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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 15.12.2014, 19:49   #1
Walther
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Standard Zeit der Epigonen

Zeit der Epigonen


Wir leben in der Zeit der Epigonen.
Es scheint, als werde nichts mehr richtig neu:
Man ist dem Altbewährten traulich treu.
Wie soll sich da das Wagen ehrlich lohnen?

Man wirft sich wohl ins Zeug und in die Strophen,
Doch darf der große Wurf nicht recht gelingen.
Im Ohr hört man die alten Dichter singen.
Da wollen alle Verse ähnlich schwofen.

Auf Büchertischen liegt bloß noch das Gestern,
Fürs Heute ist kein Platz mehr in den Läden.
Man kommt sich vor wie im Spaghetti-Western,

Dort quietschen auch nicht nur die Fensterläden.
Was hülfe Aufbegehren oder Lästern!
Die Dichtung hängt verpuppt an Mottenfäden.
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Alt 30.01.2015, 23:49   #2
Erich Kykal
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Hi, Walther!

Ein gut geschriebenes Sonett, keine Frage - übrigens genau in dem epigonalen "klassischen" Stil, den es anprangert, wenn ich nicht irre. Ist das nicht ein klein wenig schizo???

Aber ich sehe das ohnehin anders: Die Schönheit von Sprache ist zeitlos, und sie zu nutzen, steht über Zeitgeschmack und -einflüssen. Meist spricht nur der nackte Neid der diesbezüglich Unfähigen aus jenen, die sich über sog. "altmodischen" lyrischen Stil mockieren und ihn als überkommen und unkreativ bezeichnen.

Es ist wie in der Malerei: Man wollte um jeden Preis "etwas Neues, Anderes" haben, um sich abzugrenzen, Individualität zu beweisen - oder schlicht kaschieren, dass man es einfach nicht so gut konnte wie die alten Meister!
Das Ergebnis ist die sog. "moderne Kunst" - manches gut, manches Müll, aber man muss es eben mögen. Aber wenn alles abstrakt wird, wer versteht es dann noch, wenn mal kein Künstler daneben steht und blumig erklärt, worauf er mit diesem Bild, dieser Skulptur, Montage, Happening usw... eigentlich hinaus wollte!? Und mal ehrlich: Manche "Künstler" machen es sich heutzutage wirklich leicht! Dreimal farbig quer über die Leinwand gestrullt und fertig! Diese Art von Kunst kommt jedenfalls nicht mehr von "Können"!

Ebenso in der modernen Lyrik: Nur noch die Idee zählt, der kreative Gedanke - die Schönheit der Sprache selbst wurde nebensächlich, sie dient nur als Werkzeug, als Transportmittel, als Vehikel für die Aussage.
Das ist nicht mein Angang. Für mich zählt vor allem die Sprachkunst! Die Inhalte wechseln mit Zeitgeist und Mode - der Zauber der magischen Worte aber ist zeitlos: Ein Rilke treibt mich auch hundert Jahre später zu Tränen, kaum dass ich ein paar Seiten gelesen habe... und das, obwohl ich mich mit manchen seiner Inhalte kaum identifzieren kann oder sie heutzutage gar nicht mehr richtig verstehe oder anders interpretiere.

Klar, in ein paar weiteren hundert Jahren wird sich die heutige deutsche Sprache - so es sie noch gibt - so weit verändert haben, dass kaum noch jemand außerhalb von Universitäten oder Antiquariaten verstehen kann, wovon ein Rilke schrieb - um das zu kapieren, muss man nur mal versuchen, ein paar Sätze Mittelhochdeutsch zu verstehen! Heute fragt sich kein Sprachwissenschaftler mehr, ob die Merseburger Zaubersprüche aus der Sicht der damals Lebenden wohl sprachlich besonders ästhetisch waren!

Dennoch - solange ich lebe, werde ich unter Lyrik hauptsächlich schöne Sprache verstehen, so wie ich sie schätze und verehre. Das hat für mich nichts Altmodisches, Überkommenes oder Angestaubtes an sich - das ist einfach nur zum Weinen schön!
Und ich gebe einen Sch...dreck auf die Meinung derer, die versuchen, mir die geliebte Kunst der ästhetischen Sprache schlechtzureden, bloß weil sie proflierungswütig sind oder schlicht wahrer sprachlicher Größe unfähig.
So betrachte ich mich grundsätzlich nicht als Epigonen, sondern vielmehr als Bewahrer und Weiterträger einer zeitlosen Kunst der Verinnerlichung, wiewohl meine bescheidenen Versuche die Größe meiner "lyrischen Ahnen" kaum zu spiegeln vermögen. Mich ebenfalls - und vor allem dennoch - darin zu versuchen, macht mich demütig und stolz zugleich. Ich sehe darin nichts Schlechtes, und ich begreife jene nicht, die sich offenkundig mindererer Mittel bedienen, bloß um irgendwie "anders" oder "neu" sein zu können, so als wäre das grundsätzlich besser oder kreativer. Das aber ist ein Irrtum - oder hängt zumindest von der Betrachtungsweise ab.

Gern gelesen, auch wenn ich deiner Aussage anders gegenüberstehe.

