![]() |
|
![]() |
#1 |
MohnArt
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: RLP
Beiträge: 1.949
|
![]()
Sonntag
Gegen elf Uhr kamen beide Frauen ins Hotel. Man meldete sie an. "Frau von Limpisch ist oben in ihrer Suite, sie bittet Sie beide, heraufzukommen. Zimmer 112. Den Aufzug finde Sie gleich um die Ecke." Die alte Dame erwartete sie an der Zimmertüre. Trixi, die auf einer Decke auf dem Sessel gelegen hatte kam angelaufen und wedelte mit dem Schwänzchen. Marie Gebhardt beugte sich herunter und streichelte das Hündchen. "Da hast du aber Glück, dass du dein Frauchen wieder gefunden hast." Frau von Limpisch bat sie herein. Sie müssen entschuldigen, dass ich mich nicht eher gemeldet habe, die Ereignisse überschlagen sich. Das ist ein bisschen viel für eine alte Dame." Sie lächelte. "Sagen Sie mir, womit ich Ihnen eine Freude machen kann. Sie hatten so viel Aufregung und ich habe Ihnen so viel zu verdanken. Die beiden Frauen wehrten ab. "Nicht doch, es war zwar aufregend, aber auch eine Abwechselung. Hier passiert normalerweise nicht so viel." "Ihren Hunden habe ich auch zu danken. Was können wir denn für die tun, oder am besten für Sie alle zusammen. Haben Sie Lust sich ein bisschen zu erholen und Ferien zu machen? Ich kenne ein nettes Haus an der Ostsee. Da kann man mit den Hunden an den Strand. Eine eigene kleine Jugendstilvilla gehört zu dem Hotel, da kann man auch mit den Hunden kuren. Die haben sogar einen extra Physiotherapiebereich für Hunde. Wäre das was für Sie?" Die beiden Frauen sahen sich sprachlos an. "Sie können wirklich hellsehen", meinte Hilde. "Wir haben erst vor ein paar Tagen darüber gesprochen. Es war an dem Tag, an dem Trixi so gebellt hat vor dem Haus und wo uns so unheimlich wurde. "Also, dann ist es abgemacht. Da hat das Schicksal gesprochen. Sie klären ab wann Sie können und ich regele alles Weitere. Ich bestehe darauf, dass Sie das annehmen. Ich stehe nicht gerne in der Schuld von Anderen. Außerdem - ich will Ihnen wirklich eine Freude machen. Bitte schlagen Sie mir das nicht ab." "Ja, dann nehmen wir natürlich gerne an, so was wollte ich immer schon mal machen." Man merkte Marie Gebhardt ihre Freude richtig an. Auch Hilde bedankte sich herzlich. Später als sie wieder unten waren, könnten sie Ihre Freude kaum fassen. "Juchhu, wir fahren zum Wellness. Hilde tanzte um Marie herum, die ebenfalls ihr Glück nicht fassen konnte. Oben aus dem Fenster, hinter der geschlossenen Gardine, sah Luise von Limpisch den beiden nach und lächelte. Jetzt hatte sie noch etwas anderes vor. Eine tiefe Unruhe hatte sie seit dem gestrigen Abend erfasst, nachdem sie die Frau im Krankenhaus wieder getroffen hatte. Spuren des beginnenden Alters waren bereits in deren Gesicht zu lesen. Das dunkle Haar war teilweise abrasiert, sodass die Wunde besser versorgt werden konnte. Die dunklen Augen hatten etwas in ihr angerührt und einen heftigen Schmerz in ihrem Inneren ausgelöst. Sie hatte die Nacht nur schlecht geschlafen. Jedes Mal, wenn sie eingeschlafen war, wurde sie kurz darauf mit heftigem Herzklopfen wieder wach. Sie gab im Hotel Bescheid, dass sie erst am Nachmittag zurückkommen werde und fuhr nach Koblenz. Sie betrat das Krankenhaus mit einem Blumenstrauß, den sie allerdings abgeben musste. Auf der Intensivstation durften keine Blumen stehen. "Stellen Sie die Blumen doch in die Krankenhauskapelle", sagte sie zu der Schwester. Die nickte. "Aber bleiben Sie bitte nur kurz, die Patientin ist noch sehr geschwächt", ordnete diese an. Zögernd trat sie an das Bett der Frau. Sie nahm die schlaffe weiße Hand mit dem auffälligen Muttermal und streichelte sie. Die Frau öffnete die Augen und schloss sie wieder. Ein Lächeln ging über das Gesicht. Frau von Limpisch merkte, wie sich ihr Hals zuzog, ihre Augen standen voll Tränen. Sie wusste nicht, wie lange sie an dem Bett stand. Die Zeit schien sich zur Ewigkeit zu dehnen. Eine Schwester kam herein, machte sich an den Geräten zu schaffen und blickte von der Kranken auf sie, dann wieder auf die Patientin. Sie nickte leicht. "Sind Sie mit Frau Schneider verwandt?" fragte sie. Luise von Limpisch starrte sie nur an. Eilig nahm sie ihren Mantel und ihre Tasche. An der Türe drehte sie sich noch einmal um. "Morgen komme ich wieder." Fortsetzung folgt Geändert von Klatschmohn (02.03.2009 um 09:52 Uhr) |
![]() |
![]() |
![]() |
#2 |
MohnArt
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: RLP
Beiträge: 1.949
|
![]()
So schnell sie konnte verließ sie die Intensivstation, verließ das Krankenhaus, überquerte eine Straße, fand ihren Wagen, setzte sich hinein und sank in sich zusammen. "Ja", flüsterte sie. "Ich bin ihre Mutter."
