwort, in der Trauer eine Spur echter Trauer mitschwingt, die nur der heraushört, der ihn kennt, wie er ihn kennt. „Die Abfindung ist mehr als generös, und ich habe kein Berufsverbot. Die Branche steht Schlange, an den Telefonen hängen die üblichen Verdächtigen aus der Kopfjägerbranche. Es gibt bereits zwei, drei reizvolle Angebote. Ich rufe Sie an, wenn sich etwas materialisiert und hole Sie rüber, wenn Sie wollen.“

„Danke für das Angebot. Ich höre Ihnen gerne zu, wenn Sie untergekommen sind. Viel Erfolg und grüßen Sie die Familie.“ sagt Frank W. „Ebenfalls, ebenfalls. Machen Sie’s gut!“ Ein Klick, und das ist es dann auch gewesen. Fünfzehn lange Jahre. Kaum zu glauben, dass das schon so lange zurückliegt! denkt er und schüttelt den Kopf.

Er räumt seine Papierhaufen zusammen, macht klar Schiff auf der Schreibtischplatte, fährt seinen Laptop runter und schreibt sich seine Checkliste für morgen. „Ich gehe heute früher, muss noch etwas erledigen,“ ruft er seiner Assistentin zu, als er, den Koffer mit dem Laptop in der Hand, durch die Tür hinaus zum Ausgang geht. „Schönen Abend!“ hört er sie noch rufen, was er mit einem „Ihnen auch, und bis morgen!“ kommentiert.

Im Auto angekommen schleicht sich das Gefühl eines Lamms, das zur Schlachtbank geführt wird, erst in seinen Bauch und dann bis an den Hals hinauf. Er fährt noch kurz einen Blumenstrauß einkaufen, obwohl in ihm sich die Gewissheit breitmacht, dass das wahrscheinlich vergebliche Liebesmüh sein dürfte. Die Gewitterwolken hatten sich in den letzten Tagen so verdichtet, dass der Ausgang des heutigen Gespräches der Eheleute W. kein guter sein würde. Vielleicht würde er eine letzte Nachfrist bekommen. Aber auch das war eher unwahrscheinlich.

Als er ankommt, wartet eine äußerst ernste Edith bereits ausgehfertig. Sie hatte darauf bestanden, dieses Gespräch auf neutralem Grund zu führen. Hänschen war bei den Schwiegereltern über Nacht.


Er überreicht ihr die Blumen, die er mit der Floristin akribisch zusammengestellt hat. Sie legt sie auf den Küchentisch und stellt sie, ohne das Papier zu entfernen, in eine gefüllte Vase. Dann schaut sie ihn reserviert an und sagt kühl nur ein „Gehen wir?“.

* Abschnitt aus einem größeren Prosatext
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Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt

Geändert von Walther (12.01.2013 um 19:07 Uhr)
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Alt 25.01.2013, 18:06   #2
Christian Wolf
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Ort: Deutschland
Beiträge: 149
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Würde zu gerne den Ausgang der Geschichte wissen

LG, Chris
Christian Wolf ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.01.2013, 18:28   #3
Walther
Gelegenheitsdichter
 
Registriert seit: 09.11.2009
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Beiträge: 3.210
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hi christian,

danke fürs reinlesen. die episode davor ist hier zu finden: http://www.gedichte-eiland.de/showthread.php?t=10238, die danach hier: http://www.gedichte-eiland.de/showthread.php?t=10320

gerade bastele ich an einer weiteren fortsetzung, die in der kommenden woche folgen wird.

lg w.
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