28.08.2010, 14:49 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Schöne neue Welt
(nach "verheißungsvollen" CI-Forschungsversuchen an Meerschweinchen)
Ach wenn ich doch ein Meerschwein wär, dann brauchte ich kein Blechohr mehr. Nichts könnte mich hinfort verdrießen, ich würd den Tag nur noch genießen. Ich müßt nicht mehr an Lippen hängen, und könnte hörend viel verdrängen. Kein Mensch sagt mehr, mein Freund, Du bist für mich so eine Art Autist. Dann stellt ich keck das Radio an, und könnte hören jedermann. Am Rädchen dreht ich gern gezielt auf Sender, wo die Musi spielt. Ich fände bald den Karajan und wär gewaltig angetan. Bach, Mozart und sogar bescheiden, würd ich zufrieden sein mit Haydn. Ach wenn ich doch ein Meerschwein wär, wär dieses Leben halb so schwer. Mit diesem Glauben hier auf Erden kann man zum kühnsten Träumer werden. Weil nun der Mensch kein Meerschwein ist, bleibt nur noch diese eine List. Zieht die Musik im Geist die Runden, ist sie zu keiner Zeit entschwunden. Geändert von Justin (28.08.2010 um 14:52 Uhr) |
28.08.2010, 21:34 | #2 |
Slawische Seele
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Hallo Justin,
das lyr. Ich träumt davon, ein Meerschweinchen zu sein. Von ihnen weiß man, dass sie besonders gut hören können und dass Tests laufen, dieses Wissen auf Menschen anzuwenden. Menschen, denen der Gehörsinn nicht gegeben ist. Was mich besonders in deinem Gedicht anspricht, ist die letzte Strophe. Musik zieht durch den Geist. Das lyr. Ich hört sie doch, wenn auch anders. Wir hatten hier im Forum eine Diskussion darüber, ob Gedichte "logisch" sein müssen. Deines zeigt auf, dass es darauf ankommt, wie man liest. Die "Logik" wird erst auf den zweiten Blick erkennbar, wenn überhaupt. Wenn ich ein Adler sein möchte, um zu fliegen - dann ist es ein Traum vom Fliegen. Deines geht tiefer und lässt aufmerken. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
29.08.2010, 17:34 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Dana,
Du hast Dir Gedanken über das Gedicht gemacht und ich möchte dem noch etwas hinzufügen. Es reicht nicht aus, Gehörlosigkeit zu erwähnen, sondern man sollte wissen, daß ich 15 Jahre ganz normal hören konnte und den Verlust durch Krankheit binnen weniger Tage hinnehmen mußte. Die Musikalität ist dennoch auf der Grundlage von Synästhesie erhalten geblieben. D. h., ich kann mich beim Anblick von Noten in Musikstücke hineinversetzen - das betrifft auch solche, die ich nie hören konnte. Ich verstehe, wenn Gedanken aufkommen, ob Gedichte logisch sein müssen oder nicht und das schon ausdiskutiert wurde. Es ging mir aber im Gedicht um noch mehr. Ich wollte ironisch auf die CI-Operationen aufmerksam machen, die manchmal schon als Paradebeispiel gelten, mit welcher Beliebigkeit der Mensch in Zukunft medizinisch ausgereizt werden könnte. Diese Operationen sind aber in Wirklichkeit ein Abklatsch der Bionik und können nichts oder bedeutend weniger ausrichten, wenn die anatomischen Gegebenheiten fehlen. Und trotzdem gab es schon diesen vorauseilenden Übermut, zu sagen, es gäbe bald keine Gehörlosen mehr. Dana, selbst wenn man medizinisch alles im Griff haben würde, wäre das überhaupt nicht möglich. Denn 80% der Gehörlosen leben in den Entwicklungsländern, wo allein das nackte Überleben zählt und erst gar nicht an solche Operationen gedacht werden kann... Liebe Grüße Justin |
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