Bilder kamen in ihr hoch, sie war eine junge Frau und siebenundzwanzig Jahre alt, als sie schwanger wurde. Franz war ein Kollege von ihr. Nichts Ernstes, dachte sie sich, als sie sich mit ihm einließ. Als sie dann schwanger wurde war sie hoffnungslos überfordert. Franz und sie hatten ein gemeinsames Engagement gehabt. Sie war längst mit einer anderen Truppe auf Tournee, als sie es nicht mehr vor sich selbst verbergen konnte, dass sie schwanger war. Lissi hatte ihr auch da finanziell geholfen. Nach der Geburt hatte sie das Mädchen gleich zur Adoption freigegeben. Bodo wusste von dem Kind. Er hatte versuchte, die Adoption rückgängig zu machen. Aber das war absolut unmöglich. Sie hatte keinerlei Rechte mehr an dem Kind. Und wenn sie sich täuschte? Wieso glaubte sie, dass diese Claudia Schneider, die da blass und still in dem Krankenhausbett lag, ihre Tochter war? War es das schlechte Gewissen, das sich nach so vielen Jahren bemerkbar machte? Was war los mit ihr? Sie war einige Tage mit der Frau zusammen gewesen. Nichts war passiert, keine Gefühle, bis auf den Tag an dem sie frei gekommen war. Da war irgend etwas geschehen, eine Verbindung war entstanden. Warum aber hatte sie sich nicht gemeldet: Hier bin ich, Deine Tochter. Warum musste sie entführt werden, war es Rache? Als sie in das Hotel zurückkam, nahm sie einen kleinen Imbiss zu sich und versuchte ein wenig zu ruhen. Einige Ortschaften entfernt, saß ein Mann alleine in dem Zimmer einer kleinen Pension. Was hatte er bloß angerichtet? Claudia wollte sich der Frau offenbaren, von der sie überzeugt war, sie sei ihre Mutter. Das konnte er doch nicht zulassen. Die Alte hätte sie doch sofort angezeigt. Dann säßen sie jetzt schon im Knast, alle Beide. Er hatte sie doch nicht verletzen wollen. Es tat ihm leid. Alles hatte begonnen, als Claudia damals krank geworden war. Das war, nachdem sie eine Fehlgeburt hatte. Das Kind war nicht von ihm. Der Vater war ein Trainer im Center. Die Beziehung war aber in die Brüche gegangen. Danach war sie in einer Psychoklinik gewesen. Seitdem war sie verändert, hatte gemeint, sie müsse ihre leibliche Mutter kennen lernen. Sie hatte sich wohl schon früher beim Jugendamt in Darmstadt die Unterlagen geben lassen. Das stand ja in den Akten, dass das Jugendamt in Darmstadt die Adoption vollzogen hatte. Jetzt wollte sie den Kontakt zu ihrer Mutter. So ein Blödsinn! Und er hatte sich darauf eingelassen, hatte Erkundigungen eingezogen über die Frau. Eine feine Dame. Ha, dass er nicht darüber lachen würde. Hätte sie damals nicht so einen Mist gemacht, würde er heute nicht so in der Tinte sitzen. Er war richtig wütend. Wütend war schließlich auch auf Claudia geworden. Sie wollte ja unbedingt wissen, was für eine Frau die Mutter war. Er hatte versucht sie zu überzeugen, dass sie offen mit der Frau reden sollte. Aber Claudia konnte es nicht über sich bringen. Sie war eine sehr stolze Frau. Schließlich verfiel sie auf den Gedanken, die Frau in ihre Gewalt zu bringen. Sie wollte der Wut, dass sie ein weggegebenes Kind war, Ausdruck verleihen. Bislang schien es ihr egal gewesen zu sein, aber dann mit ihrer Krankheit war die Neugier, und schließlich auch die Wut entstanden. Wahrscheinlich hatte sie Angst davor gehabt wie eine Bittstellerin zu kommen. Die Alte schien ja so unermesslich reich zu sein. Und der Trottel von Neffe, hat ja sogar die vage Andeutung auf das Geld sofort angenommen und gesagt, seine Tante habe eine Menge Geld. Er wolle es besorgen. Wie konnten sie nur so blöde sein. Mit solchen Leuten zog man immer den Kürzeren. Die hatten das Glück gebucht. Und jetzt, was war mit Claudia? Er war weggelaufen als sie blutüberströmt auf dem Waldboden gelegen hatte. Panik hatte