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Alt 16.08.2014, 11:30   #1
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Moin Thomas,

nur als kleiner Hinweis: Das ist Claudis Faden

Und mir drängt sich der Eindruck auf, du hast auch meine Ausführungen nicht richtig gelesen bzw. interpretiert:

Zitat:
Zitat von Thomas
Das Lyrisch Ich ist eine leere Begriffs-Maske, die beim Reden über Poesie wie ein Symbol benutzt wird. Da Poesie auf Metaphern und nicht auf Symbolen beruht, ist dieser Begriff überflüssig.
Das ist nicht richtig:

Zitat:
Zitat von Bücher-Wiki
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war in der Lyrik das Erlebnis- und Rollengedicht vorherrschend, in dem „echte“ Erlebnisse und Begebenheiten gestaltet wurden. Die zeitgenössischen Leser sind in den meisten Fällen davon ausgegangen, dass der Autor das Geschilderte wirklich erlebt hat. In diesem Zusammenhang spricht man von der biographischen Lesart von Literatur. Mit der von Frankreich ausgehenden literarischen Strömung des Symbolismus kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem tiefgreifenden Wandel in der Lyrik. Das „echte“ Erlebnis trat in den Hintergrund und wurde abgelöst und von einem kunstvollen und rhythmischen Arrangement von Bildern, Lauten, Tönen und Stimmungen.

So wurde das späte 19. Jahrhundert zur Geburtsstunde der modernen Lyrik, die vor allem durch die sprachlich-gedankliche Konstruiertheit des Ich gekennzeichnet ist. Dieser gattungsgeschichtliche Wandel, als dessen Hauptmerkmal die Abwendung von der rein biographischen Lesart von Literatur gilt, machte die Einführung des Begriffs des lyrischen Ich notwendig. Der Reiz moderner Gedichte liegt genau in der enormen Vielfalt der verschiedenen Bedeutungsebenen des lyrischen Ich.
Zitat:
Zitat von Thomas
Geradezu paradoxe Züge nimmt die Diskussion an, wenn behauptet wird, der Dichter schöpfe "alles aus sich selbst" und dann im Werk immer nur das "Lyrische Ich" zu finden ist, welches mit ihm selbst angeblich gar nichts zu tun hat.
Gerade das ist die Kunst in der Literatur und die Abstraktionsfähigkeit des Menschen. Dann sprechen wir nämlich vom Textsubjekt, wenn der Dichter in der Lage ist, sich in eine fiktive Person hineinzuversetzen und aus dessen Perspektive zu schreiben.
Das muss nicht zwangsläufig die Meinung, Haltung oder Einstellung des Autors widerspiegeln.
Zunächst einmal ist davon auszugehen, dass ein Text rein fiktiv ist.

Zitat:
Zitat von Bücher-Wiki
Lyrisches Ich ist ein Begriff aus der Literaturwissenschaft und bezeichnet den fiktiven Sprecher oder die Stimme des Gedichts. Das lyrische Ich kann Gedanken, Gefühle, Erlebnisse, Stimmungen, Beobachtungen und Erkenntnisse ausdrücken. In den meisten Gedichten sind lyrisches Ich und Autor nicht identisch, daher sollten die Aussagen eines Gedichtes nicht als persönliche Bekenntnisse des Autors verstanden werden. Häufig spricht das lyrische Ich den Leser oder eine unbekannte Person direkt mit „du“ an, es kann aber auch als ein „wir“ auftreten. Das lyrische Ich kommt nur in der Lyrik vor, im Drama und in der Epik spricht man stattdessen vom Erzähler.

Der Begriff des lyrischen Ich wurde 1910 von der deutschen Dichterin und Philosophin Margarete Susman („Das Wesen der modernen deutschen Lyrik“, 1910) geprägt und 1916 von dem österreichischen Literaturwissenschaftler Oskar Walzel („Schicksale des lyrischen Ich“, 1916) aufgegriffen. Seitdem dient es der Literaturwissenschaft vor allem zur Unterscheidung zwischen dem realen Autor und der von ihm im Gedicht verwendeten Instanz eines Sprechers. Damit wird das Ich im Gedicht sozusagen als Inszenierung oder im Extremfall als reine Erfindung des Autors entlarvt und ist nicht mehr mit dem biographischen Autor-Ich identisch bzw. zu verwechseln.
Zitat:
Zitat von Thomas
Warum spricht man in der Musik nicht "Musikalischen Ich"? Die durch die Komposition vermittelten und offenbarten Emotionen sind genauso direkt wie in der Poesie, aber ihre Inhalte sind abstrakt. In der Poesie sind die Inhalte durch die verwendeten Worte zwangsläufig konkret, Liebe, Hass, Mord, Aufopferung und Tod.
Nein, sind sie nicht zwangsläufig, da gerade die Metaphern nicht immer eindeutig und konkret zu konnotieren sind.
Gerade die von dir aufgeführten Beispiele können genau gegenteilig eingesetzt und verwendet werden.
Musik hingegen ist nichts anderes, als (mathematisch) organisierte Schallereignisse und die sogenannten "vermittelten und offenbarten Emotionen" darin kommen beim Hörer auch nur dann herüber, wenn dieser in der Lage ist, sich in sie hineinzuversetzen.
Die Absicht des Komponisten steht überhaupt nicht zur Debatte, ja ich denke sogar, es ist ihm völlig gleichgültig, weil er als ernstzunehmender Künstler darüber stehen und lediglich von seinem Kunstwerk überzeugt sein muss.
Ob und wen es dann erreicht, ist erst einmal völlig nebensächlich.

