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Finstere Nacht Trauer und Düsteres

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Alt 02.05.2009, 00:25   #1
Dana
Slawische Seele
 
Benutzerbild von Dana
 
Registriert seit: 07.02.2009
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Lieber norbert,
ich habe länger gebraucht, mich an einen Kommentar zu wagen.
Kann es sein, dass allein durch das Bekenntnis "deutsch" schon eine Hemmung eintritt? Wenn es so wäre, fände ich es verheerend und erlaube es mir nicht.
Vielleicht habe ich anfangs zu "oberflächlich" gelesen. Du wirst mich hoffentlich eines Besseren belehren. Ich werde gebannt zuhören.


Zitat:
Zitat von norbert Beitrag anzeigen
Das alte Fotoalbum

Wie farblos in Papier gepresste Blüten
seh ich Gespenster der Vergangenheit.
Für meine Zeit fixiert, eh sie verglühten,
Ertrunkene im Meer der deutschen Zeit.

Die Sprache ist stark und die entstehenden Bilder viel deutlicher als jene im alten Fotoalbum. Ich wollte zuerst ein "Familienalbum sehen, doch nun denke ich, dass dein lyr.Ich einen Bildband betrachtet.

Seh Lippen, die das Lächeln schon verloren,
eh noch ein Lachen je den Mund verließ,
als hätten Ernst und Trauer sich verschworen,
weil ihre deutsche Zeit kein Glück verhieß.

Bilder aus Zeiten, die noch vor der bitteren Zeit liegen. Weil damalige Fotos stets gestellt und in "ordentlicher" Haltung gemacht wurden, wirken diese auf das lyr. Ich wie eine geschichtliche Vorahnung.

Ihr wart das graue Fleisch, aus dem ich stamme,
das meine Seele trägt seit Anbeginn.
Das graue deutsche Fleisch, das ich verdamme,
das Fleisch, in dem ich selbst gefangen bin.

Hier eine Erkenntnis oder ein Geständnis. Nicht als Vorwurf oder gar Anklage. Die Seele trägt das Deutschtum seit Anbeginn, also weit, weit vor der Zeit, die zu verdammen wert ist.
Das lyr. Ich sieht sich gefangen. Würde es in einer neuen "Freiheit" weniger verdammen, weil diese Zeit nicht das gesamte Deutschtum ausmacht?
Ich hinterfrage mehr, als dass ich interpretiere.
Probleme, Unrecht, Verbrechen sollen hinterfragt, verarbeitet werden. Das gilt für jede Freundschaft, für die Ehe und für alles Zwischenmenschliche.
Warum fehlt es daran den Deutschen? Ist Selbsbezichtigung über Generationen ein deutsches Problem?
Und wieder zwingen mich die Finger per Tastatur zu erklären, dass ich nichts beschönigen will, obwohl das mehr als klar sein sollte.
Warum?

Dein Gedicht ist zu aufwühlend, zu gut um mit ein paar Sätzen kommentiert zu werden.

Liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 02.05.2009, 22:37   #2
norbert
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...ich weiß nicht,ob es eine GENETISCHE veranlagung in diesem sinne gibt - mglw. - aber es gibt etwas, was wir mit diesen gespenstern gemeinsam haben: die sprache. ich glaube, es gibt eine mischung von sehr tiefem denken, anstrengend-preußischem idealismus, "tiefsinn und einfalt", die fehlende leichtigkeit der "welschen", die in der deutschen sprache enthalten sind...ich habe die spur noch nicht ganz zu ende verfolgt...
liebe grüße
deutschbert

Geändert von norbert (02.05.2009 um 22:50 Uhr)
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Alt 03.05.2009, 01:24   #3
Leier
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Lieber Leidbert,

selbstverständlich tragen wir die Schuld unserer vorgängigen Schuldigen auf unseren Schultern.
Zumindest ich sehe das so, obwohl ich gerade nur knapp noch der "Gnade der späten Geburt" teilhaftig wurde.

In Deinem Gedicht ist nicht ein Funke Hoffnung enthalten, obwohl gerade der so wünschenswert wäre.
Immerhin wird unser Grundgesetz jetzt 60 Jahre alt - ist das nicht wert, den Tag zu loben? Es bleiben vage Zweifel ob der Aufweichung.

Unsere Fotoalben zeigen seltsame Naivität und Unbefangenheit (nach 1933).
Ab 1939 Deutliches.

Dennoch fühle und denke ich wie Du:
Alpträume Nacht für Nacht.

Schrecklich. Nicht zu bannen.
Gerade d i es zeigt mir Dein Gedicht.
Für das man danken muß.


