Moin Thomas,
tja, was sagt der Dingo dazu?
Der Dingo von heute kennt ja im Gegensatz zu Schiller die Schriften von Schopenhauer und Darwin, so daß er durchaus etwas distanzierter an die "Sache" rangehen kann.
Zitat:
An dem Leitbande des Instinkts, woran sie noch jetzt das vernunftlose Tier leitet, musste die Vorsehung den Menschen in das Leben einführen und, da seine Vernunft noch unentwickelt war, gleich einer wachsamen Amme hinter ihm stehen. Durch Hunger und Durst zeigte sich ihm das Bedürfnis der Nahrung an, was er zu Befriedigung desselben brauchte, hatte sie in reichlichem Vorrat um ihn herum gelegt, und durch Geruch und Geschmack leitete sie ihn im Wählen…
|
Hier stellt sich die Frage, was Schiller unter "Vorsehung" verstand, denn dieser Begriff bedeutet ja das Vorhandensein einer über der Welt stehenden Macht, die nicht beeinflussbar oder berechnend das Leben der Menschen bestimmt und lenkt. Hier wird also schon das göttliche Dogma vorausgesetzt, denn die Vorsehung benötigt ein vernunftbegabtes Wesen, das sie hat und gleichzeitig von der Welt zu trennen ist.
Der Dingo nimmt die Vorlage aber an und entpersonifiziert die Vorsehung zum (Über)Lebenswillen in der Spezies.
Natürlich bedarf es der Instinkte, auch heute noch, denn sie sind angeborene biologisch zweckmäßige Verhaltensmuster, durch die für das Überleben notwendige grundlegende Handlungsabläufe gesteuert werden. Ohne Instinkte wären Mensch und Tier damit überfordert.
Der "Frühmensch" war noch nicht sonderlich vernunftbegabt, aber er musste einen überaus scharfen Verstand besessen haben, der es ihm ermöglichte, erste Abstraktionen zu entwickeln und hob sich somit von der restlichen Tierwelt ab.
Trotzdem war er weiterhin angewiesen auf Energie, die er in Form von Nahrung zu sich nahm.
Der Geschmacks- und Geruchssinn half ihm durch Erfahrung, für ihn giftige oder ungenießbare Dinge von den brauchbaren zu unterscheiden.
Zitat:
Setzen wir also, die Vorsehung wäre auf dieser Stufe mit ihm stillgestanden, so wäre aus dem Menschen das glücklichste und geistreichste Tier geworden…
|
Das wäre eine Frage, die es zu klären gälte, denn vielleicht wäre der Mensch auch ausgestorben, weil sein schwacher Körper bei Stagnation des Geistes vielen anderen (Raub)Tieren restlos unterlegen gewesen wäre.
Aber gut...
Zitat:
In einer wollüstigen Ruhe hätte er eine ewige Kindheit verlebt - und der Kreis, in welchem er sich bewegt hätte, wäre der kleinstmöglichste gewesen, von der Begierde zum Genuss, vom Genuss zur Ruhe und von der Ruhe wieder zur Begierde. Aber der Mensch war zu ganz etwas Anderem bestimmt,…
|
Er wäre ewig auf der Flucht gewesen und sein Bestand drohte ständig dezimiert zu werden, denn sein schwaches Gebiss, die krallenlosen Hände und die doch eher schwachen zwei Laufbeine machten ihn zu einer leichten Beute einer durchaus feindlichen Umwelt. Aber wie wir wissen, kam alles ganz anders.
Zitat:
Er selbst sollte der Schöpfer seiner Glückseligkeit werden, und nur der Anteil, den er daran hätte, sollte den Grad dieser Glückseligkeit bestimmen. Er sollte den Stand der Unschuld, den er jetzt verlor, wieder aufsuchen lernen durch seine Vernunft und als ein freier vernünftiger Geist dahin zurückkommen, wovon er als Pflanze und als eine Kreatur des Instinkts ausgegangen war; aus einem Paradies der Unwissenheit und Knechtschaft sollte er sich, wär es auch nach späten Jahrtausenden, zu einem Paradies der Erkenntnis und der Freiheit hinaufarbeiten, einem solchen nämlich, wo er dem moralischen Gesetz in seiner Brust ebenso unwandelbar gehorchen würde, als er anfangs dem Instinkt gedient hatte, als die Pflanzen und Tiere diesem noch heute dienen...
|
Dem hat der Dingo nicht viel hinzuzufügen, außer der Anmerkung vielleicht, daß Herr Schiller anscheinend sehr gut mit der Philosophie des Herrn Kant vertraut gewesen sein muss. Der Einfluss aus der Ästhetik in der "Kritik der Urteilskraft" von Kant tritt hier deutlich zum Vorschein.
