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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 02.04.2017, 11:00   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Selbstavatare

Wie Tropfen treiben wir im Meer der Mienen,
das uns umflutet in der großen Stadt,
der lauten Welt, die keine Bremsen hat,
nur eilende Gestalten, die ihr dienen.

In ihrem Lauf erinnern sie an Bienen:
Bewegte Puppen - wesenlos und matt
erscheinen sie: fast wie an Menschen statt
sich hier berührend, nur bedient von ihnen.

Wie ferngesteuert aus versperrten Räumen,
darein kein Licht und kein Empfinden fällt,
wo sieche Seelen in verseuchten Träumen

sich selbstbedauernd fragen, wer sie leitet:
Wer lustlos ihre Fernbedienung hält,
bis sie dem ungeschaffnen Gott entgleitet.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (04.04.2017 um 17:47 Uhr)
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Alt 03.04.2017, 09:48   #2
juli
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Lieber Erich,

Du nimmst hier die Fantasyspieler und Menschen auf das Korn, die ihr Erleben im Avatar suchen und finden. Die Scheinwelten verschwimmen mit der Realität und die Fernbedienung wird zum 6 Sinn. Die Avatare treffen sich in Welten, die ihrer Lust nahe ist. Es ist ein Spiel um das eigenen Selbst, ein Versinken in den Fluten. Dabei werden dem Menschen die fehlenden Kräfte zugeschrieben. Man( n) oder Frau kann so sein, wie sie es sich wünscht. Endlich mal ein Held, endlich mal den Feind zerschossen, endlich mal als Gärtnerin eine Tomate großgezogen, oder einen Sims mit Leben erfüllt ( so es gerade paßt).

Es können Urgelüsste befriedigt werden und die Assimliationsgefahr ans Netz und die Scheinwelten sind groß. Manche kommen aus dem Sichvernebeln und den echten Lebenszeitfressern nicht mehr raus....

Sehr gerne gelesen, weil es ein Thema unserer Welt ist, die immer mehr und mehr vernetzt wird.

....so sitze ich hier in der Sonne und tippe für dich....

Liebe Grüße sy


Geändert von juli (03.04.2017 um 17:43 Uhr)
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Alt 03.04.2017, 16:48   #3
Erich Kykal
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Hi Sy!

Das Gedicht bezieht sich auf die "gesichtslose Menge", die Masse der Fremden, unter denen man Fremder ist, die gleichgültigen, unbewegten Mienen der Passanten. "Unter vielen allein" könnte man auch sagen, aber zum Teil ist die Gesellschaft an sich konturloser, anonymer, gleichgültiger geworden. "Geht mich nichts an!" oder "Bloß nicht einmischen!" oder "Könnte eine Falle sein!" oder "Ich will keine Schwierigkeiten!" oder "Igitt! Ich will den nicht anfassen!" sagt sich mancher, der an einem Kollabierten vorbeigeht, der vielleicht ohne seine Hilfe stirbt - mitten in der City, am hellichten Tag!

Avatare bezeichnen heute "Platzhalter" für das eigene Ich, die eigene Persona im Internet, wenn man anonym bleiben möchte, aus welchen Gründen auch immer. Die Unpersönlichkeit, die hohle Fassade dieser Maskierung erinnert an/ist übertragbar auf diese gleichgültige Menge: sie alle tragen irgendwie Masken, als seien sie gar nicht bei sich, sondern würden nur gefühlslose Puppen fernsteuern, entweder von daheim oder als Passagiere im eigenen Körper - sie verhalten sich, als ginge die reale Welt sie gar nicht (mehr) an!

Mittlerweile soll es Menschen geben, die ernstlich glauben, ihr "wahres Leben" finde in der Cyberwelt statt und nicht in der Wirklichkeit, bzw. ihre Avatare im Netz sind ihnen wirklicher als das, was sie in der Realität darstellen.
Überträgt man das Bild der "vorgespiegelten Persona" auf diese Wirklichkeit, erscheinen die meisten Passanten in den Großstädten eben auch wie Puppen, unpersönliche Hüllen, die so tun, als ginge das Leben um sie sie gar nichts an, als durcheilten sie es nur, weil sie eben gerade müssten. - Selbstavatare eben, Scheinpersönlichkeiten, Masken im weitesten Sinne ...

