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Alt 15.08.2016, 09:26   #1
Kokochanel
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Standard Am Frachthafen

Am Frachthafen

Verstohlen senkt die Nacht sich auf die stille Mole,
die Kähne sind gelöscht und wiegen Lieder
an schweren Ketten kaiwärts auf und nieder
und auf der Saling singt die schwarze Dohle.

So lastenfrei verträumen sie die Stunden,
doch morgen wird man sie erneut beladen.
Der neue Tag kommt seicht in Nebelschwaden
und Kräne drehen lieblos ihre Runden.

Und wieder werden sie die Lasten tragen,
die Gischt wird ihre Wunden lautlos kühlen,
auf Fahrt im offnen Meer den Rost verspülen.

Soll so ein alter Frachter das noch wagen?
So gern hätt er den Tag im Blau verschlafen,
derweil die Ketten seine Hoffnung Lügen strafen.


PS. 1. und letzte Zeile haben 6 Hebungen, das soll stilistisch so sein.

Geändert von Kokochanel (26.10.2016 um 14:16 Uhr)
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Alt 15.08.2016, 10:05   #2
Erich Kykal
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Hi Koko!

Ein schönes Stimmungssonett, das fast besser nach "Beschreibungen" gepasst hätte.

Mir stand gleich ein alter romantischer Stückguthafen aus der Nachkriegszeit vor Augen, ohne die modernen Containerwüsten ...


Soll so ein alter Frachter das noch wagen?
So gern hätt er den Tag im Blau verschlafen,
derweil die Ketten seine Hoffnung Lügen strafen.


Die Conclusio verstehe ich nicht ganz. Welche Ketten sind gemeint?

Wäre es die Ankerketten, würden sie die Hoffnung des alten Frachters auf ein Verdümpeln im Blau ja nicht Lügen strafen, sondern unterstützen.

Es sei denn, du meist, sie werden gerade hochgezogen - das müsste dann aber im Text als Aktion verankert werden, damit man sich das richtige Bild macht. So wie es jetzt da steht, habe ich einfach nur an die im Wasser hängenden Ketten gedacht. Der rumpelnde Akt des Einholens kam mir erst nach längerer Überlegung in den Sinn, weil eben sonst nichts Sinn macht.

Nebenbei sei erwähnt, dass Schiffe, die an Molen vertäut liegen, ihre Anker grundsätzlich oben lassen, und vertäut sind sie, wie der Name schon sagt, mit Tauen, nicht mit Ketten.

Oder soll das "Blau" bedeuten, dass die offene See damit gemeint ist? Dann würde das "verschlafen" absolut nicht dazupassen, denn ein fahrender Frachter im offenen Ozean sollte als Personifikation ebenso wenig dabei schlafen wie in echt ein Kapitän auf der Brücke! Da stimmt einfach der Eindruck des Bildes nicht.

Die dritte Möglichkeit beinhaltet, dass der alte Frachter grundsätzlich kein Teil der eingangs erwähnten Kähne ist, sondern fix im Hafen liegt, zu alt für wilde Brecher. Das kommt im Text aber nirgends heraus ...


Sehr gern gelesen!

LG, eKy
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Alt 15.08.2016, 10:36   #3
Kokochanel
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Guten Morgen, Erich,

mir ist der alte Frachter hier ein Symbol für den Menschen. Also eigentlich ein Symbolgedicht.
Es ginge ihm im Meer ( Blau)- Freiheit nicht darum, Fahrt aufzunehmen, sondern einfach auf den Wellen zu dümpeln, ziellos, frachtlos, ohne die Lasten tragen zu müssen, die ihm andere auferlegen. Und ohne die Ketten, die ihn bestimmen und ihn zwingen, im Hafen zu bleiben.
Mag sein, dass man die großen Frachter nicht an Molen legt. Oder es nicht so nennt. Ich kenn nur die kleineren Häfen, dort habe ich es schon gesehen und auch Ketten anstatt Taue.
Die Ketten passten besser zum Menschen, der hier eigentlich gemeint ist, ich könnte es aber durchaus auf Taue ändern.
Mal sehen, was die echten Seemänner von der Küste hierzu zu sagen haben.
Dir vorerst einmal ein herzliches Danke und Grüße von Koko
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Alt 17.08.2016, 09:42   #4
Wodziwob
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Hallo Kokochanel,

Ein schönes und stimmungsvolles Bild. Früher, als das Wort Umweltschutz noch nicht erschaffen war, ließen sie die abgetakelten Frachtkähne die Donau entlang einfach irgendwo im Schilf der Ufer Auen liegen, wo sie vergessen vor sich hin rosteten. Nicht ganz ungefährliche Spielplätze, voller Ölschmiere und scharfer Stahlkanten.

Die aus Steinen ins Wasser gezogenen Wellenbrecher verhinderten die ans Ufer klatschende Brandung ihrer lautstark tuckernden Fahrt nur geringfügig, die Wogen konnten dich ohne Weiteres in den Fluss reißen, wenn du nicht schnell genug warst. Machten wir natürlich ein Abenteuerspiel draus, naja...