Die "Unschuld", die der Mensch verlor, ist allerdings eine zwingende Notwendigkeit der Moral. Ohne Moral gibt es nämlich keine Schuld, das ist eine rein menschliche Eigenschaft. Ein Tier, welches lediglich instinktgesteuert handelt, weiß nichts von einer Schuld bei seinen Handllungen.
Der Mensch setzt sich also vom Tier ab.
Zitat:
Wenn wir also jene Stimme Gottes in Eden, die ihm den Baum der Erkenntnis verbot, in eine Stimme seines Instinktes verwandeln, der ihn von diesem Baum zurückzog, so ist sein vermeintlicher Ungehorsam gegen jenes göttliche Gebot nichts anders als - ein Abfall von seinem Instinkte - also erste Äußerung seiner Selbsttätigkeit, erstes Wagestück seiner Vernunft, erster Anfang seines moralischen Daseins. Dieser Abfall des Menschen vom Instinkte, der das moralische Übel zwar in die Schöpfung brachte, aber nur um das moralische Gute darin möglich zu machen, ist ohne Widerspruch die glücklichste und größte Begebenheit in der Menschengeschichte, von diesem Augenblick her schreibt sich seine Freiheit,...
|
Man könnte sagen, die Natur hat alle Relationen in ihrer (auf diesem Planeten) höchsten Schöpfung vereint, indem sie diesem Wesen die Erkenntnis einer Moral gab. Diese war freilich notwendig, um das Tierhafte abzulegen und zu einem möglichst instinktreduzierten Wesen zu gelangen, welches sich anderer Waffen im Kampf um sein Überleben bedienen musste.
Es war für das Überleben zwingend notwendig zusammen zu halten und dafür bedurfte es bestimmter Regeln, sonst hätte dies nicht erfolgreich funktionieren können.
Mit diesen Regeln zu leben war gut (zum Überleben), dagegen zu verstoßen war schlecht.
Schon war ein Konstrukt in der Welt, was es vorher nicht gab.
Die Freiheit bestand darin, sich daran zu halten oder auch nicht, der Mensch konnte es entscheiden (was er je nach Motiv und Charakter auch tat und immer noch tut).
Zitat:
Jetzt war er für das Paradies schon zu edel, und er kannte sich selbst nicht, wenn er im Drang der Not und unter der Last der Sorgen sich in dasselbe zurückwünschte. Ein innerer ungeduldiger Trieb, der erwachte Trieb seiner Selbsttätigkeit, hätte ihn bald in seiner müßigen Glückseligkeit verfolgt und ihm die Freuden verekelt, die er sich nicht selbst geschaffen hatte. Er würde das Paradies in eine Wildnis verwandelt und dann die Wildnis zum Paradies gemacht haben..."
|
Die Frage ist, ob das Paradies wirklich wünschenswert wäre, denn für ein Wesen mit der Erkenntnis von Gut und Böse, Leben und Tod und Zeit und Raum wäre dies mit Sicherheit der langweiligste Ort des ganzen Universums. Zudem gäbe es keine geistige Weiterentwicklung, alles würde stagnieren und wieder in Vergessenheit geraten.
Die Natur würde wieder bewusstlos, denn kein Bewusstsein wäre mehr vorhanden, sie zu erkennen.
Die Welt wäre nicht mehr vorhanden, wenn niemand mehr da wäre, der sie als solche wahrnehmen könnte.
Deswegen bleibt der Dingo lieber in der Wildnis und führt seinen Kampf ums Überleben, ohne auch nur einen Gedanken an das verlorene Paradies zu verschwenden. Die Freiheit seines Geistes ist ihm wichtiger, als die Behaglichkeit einer abstrakten Scheinwelt abseits dieser Welt, die nur im Menschen existiert, um sein metaphysisches Bedürfnis zu befriedigen.
Das Schlusswort aber soll Schopenhauer gehören:
Zitat:
Zitat von Arthur Schopenhauer
Aus der Nacht der Bewußtlosigkeit zum Leben erwacht findet der Wille sich als Individuum in einer end- und grenzenlosen Welt unter zahllosen Individuen, alle sterbend, leidend, irrend; und wie durch einen bangen Traum eilt er zurück zur alten Bewußtlosigkeit.
|
Liebe Grüße
Bis bald
Falderwald