Man kann sich auch fragen, ob die in S1 erwähnte "Stadt" eine echte ist oder eine im Cyberspace, ob du in der "echten Realität" spazieren gehst oder durch ein computergenerieres Scheinbild wandelst, den eigenen Avatar fernsteuernd - die Grenzen verschwimmen mehr und mehr ...
Spieler in Computerspielwelten erkennen die Avatare von Mitspielern nach einer Weile im Spiel als wirklich so existente Wesen an - da fragt man sich doch ...

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
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Alt 03.04.2017, 18:11   #4
juli
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Zitat:
Zitat von Erich Kykal Beitrag anzeigen


Das Gedicht bezieht sich auf die "gesichtslose Menge", die Masse der Fremden, unter denen man Fremder ist, die gleichgültigen, unbewegten Mienen der Passanten. "Unter vielen allein" könnte man auch sagen, aber zum Teil ist die Gesellschaft an sich konturloser, anonymer, gleichgültiger geworden. "Geht mich nichts an!" oder "Bloß nicht einmischen!" oder "Könnte eine Falle sein!" oder "Ich will keine Schwierigkeiten!" oder "Igitt! Ich will den nicht anfassen!" sagt sich mancher, der an einem Kollabierten vorbeigeht, der vielleicht ohne seine Hilfe stirbt - mitten in der City, am hellichten Tag!
Hallo Erich,

Das Wort Avatar hat mich auf die falsche Fährte gelockt und ich bin aus dieser Denkschiene nicht mehr rausgekommen. Das Wort ist dominat weil es im Titel steht. Auch die weiteren Worte:Bewege Puppen und Fernbedienung haben mich in die Irre geleitet.


Nach deinem Kommentar ist der Sinn klar.

Vielleicht veränderst du den Titel:

Hier ein paar Schnipsel, die mir einfallen.

"Schwimmen im Meer der Menschen"
" Menschenmassen"
" Sich Treiben lassen"


Auch hast du ja schon viel für mich erklärt:

"Gesichtslose Menge"
"Geht mich nichts an"
"Bloß nicht einmischen"
"Ich will keine Schwierigkeiten"
"Igitt! Ich will den nicht anfassen"

Mit den Avataren als Platzhalter sind wir einer Meinung, voll und ganz.

Liebe Grüße sy

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Alt 04.04.2017, 09:05   #5
Thomas
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Lieber Erich,

vielleicht ist die Sache nicht ganz so schlimm – ich hoffe es jedenfalls. Auch ich glaube zunehmend Egoismus und Teilnahmslosigkeit festzustellen, gepaart mit dem allgegenwärtigen "Betroffenheits-Gelaber". Was der Grund ist, ist mir nicht klar. Und auch ich sehe die neuen digitalen Medien recht kritisch.

Aber die "Fernbedienung" ist doch nichts neues, selbst ohne Elektronik funktionierte sie in jedem Dorf, wenn der Quatsch nachgeplappert wurde, den die "Honoratioren" von sich gaben. Und auch das Verbergen hinter Masken ist nichts Neues und fand/findet ganz ohne digitale Medien tagtäglich statt. Es macht sogar Spaß zu sehen, wie auf verschiedene Masken reagiert wird und die Kunst wäre ohne dieses Maskenspiel nicht möglich.

Kritisch wird es erst, wenn es gar kein Spiel mehr ist, sondern eine Unterscheidung zwischen Maske und realem Charakter nicht mehr möglich ist. Auch dieses Problem ist nicht auf digitale Medien und die modernen Zeiten beschränkt. Wenn ich Bilder der gleichgeschalteten "Heil-Hitler-brüll-Gesichter" sehe, die übrigens Bilder von Demos der Erdowahn-Anhänger furchtbar ähnlich sind, dann sehe ich nicht-digitale "Atavare", um deinen Ausdruck zu verwenden.

Ich will damit nicht sagen, dass das Anliegen deines Gedichtes nicht gerechtfertigt sei, nur leider ist es nicht so neu, und deshalb hoffe ich, dass wir irgendwie damit zurechtzukommen lernen.

