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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches |
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#1 | |
asphaltwaldwesen
Registriert seit: 31.03.2009
Ort: österreich
Beiträge: 961
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![]() Zitat:
lieber wüstenvogel, ich hab jetzt wirklich lange über diese ausführungen von dir nachgedacht und sie mehrmals gelesen. ich könnte dir von der kunst-historischen bzw. -wissenschaftlichen seite her erklären, dass diese sparte der lyrik, die dich so "befremdet", vergleichbar ist mit der "konzept-kunst" in der bildnerischen sparte, wo es um abstraktion als oberstes prinzip geht und um ganz bewusste abkehr von jenen darstellungs- und form-mitteln, die uns viel direkter erschließbar sind und berühren. doch das ist gar nicht, worüber ich so nachgedacht habe, da ich dieses wissen durch mein kunststudium und die lange praxis in der kunstvermittlung sozusagen "parat" habe. nein - was mir so auffällt - nicht nur bei deinen erklärungen, sondern auch denen vieler anderer - , ist die erwähnte wut, das betrübt-sein, das ihr immer als motiv anführt für eure texte, in denen sich derart aufgestautes bahn bricht. da ich diese wut oder das betrübnis so gar nicht nachvollziehen kann, weil ich automatisch sämtliche kunstsparten als "nebeneinander" existent wahrnehme und für mich keine die andere "bedroht" oder diese auch nur irgendwie untereinander konkurieren, weiß ich nicht so recht, wo sie tatsächlich herkommt. ist es angst, das eigene schaffen wäre tatsächlich bedroht oder würde herabgesetzt, weil es da andere ansichten zu kunst/lyrik und deren eigene anhänger gibt? ist es tatsächlich so, dass heute das schöne nicht mehr erkannt oder geschätzt wird? ist es tatsächlich so, dass die zahl der interessenten für die schönen künste abnimmt oder den tradierten werten ernsthafter kunst geschadet wird durch massenmedien, die angeblich gerade "seichteres" zugänglicher und leichter verbreitbar machen? dasselbe gilt doch auch für die ernsthaften produkte der E-sparte, die durch internet mehr menschen erreichen - auch, wenn deren eigentliche präsentation meist nicht über dieses medium erfolgt, sondern nur deren ankündigung. dass es eine verschiebung der interessen und ansprüche bei den "empfängern" bewirkt, bezweifle ich. allerdings gehe ich davon aus, dass sich im internet mit dem ihm automatisch innewohnenden massen-charakter bzw. "-wertprädikat" zu einem weit größeren anteil jene tummeln, äußern und betätigen, die eben den rascheren massengenuss konsumieren und dass jene, die sich gerne intensiv und still und ausdauernd mit einzelnen werken mit tiefgang beschäftigen, das anderswo tun - in galerien oder lesend zu hause oder bei lesungen im kleinen rahmen nämlich. vielleicht ist das bild auch deshalb verzerrt, weil es bis vor wenigen jahrhunderten noch bestandteil einer gutbürgerlichen bildung junger menschen war, auch die redekunst und/oder ein instrument oder ein anderes musisches genre zu beherrschen. sich gewählt und in reimen ausdrücken zu können, war für einen jungen mann von stand damals nämlich vonnöten um eine gute partie zu sein und dichtung und redekunst standen daher auf dem haus-lehrplan. für die jungen damen gab es gesangs- oder musikunterricht, damit sie mit "weiblichen" tugenden voller damalig geschätztem liebreiz bezaubern und "was hermachen" konnten. mit dem verschwinden dieser ansprüche und dieser "kultur", die durch industrielle revolution, technischen fortschritt und die damit verbundene mentalität des "dynamischen" ersetzt wurde, hat sich auch die bedeutung der lyrik, der schönen künste und der (haus)musik vom allgemein-bildungsgut hin zur liebhaberei verschoben. vom jeweiligen zeitgeistigen ausdruck, der einem aus "vergangenen zeiten" immer entgegensteht, rede ich hier gar nicht. dass die kunstgeschichte sich immer in wellen der