er gekriegt. Er heulte, heulte vor allem, weil er sich vollkommen machtlos fühlte, hilflos. Was würde geschehen. Alle Fäden waren ihm aus der Hand genommen. Am besten abhauen, die Polizei hatte sicher schon längst sein Telefon abgehört. Deshalb hatten sie zuletzt nur Claudias Telefon benutzt. Mein Gott, das Telefon! Claudia hatte das Telefon bei sich gehabt. Das hatten sie bestimmt schon überprüft. Er musste weg. Hastig schnappte er ein paar Sachen, stopfte sie in die billige Reisetasche, die sie gekauft hatten, steckte das Geld, das verdammte Geld ein, ging die Treppe hinunter und lief geradewegs der Polizei in die Arme. Luise von Limpisch lag auf ihrem Hotelbett und grübelte. Vielleicht hatte sie sich ja getäuscht. "Das Stockholm Syndrom." Sie hatte darüber in der Zeitung gelesen. Man verbindet sich irgendwie mit seinem Entführer. Das war wohl so eine Überlebensstrategie des Geistes. Sie dachte über sich nach. Nein, das war nicht der Fall. Und dass man glaubt, man sei mit dem Entführer verwandt, gehörte wohl auch nicht zu den Symptomen. Sie wollte ihrem Gefühl vertrauen, sie wollte ihre Tochter. Es begann zu dämmern, sie stand am Fenster und starrte hinaus. Der Regen prasselte gegen die Scheiben, ihr fröstelte. Sie legte sich ihren schwarzen Kaschmirschal mit dem Blumenmuster um und ging hinunter. Es gab viel zu regeln. ![]() Fortsetzung folgt Geändert von Klatschmohn (03.03.2009 um 11:38 Uhr) |
![]() |
![]() |
![]() |
#3 |
MohnArt
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: RLP
Beiträge: 1.949
|
![]()
Montag
Der Montag begann genau so trübe und verhangen wie der Sonntag aufgehört hatte. Markus Scheffel wurde verhört. Er gab sich, wie er sich fühlte - als Opfer. Er kenne Claudia seit zwei Jahren und arbeite in ihrem Fitnessstudio, sagte er zu den Beamten. Vor einem Jahr habe Claudia angefangen Interesse an ihm zu zeigen. Das war die Zeit, nachdem sie krank geworden war, nach der Fehlgeburt. Viel erzählt habe sie ihm nicht. Sie war aber sehr verändert. Er habe trotzdem weiter zu ihr gehalten. Jetzt im nachhinein, glaube er, sie habe ihn wohl nur benützt um die alte Frau auszuspionieren. Er habe ihr ja immer wieder geraten, die Sache anders anzugehen, aber sie wollte nicht auf ihn hören. Richtig verbissen sei sie gewesen. Um das Geschäft habe sie sich auch nicht mehr gekümmert. Eine Menge Kunden waren bereits abgesprungen. Sie sei dann nach Düsseldorf gefahren um die Dame zu beobachten, habe vor dem Haus rumgehangen dann aber nicht den Mut gefunden sich zu offenbaren. Einmal habe sie Frau von Limpisch auf ihren Hund angesprochen, aber diese habe sie weiter nicht beachtet. Dann sei sie auf den Gedanken gekommen, die Frau zu entführen. Manchmal habe er schon an ihrem Verstand gezweifelt. Vermutlich wollte sie sich irgendwie rächen, weil sie als Baby weggegeben wurde. Auf jeden Fall habe sie die Frau, die ihre leibliche Mutter war, kennen lernen wollen. Wahrscheinlich hatte sie der auch die Schuld gegeben, dass sie das Kind verlor und dass sie krank geworden war. Er wisse nicht was in Claudia gefahren sei. Sie sei vollkommen unberechenbar geworden. Wieso er denn mitgemacht habe bei dem verrückten Unternehmen, Luise von Limpisch zu entführen, wurde er gefragt. Das könne er sich heute auch nicht mehr erklären, meinte er. Sie habe ihn auch mit dem Geld gelockt, dass sie zu bekommen glaubte. Das Fitnesscenter könne auf den neuesten Stand gebracht werden. Schließlich sei die reiche Dame ja ihre Mutter und da stünde ihr auch etwas von dem Vermögen zu. Er wisse, es klinge jetzt alles unlogisch. Warum er sie nicht abgebracht habe von der Entführung, sollte er erklären. Er hatte dann gelacht und gesagt, Claudia von etwas abbringen, genauso gut