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Alt 26.01.2014, 17:49   #1
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Servus Erich,

bei diesem Gedicht kamen mir beim Lesen automatisch Bilder aus unzähligen Nazi-Dokumentation in den Sinn.
Wie sie an ihren Rednerpulten standen und mit ihrer damals anscheinend überzeugenden Rhetorik die Massen begeistern konnten.

Und es ist letztendlich egal, wer seine Ideologie verbreiten will, denn trifft sie den Nerv der Zeit oder fällt in der richtigen Gesellschaft auf nahrhaften Boden, dann wird sie keimen, weil die Leute, vielleicht auch in Ermangelung oder Unterstützung eines eigenen, ein Weltbild fremder Gedanken annehmen und versuchen, dies umzusetzen.

Und es sind immer wieder einzelne Verführer, die ihre Ideologien verbreiten. Und wer nicht ganz davon überzeugt wird, lässt sich von der Menge mitreißen und schon ist es geschehen.

Das dies nicht alleine Bilder aus der Vergangenheit sind, zeigt die heutige Zeit ja in erschreckendem Maße.
Das geschieht auch heute noch durch jene, die durch politischen oder religiösen Wahn verblendet sind und ihren Intellekt dementsprechend einzusetzen wissen, also die AgitaToren.
Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Ethik und Moral bleiben dabei auf der Strecke, bzw. werden pervertiert, indem sie anders ausgelegt werden.

Das Gedicht ist eine kleine Mahnung an all jene, die glauben, so etwas käme heute nicht mehr vor.

In diesem Sinne hat es mir sehr gut gefallen.

Einzig in S4 / Z3 fiel mir auf, dass hier kein echter Reim verwendet wurde, den "vor" (Z2) und "zuvor (Z3) sind prinzipiell reimtechnisch und auch sinngemäß identisch.

Vorschlag (das kannst du ja noch selbst ändern, nur eine Idee):

Du, Leser, glaubst, dies wäre überwunden
und käme hierzulande nicht mehr vor?
Der Mensch bleibt ewig nur ein armer Tor,
und neue Schuldige sind rasch gefunden!

Es verändert die Aussage m. E. nur marginal, denn du willst ja an dieser Stelle aussagen, dass der Mensch niemals dazu lernt.
Hier aber hast du ganz klar einen Hinweis auf Goethes Faust, der ja im Prinzip dasselbe aussagt. "Habe, ach nun...studiert, jetzt steh ich da..."
Zudem zielt es ja auch noch auf den Titel zurück: "AgitaToren"
Und die "neuen" Schuldigen sind auch nicht von der Hand zu weisen, da in solchen Ideologien doch oft auf eine bestimmte Gruppe gezielt wird.
Das können natürlich auch "Schuldige" sein, die schon zuvor verfolgt wurden, jedoch sind wir in der letzten Strophe ja in der Gegenwart, während die anderen Strophen mehr reflektierend im Rückblick erscheinen.

Magst du dir ja einfach mal überlegen.


Das Gedicht wirft einen kritischen Blick auf die menschliche Gesellschaft, die unter bestimmten Bedingungen allzu leicht dazu neigt, verhängnisvollen, unbarmherzigen Ideologien zu folgen, wenn sie nur Besserungen oder Hoffnungen versprechen. Das ist die mögliche und egoistische Seite der Gesellschaft.


In diesem Sinne sehr gerne gelesen und kommentiert...


Lieeb Grüße

Bis bald

Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 26.01.2014, 18:55   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Faldi!

In der letzten Str. hatte ich ursprünglich einen Reim auf "Tor", aber das Wort erschien mir dann allzu geziert, abgedroschen und altbacken. Der Gleichreim "vor/zuvor" war mir durchaus bewusst, er erschien mir aber erträglicher als der abgerittene "Tor". Ich werde nochmal drüber nachdenken...

Dein Eindruck von Nazireden trügt dich nicht. Der eigentliche Auslöser aber war eine Rede des aktuellen FPÖ-Parteichefs zu den Ausschreitungen zum sog. Wiener Akademikerball (Dieser Name ist eine Frechheit, denn früher hieß er "Burschenschaftsball", und das sagt eigentlich schon alles. Als die Demonstrationen gegen diese rechte Verbindungsbörse heftiger wurden, benannte man den Ball um.)
Keine Frage, die Autonomen und Stänkerer unter den Demonstranten hatten wieder mal deutlich über die Stränge geschlagen, vor allem nach Beendigung der offiziellen Demos kam es zu regelrechten Straßenschlachten mit der Polizei, die den Veranstaltungsort des Balles weiträumig abgesperrt hatte, wobei hoher Sachschaden in der Innenstadt entstand.
Die Zornrede des Parteifuzzis vor seinen Mit"freiheitlichen" am nächsten Tag aber erinnerte mich in Zügen an manche Hitlerrede aus den Dreißigern, sowohl inhaltlich wie im Tonfall! (Wirr wärrden diesäs Gäzücht im Namen derr gerrächten Sache hinwägfägen...usw.)
Gerade zum Ende der Ansprache hin steigerte er sich in seinen Furor hinein über diese frechen Demonstranten und überhaupt - und er hörte sich schon fast wie ein Adolfklon an! Nun, die FPÖ war nach dem 2. WK das Sammelbecken für alle ehemaligen Nazis (auch mein Vater gehörte dazu!), von daher ist dies vielleicht auch nicht weiter verwunderlich.
Die Diskrepanz von seinem Gerede von "demokratischen Werten" und dem dabei angeschlagenen Tonfall aggressiven Bessermenschentums veranlasste mich zu diesem Werk. Anderswo interpretierte es ein Leser als ein Gedicht gegen islamische Hassprediger - die Verwandtschaft liegt wohl nahe....

Vielen Dank für deine Gedanken!

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 27.01.2014, 18:15   #3
Dana
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Lieber eKy,

die "AgitaToren" agieren wie eh und je.

Dein Gedicht gibt Geschichte und Gegenwart bestens umgesetzt wieder. Beim Lesen laufen beinahe "Tonfilme" ab.

Ja, sie agieren. Es muss nicht immer ein scharfer Ton sein.
Das "liebliche Werben" mit leeren Versprechungen und Wichtigkeiten, die "Besserwisserei" in Perioden des "Nichtdranseins" - sind nur neue "Mäntelchen".
Es geht immer nur um Macht und Geld. Nicht für das eigene Land, einzig für das Ego und das eigne Konto.
Man könnte an manchen Reden,Diskussionen oder besser gesagt an allen Plänkeleien verzweifeln.

Dickes Lob und liebe Grüße
Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 27.01.2014, 20:41   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Dana!

Wie immer siegelst du den Faden mit der schlichten Wahrheit hinter all den Fassaden!

Vielen Dank für das Lob!

LG, eKy
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