gegenbewegungen, was ausdruck und motive angeht, entwickelt, zeigt sich, wenn man sich damit umfassend auseinandersetzt. war die eine epoche "erdverbunden" und setzte auf gefühl, auf schlichtheit und direktheit im ausdruck - also expressivität - , musste die nächste eine gegenläufige ausrichtung haben: abgehoben-sphärisch oder himmlisch-strebend, verschlüsselt und "sachlich". usw. usf. war die zugänglichkeit in der einen epoche oberstes motiv, waren es die "barrieren" in der nächsten. die menschheit versucht in ihrem schaffen nicht nur tradition fortzuführen, sondern das individuum will sich im künstlerischen akt auch abheben. dass das nur geht, indem man mit traditionen bricht - mal mehr, mal weniger im rahmen der möglichkeiten der herrschenden kulturellen bedingungen - ist wohl klar. nur so findet entwicklung statt. nur so wird stillstand verhindert. und der mensch ist nun mal ein fortschritts-getriebener. das ist seine natur. egal, in welcher intentsität der ausprägung. und das gilt für alle kunstsparten. und diesem lauf sind wir in unserem schaffen unterworfen - ob wir wollen oder nicht. ernsthafte kunst wird immer versuchen, sich mühe zu geben. doch das heißt nicht, dass ihre äußere erscheinung immer denselben gesetzmäßigkeiten folgt - unberührt vom zeiten- und gesellschaftswandel. warum also die wut? das betrübt-sein? welche angst ist da wirklich wirksam - im hier und jetzt und für das eigene schaffen und das, wie man darin wahrgenommen und verortet werden will? ich hoffe, meine lange einlassung wird hier nicht als korrektiv empfunden. meine fragen sind aufrichtiger natur. und mein wissen dazu stelle ich gerne zur verfügung. manchmal finden sich nämlich die einzig hilfreichen antworten erst im schließen von wissenslücken. und dann kann man neu einordnen, was einen befremdet. und vielleicht verliert manches dann seinen bedrohlich-befremdlichen charakter. lieber gruß im neuen jahr, fee Geändert von fee (01.01.2012 um 17:13 Uhr) |
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#2 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 30.08.2011
Ort: Wetzlar/Hessen
Beiträge: 446
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Hallo fee,
vielen Dank für deine sehr ausführlichen und nachdenkenswerten Anregungen. Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt - im Nachhinein war es wohl eher Enttäuschung als Wut, die mich zu diesem Gedicht "getrieben" hat. Da kauft man sich einen Gedichtband mit dem anspruchsvollen Titel "Jahrbuch der Lyrik 2011", freut sich auf eine anregende Lektüre und muss feststellen, dass man mit fast keinem dieser Gedichte etwas anfangen kann. Damals wie heute kann ich zu vielen dieser Gedichte keinen Zugang finden. Das heißt aber auf keinen Fall, dass ich ihnen ihre Existenzberechtigung absprechen möchte - sicher gibt es Menschen, denen diese Art von Gedichten gut gefällt, die damit etwas anfangen können, die vielleicht sogar angeregt werden, die durch und über diese Gedichte hinausgeführt werden in eine andere Welt. Trotzdem erlaube ich mir, solche Art von Lyrik zu kritisieren, weil ich weiß, dass sie vielen Menschen nichts (mehr) sagt. Ich liebe jede Form von Sprache und Ausdruck viel zu sehr, um nicht betrübt zu sein, wenn sie ihrem eigentlichen Zweck, der Verständigung, nicht (mehr) dienlich ist. Ich habe keine Angst, dass durch die Existenz solcher Lyrik meine eigenen Werke herabgesetzt oder nicht (genügend) gewürdigt würden -ich bin ein großer Verfechter von Vielfalt im künstlerischen Bereich (und nicht nur dort). Bestimmt muss es solche Gedichte geben - sind sie doch auch Ausdruck unserer Entfremdung in dieser komplexen, oft nur schwer durchschaubaren, modernen Welt. Keinesfalls möchte ich für eine seichte, allzu leichte Literatur plädieren. Ursula Andresen, eine Deutsch-Didaktikerin für die Grundschule, hat eines ihrer Bücher so genannt: "Versteh mich nicht zu schnell". Die Mühe des (eigenen) Denkens soll und darf den Menschen nicht erspart werden - das wäre furchtbar. Wohin das führen kann, hat die Geschichte leider schon viel zu oft bewiesen! Ich lasse mich beim Schreiben oft von Gefühlen leiten (ich denke, das tun wir alle mehr oder weniger). Deine Ausführungen habe ich gerne gelesen (uind werde es sicher noch einige Male tun). Ein wunderbares Neues Jahr wünscht dir wüstenvogel |