könne er versuchen die Taten rückgängig zu machen. Was sie sich in den Kopf gesetzt habe, das führe sie auch aus. Er könne sich jetzt auch nicht mehr erklären wieso er sich darauf eingelassen habe. Sie hätten der alten Dame auch kein Leid zufügen wollen, aber irgendwann habe sich alles verselbstständigt. Eigentlich, so hatte Claudia ihm suggeriert, würde alles ganz schnell gehen. Der Neffe würde das Geld organisieren, sie hätte die Mutter kennen gelernt und Claudia hätte auch was von dem Geld abbekommen, das ihr wohl als Tochter zustände. Schließlich habe sie sich nicht adoptieren lassen wollen. Sie hätte das nie zugelassen. Freiheitsberaubung, ja das sehe er ein, es tue ihm auch leid, aber schließlich habe Claudia keine andere Möglichkeit gesehen. Wie er denn herausbekommen habe, dass Frau von Limpisch hier Urlaub mache. Ja, er habe sie im Auftrag von Claudia schon länger bespitzelt. In einem Kaffeehaus habe er am Nebentisch gesessen und da habe sie mit ihrem Neffen über die bevorstehende Reise gesprochen. Claudia habe das als einen Wink des Schicksals verstanden. Sie war in Montabaur aufgewachsen und habe sich hier gut ausgekannt. Warum er sie niedergeschlagen habe und warum er sich nicht weiter um sie gekümmert habe, als sie blutüberströmt vor ihm lag, wurde er gefragt. Ja, plötzlich sei alles anders gewesen. Sie habe ihm Vorwürfe gemacht. Frau von Limpisch sei ja ihre Mutter. Sie wollte sie um Verzeihung bitten und ihr den Autoschlüssel zurückbringen. Das sei ja Wahnsinn, habe er zu ihr gesagt, sie solle zur Vernunft kommen. Er habe keine Lust wegen ihrer Launen ins Kittchen zu wandern. Aber sie habe sich, wie immer, nicht abbringen lassen Habe ihn weggeschickt wie einen kleinen Jungen. "Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen." Er habe sie dann festgehalten und sie gefragt wie sie sich das vorstelle. Man war ihnen doch sicher wegen des Handys schon auf die Schliche gekommen, kenne ihre Namen. Sie hat nur mit den Achseln gezuckt. Ihr sei es egal, dann habe sie sich losgerissen. Dann lag da dieser abgebrochene Ast. Er hatte zugeschlagen um sie aufzuhalten, aber es im gleichen Moment bereut. Vor Panik sei er dann weggelaufen, sei aber später wieder gekommen. Da waren aber schon die Frauen mit ihren Hunden dort gewesen. Da habe er gemacht, dass er wegkommt. Das Verhör, das früh am Morgen begonnen hatte, ging bis weit in die Stunden des Nachmittags hinein. Gegen Abend wurde er wieder ins Koblenzer Gefängnis gebracht. ![]() Frau von Limpisch saß schon den ganzen Nachmittag am Bett ihrer Tochter. Ab und zu wachte Claudia auf, dann sahen sie sich an. Claudia versuchte zu sprechen aber es gelang ihr nicht. "Ich weiß Bescheid, mach Dir keine Sorgen", hatte sie zu ihr gesagt. Claudia schloss die Augen. Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie hatte ein Telefonat mit Kommissar Keiner geführt. Der hatte ihr von der möglichen Verwandtschaft berichtet. Ein DNA Test sollte durchgeführt werden, aber sie war sich auch so sicher. Caudia hatte ihre Augen und die Ähnlichkeit mit Franz war nun unübersehbar. Warum hatte das Kind sich nicht gemeldet, warum hatte sie so lange gewartet. Ein verborgener Teil von ihr hatte sich immer danach gesehnt, dass sie sich melden würde. Nur gesund solle sie wieder werden. Die besten Ärzte, die besten Anwälte, die besten Therapeuten sollte sie bekommen. Sie dachte an ihren Mann, sie dachte an ihre Schwester, sie dachte an das Geld, das da verborgen in dem Tresor schlummerte. Kein Zusammenhang, dachte sie. Kein Zusammenhang. Sie war froh. ![]() Ende Geändert von Klatschmohn (04.03.2009 um 10:57 Uhr) |
![]() |
![]() |
![]() |
Lesezeichen |
Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1) | |
|
|