28.11.2011, 16:17 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Die Macht des Gesanges
Friedrich Schiller
Die Macht des Gesanges Ein Regenstrom aus Felstenrissen, Er kommt mit Donners Ungestüm, Bergtrümmer folgen seinen Güssen, Und Eichen stürzen unter ihm, Erstaunt mit wollustvollem Grausen Hört ihn der Wanderer und lauscht, Er hört die Flut vom Felsen brausen, Doch weiß er nicht, woher sie rauscht, so strömen des Gesanges Wellen Hervor aus nie entdeckten Quellen. Verbündet mit den furchtbarn Wesen, Die still des Lebens Faden drehn, Wer kann des Sängers Zauber lösen, Wer seinen Tönen widerstehn? Wie mit dem Stab des Götterboten Beherrscht er das bewegte Herz, Er taucht es in das Reicht der Toden, Er hebt es staunend himmelwärts Und wiegt es zwischen Ernst und Spiel Auf schwanker Leiter der Gefühle. Wie wenn auf einmal in die Kreise Der Freude, mit Gignatenschritt, Geheimnisvoll nach Geisterweise Ein ungeheures Schicksal tritt. Da beugt sich jede Erdengröße Dem Fremdling aus der andern Welt, Des Jubels nichtiges Getöse Verstummt, und jede Larve fällt. Und vor der Wahrheit mächt'gem Siege Verschwindet jedes Werk der Lüge. So rafft von jeder eitlen Bürde, Wenn des Gesanges Ruf erschallt, Der Mensch sich auf zur Geisterwürde, Und tritt in heilige Gewalt; Den hohen Göttern ist er eigen, Ihm darf nichts Irdisches sich nahn, Und jede andre Macht muß schweigen, Und kein Verhängnis fällt ihn an, Es schwinden jedes Kummers Falten, Solang des Liedes Zauber walten. Und wie nach hoffnungslosem Sehnen, Nach langer Trennung bittrem Schmerz, Ein Kind mit heißen Reuetränen Sich stürzt an seiner Mutter Herz, So führt zu seiner Jugend Hütten, Zu seiner Unschuld reinem Glück, Vom fernen Ausland fremder Sitten Den Flüchtling der Gesang zurück, In der Natur getreuen Armen Von kalten Regeln zu erwarmen. Ich stelle das Gedicht hier ein, weil es einen guten Eindruck von Schiller Verständnis der Poesie gibt, und weil es mir sehr gut gefällt. Viele Grüße Thomas |
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