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#3 | ||
ADäquat
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.009
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![]() Hallo wüstenvogel, hallo zusammen,
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#4 | ||
asphaltwaldwesen
Registriert seit: 31.03.2009
Ort: österreich
Beiträge: 961
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ganz ehrlich, liebe chavali,
ich hab das bild, das hajo antpöhler (was für ein name! *giggle) hier skizziert, durchaus selbst schon oft im vorüberfahren "registriert" - und zwar mit einem gefühl der wahrnehmung oder des erkennens, dass hier zeitzeichen die landschaft mit-formen. und das auf eine ganz nüchterne und lebensnahe weise. kabelrollen lagen eben vor soundsovielen jahren noch nicht in der landschaft rum. heute sind sie teil davon - und sagen etwas über die menschheit aus. und prägen die landschaft mit. ob wir wollen oder nicht. nur, weils kein liebliches landschaftsbild ist, und das hier auch eher skizziert und nicht bis ins letzte fitzelchen aus-gemalt, ist es dennoch "bemerkenswert" im wahrsten sinne des wortes. geschmackssache? allemal. ich zum beispiel finds gut. grade wegen des doch persönlichen aber unprätentiösen "schön so". das - im kontrast mit der "vergessenen" kabelrolle macht eine aussage, die in mir etwas anstößt. vielleicht bin ich da "schrulliger" im lesen. oder toleranter. oder gerne näher an der realität als am geschönten. mag schon sein. ich finds gut. ich find aber auch ausführlichere gedichte, wenn sie gut gemacht sind, schön. solange sie eine originelle aussage treffen oder ein unverbrauchtes bild malen. und was findest du an den ausführungen von herrn buchwald so verdammenswert? mit Zitat:
dass er mit Zitat:
![]() diese unsachliche äußerung darf einen aber nicht selbst zur unsachlichkeit oder verallgemeinerung verleiten. wer ist herr buchwald schon? ein herausgeber mit einer meinung. so wie auch jeder kunstkritiker oder rezensent. aber es ändert nichts an den gedichten selbst. egal welcher machart und welchen stils. oder? lieber gruß von deiner fee Geändert von fee (02.01.2012 um 18:42 Uhr) |
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ADäquat
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.009
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![]() Meine liebe fee,
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#6 | |
asphaltwaldwesen
Registriert seit: 31.03.2009
Ort: österreich
Beiträge: 961
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![]() Zitat:
lol, chavali, ich sag ganz ehrlich: ich weiß es nicht. "ganz nett" ist der kleine bruder von sch...., wie man so fies sagt, nicht? aber ich hab schon auch "hajos" tonfall so ganz umgangssprachlich gelesen und fand das nicht störend. eher authentisch. das lakonische "schön so" hab ich als absicht angenommen und nicht als misslungen. sozusagen wird dem lyrICH da eine charakteristik mitgegeben. ganz ohne viel extra-worte. is halt n cooler junge, der trotzdem die landschaft mag. mit kabelrollen und so. und das sagt er halt. das textlein ist also irgendwie auch ein wenig charakterstudie. *grins ich hab also das gedicht nicht als den versuch einer hehren landschaftsdichtung gelesen und glaub auch nicht, dass es das sein will oder muss oder immer sollte. ich glaube, du misst das gedicht (oder gedichte allgemein?) an einer zu hohen oder eingleisigen erwartungshaltung, die gar nicht mehr erfüllt werden will - vielleicht auch nicht für jeden muss. (für mich muss es authentisch sein, stimmig. und das ist das hajo-teilchen auf seine art total). da ist enttäuschung programmiert, behaupte ich mal. ich sag aber auch nicht, dass du es toll finden oder mögen musst. ich finds jetzt nicht den überhammer, aber dennoch fand ich es originell und lesenswert. deins als antwortgedicht übrigens auch... giggle. lieber winkegruß fee |