LG, eKy
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Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (31.01.2015 um 12:16 Uhr)
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Alt 08.02.2015, 18:39   #3
Walther
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lb eKy,

die obige kritik ist selbst "epigonal" gehalten, das ist korrekt. so besehen will ich dir nicht ernsthaft widersprechen. aber eigentlich zielt die kritik gegen etwas ganz anderes. sie zielt gegen die tatsache, daß in feuilletons und in buchhandlungen die moderne deutschsprachige lyrik faktisch keinerlei rolle mehr spielt - sieht man von sehr sehr wenigen löblichen ausnahmen einmal ab.

danke für deine tiefgründigen eintrag!

lg w.
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Geändert von Walther (09.02.2015 um 09:53 Uhr)
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Alt 08.02.2015, 23:54   #4
Erich Kykal
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Hi, walther!

Bei der allgemeinen sprachlichen Qualität (wohlgemerkt, es gibt Ausnahmen!) moderner Lyrik wundert mich das nicht! Es "klingt" eben meist nicht mehr schön, folgt oft genug keiner inneren Melodie. Künstlerische Sprachhabung allein ist vielen "Normalo"-Lesern zu wenig. Das kann ich gut nachvollziehen!

Hinzu kommt die neue verbale Verrohung der Sprache durch moderne Medien, Türkensprech (das meine ich nicht rassistisch) oder andere grammatikfeindliche Idiome, Anglizismen sowie die davor stattgefundene allgemeine Prosaisierung der Hör- und Lesegewohnheiten durch die Unbilden zweier Weltkriege im letzten Jahrhundert. Da hatten die meisten Menschen andere Sorgen als Lyrik! Das soll kein Vorwurf sein, aber es ging eben viel verloren.

Der entscheidende Hieb aber kam wohl von diversen "modernen" Dichtern selber: Im Bestreben, immer "neu" und "originell" sein zu müssen, haben sie sich in sprachliche Grenzregionen verstiegen, die für die meisten Konsumenten außerhalb ihrer "Blase" bestenfall albern und unverständlich wirkten. Man fragte sich nicht mehr: Was will der Künstler erreichen/aussagen? - sondern nur noch: Wen will der Typ eigentlich verarschen???

Heute ist es so weit gediehen mit den wenigen Übriggebliebenen, dass ein Hape Kerkeling ihnen stundenlang himmelschreienden Schwachsinn als "hohe Kunst" präsentieren konnte, ohne dass ein nennenswerter Teil des Publikums den Saal verlassen hätte. Hinterher, beim Gespräch mit dem "Autor/Komponisten", versuchten viele sogar, den Quatsch zu rechtfertigen oder ihm in vorauseilender Höflichkeit tieferen Sinn anzudichten - nur ganz wenige sagten frei heraus, dass sie all das für Blödsinn hielten: HURZ!!!

DAS hat "moderne Lyrik" geschafft: Intelligente Menschen bezüglich des eigenen Geschmacks so zu verunsichern, dass sie bereit sind, eigentlich alles zu schlucken und für Kunst zu halten, was man ihnen als solche präsentiert! Vielleicht wird nun verständlicher, warum ich nicht sonderlich begeistert davon bin - oder von jenen, die dieser Form so betriebsblind nachrennen.
Nun, wie auch immer ich es empfinde, zumindest erklärt es auch, warum heute kein Blatt mehr Lyrik druckt, ja warum selbst die klassische Lyrik völlig aus den Schullesebüchern verschwunden ist - zumindest bei uns in Österreich! Eine Schande! - Weil all das Gehurze moderner Lyriker den Menschen die Lust an der Lyrik gründlich ausgetrieben hat!

Es ist wie mit der Musik: Die vergeistigten Musikusse schätzen ihre "moderne Klassik" oder atonale Musik als höchsten Genuss, als höchste Vergeistigung des musikalischen Gedankens - und bleiben so gut wie allein in ihrer kleinen subventionierten Welt! Die meisten Leute hören Pop im Radio, einfach, weil es gut klingt. Sie brauchen zum Tanzen keine philosophischen Hintergedanken - bloß geile Mucke. Schade, dass dies den abstrakten Musikanten nicht zu denken gibt - sie bringen lieber weiterhin Kakteen zum Singen oder binden sich Schellen an alle Extremitäten und zappeln damit auf dem Rücken herum wie verzweifelte Käfer, untermalt von Fabrikshallenlärm, der von klassischen Instrumenten erzeugt wird!

Genau so ist es mit der Lyrik! Kaum einer kennt noch zu Herzen gehende Gedichte von tränentreibender sprachlicher Schönheit und harmonischem Wohlklang, weil fast jeder mit Lyrik nur noch das "moderne" Wortgeholze verbindet - und das interessiert eben kaum einen außerhalb des winzigen Konzeptbiotops, das sich diese "Dichter" und ihre verkopfte Klientel geschaffen haben!

So, ich hoffe, das klärt die Lage! - Zumindest fällt mir keine augenfälligere Erklärung für die Frage deines Textes ein.

LG, eKy
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (08.02.2015 um 23:59 Uhr)
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Alt 09.02.2015, 09:56   #5
Walther
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sie ist leider grottenfalsch,

lb eKy,

deine einschätzung. es gibt gute deutsch-sprachige lyrik - auch ganz moderne. sie ist sprachlich und literarisch überzeugend, nur keiner kennt sie. da sind wir leider nicht einer ansicht.

aber dazu werde ich an anderer stelle noch mehr sagen. laß dich überraschen!

lg w.
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