Liebe Koko,
du sagst: "Ich habe den Eindruck, dass meine Gedichte seit einiger Zeit kryptischer werden… und ich sehe es durchaus als Niveausteigerung." Ich bin mir nicht so sicher, ob diese Schlussfolgerung stimmt und wäre zumindest vorsichtig.
Auch ist deine These "dass ein Leser immer sich selbst ins Werk hineinliest, also von den Prämissen ausgeht, Emotionen, die er kennt" zwar allgemein richtig, aber gerade dieser Umstand erfordert vom guten Dichter, dass es sehr genau weiß, was er mit dem Leser tut, indem er alle Aspekte und Konnotationen seiner verwendeten Worte und Begriffe gut kennt und exakt nutzt. Denn nur so kann er etwas Wesentliches und Neues sagen. Es geht ja nicht darum "Kryptisches" von sich zu geben, sondern das Gesagte ist, wenn es tief und neu ist, für viele Leser leider zwangsläufig "kryptisch", weil diese erst zur diesem Neuen und Tiefen (mit der möglichst präzisen Hilfe des Gedichtes) vordringen müssen. Konkret ausgedrückt: Wenn du das, was du erklärst ausdrücken willst, und dazu (im Titel!) das Wort "Dornröschen" benutzt, und hinterher feststellst, "Dass es da wohl um eine Liebesgeschichte ging, war mir entfallen. Märchen waren nie so mein Ding", muss es dich eigentlich nicht "erstaunen", "dass ausnahmslos alle darin eine irgendwie gescheiterte Liebesbeziehung zu sehen scheinen." Du hast ungewollt, den Leser auf eine falsche, oder unfruchtbare Fährte gesetzt. Dabei hast du meiner Meinung nach Glück gehabt, denn das Gedicht ist trotzdem gut – denke ich, obwohl dir das hinterher kryptisch erscheint.
Liebe Grüße
Thomas