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#7 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 30.08.2011
Ort: Wetzlar/Hessen
Beiträge: 446
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Hallo Chavali, hallo fee,
wie schon gesagt, (post)moderne (?) Lyrik hat sicher ihre Existenzberechtigung, zumindest für den, der sie schreibt. Und auch für den, der sie liest und zu verstehen versucht. Was mich ungeheuer stört bei Teilen dieser Lyrik ist die Arroganz und Selbstherrlichkeit, mit der einige ihrer Verleger daherkommen. Letztes Jahr habe ich einige meiner "Werke" an verschiedene Verlage geschickt um auszuprobieren, ob eine Chance zur Veröffentlichung besteht. Dazu gäbe es einiges zu sagen, aber ich will hier nur aus einem Ablehnungsschreiben eines Lyrikverlags zitieren: "...ist ein Verlag, der sich auf eine bestimmte Richtung von Lyrik konzentriert, nämlich die junge deutsche Lyrik ... Wir verlegen solche Texte, die ein postmodernes Referenzstem aufweisen und sich der Strömungen und lyrischen Richtungen des 20. und 21. Jahrhunderts bewusst sind. Ein Autor ist in erster Linie Lyrikleser und Literaturwissenschaftler. Von gerade Genanntem fehlt mir etwas in Ihrem Manuskript. Wir können auch keinen Text "aus dem Nichts" publizieren. Verlage, die das tun, halten wir überdies für unseriös. Der Weg eines Autoren führt über mehrere Einzelpublikationen in Zeitschriften und auf einschlägigen Plattformen, über Förderpreise und Stipendien in unser Programm..." Da ist es kein Wunder, dass es kaum lyrischen Nachwuchs gibt, oder ist jeder Dichter in diesem Forum ein Literaturwissenschaftler? So elitär, wie sich manche Verleger geben, sind auch die Texte, die sie veröffentlichen. Klar, sie sind ja für eine kleine, feine Minderheit geschrieben. Boshaft könnte man sagen, die große (dumme) Masse soll diese "Werke" auch nicht verstehen, darum sind sie oft wie Steine, die, in einen Teich geworfen, schnell sinken ohne irgendwelche Kreise zu ziehen. Zum Schluss muss ich noch anfügen, dass ich das nicht schreibe, weil mich dieser Verlag abgelehnt hat (gottseidank). Damit muss man umzugehen lernen. Meine Reaktion auf dieses Ablehnungsschreiben bestand in einem herzlichen Lachen. Es gibt zum Glück sehr viele moderne Gedichte, veröffentlicht oder nicht, mit denen auch "normale" Menschen etwas anfangen können, die man (immer wieder) gerne liest. In diesem Sinne ein kreatives Neues Jahr für alle (Hobby)Dichter wünscht der wüstenvogel |
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#8 | |
asphaltwaldwesen
Registriert seit: 31.03.2009
Ort: österreich
Beiträge: 961
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willkommen in der realität und auf dem kunstmarkt, sag ich da nur. elitär zu sein ist programm. in der schreibenden kunstsparte nicht anders als in der bildenden. man muss sich nicht nur einen namen gemacht haben, bevor man groß rauskommt, sondern man muss auch das glück haben, ihn sich in den richtigen (=meinungsbildend anerkannten) kreisen gemacht zu haben. es ist alles ein spiel. was der einzelne schön und als kunst empfindet hat nichts mit dem kunstmarkt zu tun und deren mechanismen. wozu also sich ärgern. die luft "dort oben" ist zwar vielleicht edler, dafür aber eben auch dünner. und mit wem man sie teilen muss, kann man sich dort definitiv nicht aussuchen. es gibt wahrlich erstrebenswerteres (und erfüllenderes) als es zum ankerannten künstler zu schaffen heutzutage. liebe grüße fee |
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