Liebe Grüße
Thomas
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© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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Alt 04.04.2017, 12:24   #6
Kokochanel
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obwohl es ein hartes Urteil über die Gesellschaft ist, Erich, stimme ich ihm zu. Ich lese den Titel Selbstavatar als Synonym für "Selbstdarstellung".
Wer steckt hinter dem, der sich präsentiert und wer motiviert und animiert ihn so "gleichgeschaltet" zu sein, dass er überall Zustimmung findet:
in Foren, Vereinen, politischen Zirkeln, Schule, Arbeitsplatz- die Liste ist unendlich.Da sind wir wieder bei meinem Lieblingsthema: Konformismus.

Tipp:
bewegte Puppen könnte man durch Marionetten ersetzen, dann würde sich das bewegt nicht wiederholen.
Zu den Puppen würden natürlich eher Fäden oder Strippen passen, aber ich denke, die Fernbedienung spielt insbesondere auch auf das Internet an, wo es ja noch einmal einfacher ist, sich selbst völlig anders darzustellen in der Anonymität als im wahren Leben.
Zumal das Netz selbst die User ja auch durch Fake-News steuert...
LG von Koko
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Alt 04.04.2017, 14:20   #7
Eisenvorhang
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Ein kurzes Hallo in die Diskussionsrunde!

Das Internet ist meiner Meinung nach mit Destruktivität durchflutet und stellt darüberhinaus eine zweite Realität oder ein zweites Leben für Menschen dar, die gemeinsam einsam sein dürfen.

Ich muss gestehen, dass die Abgrenzung mir auch nicht leicht fällt, da ich vor allem in meinen jüngeren Jahren auch den Drang des Isolationismus verspürte.

Ein Leben ohne Internet ist nicht mehr denkbar und irgendwie muss man Kompromisse eingehen. Um sich Wissen anzueignen ist das Web hervorragend geeignet.

Kontakte sind meist labiler Natur - da halte ich Abstand.

vlg

EV
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Alt 04.04.2017, 17:56   #8
Erich Kykal
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Hi Thomas!

Klar ist das nix Neues - ist die Liebe ja auch nicht, und trotzdem werden nach wie vor jede Menge Gedichte drüber gemacht! Ich bevorzuge eben eine kritischere Thematik.


Hi Koko!

Danke für den Tipp mit der Wiederholung. Ich habe jetzt noch etwas dran rumgebastelt, um manches flüssiger oder klarer zu gestalten.


Hallo Eisenvorhang!

Interessanter Nick - wohnst du nahe der ehemaligen Ostblockgrenze, oder früher mal dahinter? Irgendeinen Bezug scheint es zu geben ...

Ich habe deine ersten Gehversuche hier in Sachen Lyrik durchaus gelesen. Kleine Tipps: Weniger gespreizte Sprache, vermeide das Weglassen von Hilfszeitwörtern, keine Inversionen (verdrehte Satzstellung).
Gleich viele Heber pro Zeile, Auftakte entweder betont oder unbetont, aber nicht mixen.

Wikipedia hilft bei Fachbegriffen, ansonsten einfach viel Lyrik lesen, studieren, analysieren, Erfahrungen sammeln, nachfragen.


LG, eKy
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.04.2017, 18:54   #9
Eisenvorhang
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Hallo Erich,

ob ein Bezug meines Nicks zur Ostblockgrenze besteht ist fraglich, aber durchaus schlüssig.

Fakt ist auf jeden Fall, dass ich ein "Ostdeutscher" bin und die friedliche Revolution eines meiner Interessengebiete darstellt. :-)

Heute erhielt ich alle lyrischen Werke von Rilke, Novalis, Hesse, Gottfried Benn und Morgenstern. Dem Studieren steht also nichts mehr im Wege.

Deine Tipps habe ich zur Kenntnis genommen und werde mich definitiv daran halten beziehungsweise bemüht sein.
Auf Deine Text stieß ich auch bereits und um ehrlich zu sein, weiß ich überhaupt nicht was ich dazu sagen kann.
Außer: Respekt.

In dem Sinne!

Danke eKy.

vlg

EV
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Alt 04.04.2017, 19:31   #10
Kokochanel
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ich finde es runder jetzt. Die Veränderungen sind positiv.
Allein der letzte Satz, in dem plötzlich ein Gott auftaucht...
da die, die manipulieren sich ja selbst zum Gott machen- wie wäre es mit:

bis sie dem selbst ernannten Gott entgleitet?

LG von Koko
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