Lieben Gruß
von
cyparis
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Alt 04.05.2009, 22:03   #4
norbert
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liebe cyparis,
es geht mir um nichts, was mit "offizieller geschichtsschreibung" zu tun hat, der einzelne hat mit dem wesentlichen ohnehin nichts zu tun, er bekommt nur ein paar einlullende begriffe übergestülpt...
"gnade der späten geburt" is auch so ein kunstbegriff, der eigentlich nicht wirklich wesentlich ist.
die freudlosikkeit der auf den albumfotos gezeigten gesichter (mein längst verstorbener vater hatte die fotos gesammelt, sir reichen bis ins 19. jhdt. zurück!) ist ziemlich durchgängig - ich zumindest sehe keine "entspannung" oder "lebensfreude" in ihnen.
es ändert sich tatsächlich erst bei den fotos der nachkriegszeit, aber wenn ich die dort abgebildeten, die ich ja kenne (bzw. gekannt habe) mit ihrer erscheinung heute vergleiche - die kindliche lockerheit und gelöstheit hat doch erheblich nachgelassen...
liebe grüße
albumbert
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Alt 04.05.2009, 22:34   #5
Klatschmohn
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Lieber Norbert,
ich dachte, dass das Bild eine Zeichnung aus Deiner Hand sei!
Vielleicht liegt das aber auch an der Fototechnik der frühen Jahre, das hat manchmal ganz schön lang gedauert und vielleicht haben sie auch gedacht, dass man dann ernst gucken soll.
Andererseits gab es wohl auch nicht viel zu lachen: Moral, Anstand, Würde, viel Arbeit, ein kurzes Leben und weiß der Geier was.
Auch wenn unsere Zeiten verrückt sind, so sind sie doch freier als früher. Das begrüße ich sehr.
Liebe und herzliche Grüße,
Klatschmohn
__________________

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Trockenmohn
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Alt 05.05.2009, 11:11   #6
Chavali
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Lieber Norbert,

dein Text ist handwerklich gut gemacht, sauberer Kreuzreim, durchgängig jambische Auftakte.

Das Bild dazu macht erst noch deutlicher, was dein Text beschreibt.
Auf politische Hintergründe mag ich nicht eingehen, das ist nicht so mein Ding.

Ich spüre nur, dass mich dein Gedicht berührt.

Lieben Gruß,
Chavali
__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
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Alt 05.05.2009, 20:40   #7
norbert
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du hast richtig gedacht, liebe heidi, es ist ein ölbild auf holz, das ich von einem foto abgemalt habe.
ob die zeiten heute wirklich freier sind, wage ich zu bezweifeln, sicherlich sind sie materiell sicherer und es gibt mehr unterhaltung und ablenkung.

auch @chavali:
politik spielt immer mit den stimmungen im volk, stülpt den ereignissen irgendwelche ideologischen gebilde über.

liebe grüße
norbert
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Alt 24.05.2009, 13:13   #8
Medusa
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Lieber Norbert,

ja, ich stimme Dir zu: Fotoalben durchzublättern ist eine harte Arbeit und macht nicht unbedingt froh angesichts der verkniffenen Lippen und der blicklosen Blicke.

Andererseits sollten wir Leichtigkeit pflegen und uns nicht über jedes Haar in der Suppe grämen. Was bringt es? NICHTS! Was nützt es, sich ständig Gedanken um das Für und Wider zu machen? Auch nichts!

Ganz sicher dürfen wir die Wirklichkeit nicht verniedlichen! Aber ein paar Mauselöcher für unbeschwerte Stunden sollten wir uns offen halten, stimmts?

Ein wundervolles Gedicht und ein tolles Gemälde!
Herzliche Sonntagsgrüße,
Medusa.

Geändert von Medusa (24.05.2009 um 13:15 Uhr)
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Alt 24.05.2009, 13:48   #9
fee
asphaltwaldwesen
 
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ein wirklich gelungenes gedicht, norbert,


das in seiner melodie und der ausführung dem thema vollends gerecht wird.
wenn man nun auch noch weiß, dass die fotographie damals zum teil noch stillhalten für bis zu 20 minuten pro aufnahme erforderte, erklärt sich zumindest zum teil der stets sehr gemessen wirkende ausdruck in so manchen gesichtern. ein gutteil der auf uns "streng" wirkenden atmosphäre trägt die kleidung mit dazu bei. so etwas wie "legeren" look gab es damals einfach nicht...

wobei ich gerade diesen gemessenen ausdruck in gesicht und haltung in diesen alten aufnahmen immer als so "besonders" empfinde. als wären die soeben verewigten sich dessen bewusst, dass einmal - bis zu 100 jahre später - jemand genau dieses bild in händen halten und sich fragen wird, was sie damals erlebten und empfanden. aber in erster linie lesen wohl wir nachkommen das da hinein.

das thema der allumfassenden generationenschuld mag ich darin nicht lesen - jede familie bzw. "sippe" trägt genügend an der ihr ganz eigenen generationen-last, denke ich. und dein gedicht weist auch ohne diesen aspekt mehr als genügend tiefgang und anlass zum innehalten und nachspüren auf.

sehr gern gelesen! viel gefühl darin gefunden. und ganz ohne pathos oder sentimentalität. daher ein großes bravo von mir.


lieber gruß,

fee
__________________
"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan
fee ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.06.2009, 11:49   #10
norbert
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 09.02.2009
Ort: im kalten schleidener tal
Beiträge: 1.011
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entschuldige, fee,
dass ich erst jetzt deinen interessanten beitrag lese und kommentiere - er war mir schlicht und einfach "durch die lappen gegangen".
da mein vater familienfotos gesammelt hat, verfüge ich über etliche aufnahmen meiner vorfahren - bis in die anfänge der fotografie im 19. jhdt. zurück...
ich habe sie oft betrachtet und mir überlegt, was in diesen starren gesichtern wohl vorgegangen ist - mir persönlich sind sie fremd...
ich vermute, dass der ernst u.a. mit dem "memento mori" der damals noch vorherrschenden kath. religion zu tun hat...
liebe grüße
norbert
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