Zitat:
Zitat von Thomas
Aber muss denn der Dichter nur deswegen ein Mörder sein, weil er über Mord schreibt. War Schiller ein Kindsmörder, weil er das Gedicht "Die Kindsmörderin" schrieb? War Goethe Faust oder Mephisto? Natürlich nicht. Natürlich doch!
Ja was denn nun?

Zitat:
Zitat von Thomas
Denn der Inhalt ist in der Poesie Nebensache, die Form, die Emotionale Gestalt, ist fast alles, und diese Emotionen erzeugende Form entspring natürlich ganz allein dem Poeten, genau wie die musikalische Form der Komposition. Darin sehen wir sein Innerstes, darin zeigt er uns seine Seele. Deswegen ist es so wichtig, dass Dichter schöne Seelen haben, die sich anzusehen lohnt.
Entschuldige bitte, aber das ist eine ziemlich seltsame und einseitige Art der Betrachtung.
Zum ersten gibt es keine Seele und zum zweiten ist "Schönheit" relativ, weil subjektiv und zum dritten existiert nicht nur Schönheit, sondern auch das Gegenteil.
Willst du dem "Hässlichen" die Existenzberechtigung absprechen?
Willst du der Lyrik vorschreiben, dass sie nur Gutes und Schönes produzieren darf?
Wo liegen da deine Kriterien und überhaupt, ist es nicht verwegen, die eigenen Vorstellungen als das Maß aller Dinge anzusetzen?
Ich glaube, da lehnst du dich arg weit aus dem Fenster, denn alles menschliche, und dazu gehört das Gute und das Böse, das Schöne und das Hässliche hat ein Recht darauf, auch ausgesprochen zu werden.
Dafür ist die Sprache da.
Und deshalb ist der Inhalt auch nicht nebensächlich, sondern ein grundlegender Bestandteil, er ist nämlich die Aussage.
Bei der "emotionalen Gestalt" und der "Emotion erzeugenden Form" hingegen kommt es auf die Glaubwürdigkeit an. Und da tickt jeder anders, das ist individuell vollkommen unterschiedlich.
Und gerade diese menschlichen Facetten machen die Lyrik immer wieder interessant.

Was du beschreibst ist stinklangweilig, abgegriffen und entspringt einer längst überholten Anschauung einer total verkorksten romantischen Einstellung zur Lyrik.

Diese hat zwar auch ihre Daseinsberechtigung, aber konform gehen muss man damit nicht.

Zitat:
Zitat von Thomas
Ich überlasse das Gerede vom Lyrischen Ich denen, die gerne Symbole mit wirklichen Metaphern verwechseln, d.h. keine Ahnung von Poesie haben, denen, die Gerne über Inhalte sprechen, und Angst haben, dem Dichter zu nahe zu treten.
Ich halte es nicht für meine Aufgabe, dem Dichter zu nahe zu treten, das hat nichts mit Angst zu tun, sondern mit Höflichkeit und Achtung.
Wenn ich (hier mit ihm) über etwas rede, dann teile ich ihm in erster Linie meine Gedanken über sein Werk mit.
Die Gegenüberstellung von Symbolen und Metaphern ist in diesem Falle nicht sinnvoll, denn das "Lyrische Ich" ist keinesfalls ein Symbol in dem von dir gebrauchten Sinn.
Du bist nämlich derjenige, der das "Lyrische Ich" zum Symbol erklärt.
Das "Lyrische Ich" ist nämlich, wie ich im vorherigen Beitrag schon schrieb, nichts anderes als die Sprechinstanz des Autors.
Was soll also dieser hinkende Vergleich aussagen, wen soll er überzeugen?

Zitat:
Zitat von Thomas
Jeder wirkliche Dichter lacht darüber, wenn er mit den von ihm verwendeten Inhalten gleichgesetzt wird und fragt: Wo ist das Problem?
Da bitte ich doch einmal um eine Definition, was einen "wirklichen Dichter" ausmacht?
Ich bin nämlich der Meinung, dass der "wirkliche Dichter" einen gesunden Abstand zu seinen Werken einnehmen sollte.

Zitat:
Zitat von Thomas
Bezüglich der Form liegt die Sache hingegen anders, und das sollte man sehr vorsichtig und höflich, ja liebevoll mit den Dichtern umgehen.
Das kann man so machen, muss es aber nicht.


Fazit:

Das von dir Geschriebene kann ich höchstens als persönliche Meinungsäußerung ernst nehmen und akzeptieren, aber konform gehen kann ich damit nicht.
Und ich denke, das habe ich auch ausreichend dargelegt und begründet.


Liebe Grüße

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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