Und die Kohlensackträger im Hafen, das waren rußige Riesen. Russen und massige Kerle aus allen Völkern, die es die Donau entlang so gibt. Regelrecht furchteinflößende Burschen. Und sehr trinkfest ganz nebenbei.

Steinerne und stählerne Molen, Polder was immer und Ketten, massive Ketten, mit Tauen festgemacht hättest du ebenso gut Bindfäden nehmen können, die Kähne waren bis auf ein paar Zentimeter an den Rand der Bordwand beladen bis zum Überschwappen.

Leben am Fluss, ist zwar kein Meer, aber die Möwenschwärme kamen von diesem und erzählten recht eifrig davon.

Liebe Grüße
Wodziwob

Geändert von Wodziwob (17.08.2016 um 13:31 Uhr) Grund: unwesentlich
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Alt 18.08.2016, 17:10   #5
Kokochanel
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Guten Abend, Wodziwob,

es freut mich, dass dieses Werk dich daran erinnert hat. So in die Richtung geht die Aussage ja auch.
Hab Dank für deine Meinung. Grüße von Koko
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Alt 25.10.2016, 10:57   #6
juli
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Liebe Koko,

Dieses Gedicht spricht mich an.

Es erinnert mich an den Hamburger Hafen, an die Geschäftigkeit und an die Ferne. Die Schiffe bereisen ja andere Kontinente, sie „sehen“ viel. Dein Fokus liegt auf einem alten Frachter. Man könnte ihn auch mit einem Menschen gleichsetzen, der müde ist, und den die Hoffnung verlässt.

Auch gefällt mir die dichte Atmosphäre des Hafens, ich könnte mir auch dieses Sonett nur bei „ Beschreibungen“ vorstellen. Das die letzte Zeile 6 Heber hat, gefällt mir ( ich bin da eher ein Bauchdichter ).

Das ist ein schönes Gedicht!

Sehr gerne gelesen

Liebe Grüße sy

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Alt 26.10.2016, 08:09   #7
Thomas
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Liebe Koko,

eine schöne Metapher, wirkungsvoll vorgetragen.

Du sagst im P.S.:"1. und letzte Zeile haben 6 Hebungen, das soll stilistisch so sein." Welche stilistischen Gründe dafür sprechen, verstehe ich nicht. Vielleicht kannst du mir einen Hinweis geben.

Vor allem verstehe ich nicht, warum das nicht nur für die 1. und letzt Zeile gilt, sondern auch die 4. Zeile 6 Hebungen hat.

Ich würde statt:
"und auf der Kiefer singt verlassen eine Dohle."
sagen
"im Mastbaum singt verlassen eine Dohle."
auch weil die Kiefer nicht zwingend in das Bild eines Frachthafens passt.

Liebe Grüße
Thomas
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Thomas ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.10.2016, 10:06   #8
Kokochanel
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Guten Morgen, liebe Syri und Thomas,

danke,Syri, für deine netten Zeilen. ja, die Hafenatmosphäre hat was. Sie macht mich immer melancholisch und im Grunde ist es ein Symbolgedicht für einen alten Menschen.

danke für den Tipp mit dem "Mastbaum, lieber Thomas. Die Idee ist gut, aber Mastbaum kann man sicherlich nicht schreiben.
Da ich nicht so segeltauglich bin, denke ich eher an dieses Körbchen, was da oben am Mast hängt oder die Spitze des Mastes.
Weiß jemand, wie das im Fachjargon heißt??
Nordlichter, bitte melden GGG
Wenn ich den Fachausdruck hätte, dann wäre das sicherlich noch besser als die Kiefer.

Die 1. und letzte Zeile habe ich stilistisch als 6 er gemacht um einen ruhigeren Ein-und Abgang zu schaffen.
Die 4. Zeile ist mir failliert, habe ich bisher nicht gesehen, dass es 6 Heber sind... dumm guck...
Mal sehen, mit dem Fachausdruck fürs Körbchen kriege ich da dann auch einen 5 er hin.
LG an alle von Koko
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Alt 26.10.2016, 11:36   #9
Thomas
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Liebe Koko,

die Dohle hat bestimmt auf einem Ast der Kiefer gesessen. Der Mastbaum entspricht in der Takelage genau einem solchen Ast. Aber vielleicht ist es ja ein Dohlenweibchen mit Vorliebe für nette kleine Körbchen.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 26.10.2016, 14:13   #10
Kokochanel
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mag sein, Thomas
Der Tipp aber, die Kiefer zu ersetzen, war nicht schlecht.
ich habe etwas recherchiert und bin bei den modernen Schiffen auf die "Saling" gestoßen, das sind die Seitwärtstrebungen, die der Mast zum Segel spannen braucht.
Ich hatte da wohl mit dem Körbchen eher " Fluch der Karibik" vorm gedanklichen Auge GGGG

Auch sind Segelschiffe als Frachtschiffe heute wohl eher selten, aber ich denke, in dem Hafen , an den ich denke, ein kleinerer am Jadebusen, da geht es noch durch. Krabben sind ja auch irgendwie Fracht...

Hab es oben schon geändert
Schmunzeln von Koko
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